Schweitzer Fachinformationen
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Zum Werk
Die Diskussion über eine ethisch verantwortungsbewusste Unternehmensführung boomt seit den 1980er-Jahren in der betriebswirtschaftlichen Theorie, aber auch in der unternehmerischen Praxis in einem höchst außergewöhnlichen Maße – wie vielleicht kein anderes Thema. Dies ist zunächst einmal überraschend, als mit einigem Fug und Recht behauptet werden kann, dass die Unternehmensethik für den Mainstream der Betriebswirtschaftslehre tatsächlich ein eher „ungeliebtes Kind“ darstellt, und selbiges wohl auch für Teile der Unternehmenspraxis angenommen werden kann.
Zentrale Triebfeder der Debatte über eine ethisch verantwortungsbewusste(re) Unternehmensführung ist der verbreitete Eindruck, dass (v.a. Groß-)Unternehmen häufig und in zunehmendem Maße in einer gesellschaftlich unverantwortlichen Weise agieren. Die Forderung nach (mehr) Corporate Social Responsibility (CSR) ist so gesehen ein Reflex auf die allgemeine Wahrnehmung einer verbreiteten Corporate Social Irresponsibility (CSI).
Was sind nun aber wesentliche Erkenntnisse und Ergebnisse der Diskussionen über Unternehmensethik? Handeln Unternehmen wirklich – und in zunehmender Weise – unverantwortlich? Wie ließe sich diese These begründen? Und warum handeln Unternehmen gesellschaftlich unverantwortlich? Und um von der diagnostizierten Unverantwortung auf die postulierte Verantwortung überzuleiten: Was konkret bedeutet ethisch verantwortungsbewusste Unternehmensführung? Wie lässt sie sich umsetzen? Mit welchen Konsequenzen ist sie verbunden? Diesen – und weiteren korrespondierenden – Fragestellungen wird in diesem Buch nachgegangen.
Professor für Betriebswirtschaftslehre an der FernUniversität in Hagen. Er beschäftigt sich vor allem mit Fragen des Personalmanagements sowie der Organisation und gilt als einer „der renommiertesten deutschen Experten in Sachen Mitarbeiterführung" (WirtschaftsWoche Online). Auf www.leadership-insiders.de unterstützt Jürgen Weibler Führungspraktiker bei der Gestaltung erfolgreicher Führungsbeziehungen.
Akademischer Oberrat an der FernUniversität in Hagen und Privatdozent für Betriebswirtschaftslehre der Universität St. Gallen (HSG). Er beschäftigt sich mit Fragen der Wirtschafts-, Unternehmens- und Führungsethik.
34Kapitel 3Warum boomt das Thema »Unternehmensethik« ohne Unterlass?
Nach dem ethischen Exkurs des vorangegangenen Kapitels möchten wir uns nun auf die aktuelle Diskussion über Wirtschafts- und Unternehmensethik konzentrieren - und hier zunächst auf die Frage, warum diese Diskussion während der letzten Jahre mit ständig steigender Intensität (und Extensität) geführt wird. Wie einleitend bereits festgestellt, ist diese Diskussion zu sehen als das Ergebnis einer sich gesellschaftlich ausweitenden Wahrnehmung bedeutsamer Konflikte zwischen »Wirtschaft« und »Ethik«. Eine häufig gewählte Möglichkeit zur Ansprache dieser Konflikte ist dabei, auf konkrete Beispiele hierfür zu verweisen - etwa auf aufsehenerregende Skandale in der Wirtschaft (z. B. Dieselskandal, Cum-Cum-/Cum-Ex-Geschäfte), auf kriminelle Machenschaften einzelner Manager (z. B. Jeffrey Skilling von Enron, Thomas Middelhoff von Arcandor), auf »unethische« Entscheidungen bestimmter Unternehmen (z. B. Werkschließung von Nokia in 35Bochum 2008, Kohleprojekt von Siemens in Australien 2020) oder auch auf moralisch fragwürdige Entwicklungstendenzen in unternehmerischen Handlungsfeldern (z. B. Managervergütungen, prekäre Beschäftigung, Datenmissbrauch). Dieses Verfahren erscheint allerdings sehr punktuell und zufällig, ist zudem aber auch insofern nur bedingt geeignet, als derlei Einzelbeispiele in unserer kurzlebigen Zeit häufig schnell wieder in Vergessenheit geraten bzw. einem Gewöhnungseffekt unterliegen und entsprechend an Erklärungskraft verlieren (»Was war bei Nokia?«, »Waren die Managergehälter früher niedriger?«). Systematischer lassen sich die Konflikte zwischen »Wirtschaft« und »Ethik« bestimmen, indem man den - keinesfalls zu leugnenden - Nutzen unseres Wirtschaftens (v. a. Güterfülle) dessen Kosten gegenüberstellt, die grundlegend in ökologische und soziale Kosten unterschieden werden können. Dies bedeutet, dass wirtschaftliche Aktivitäten heute regelmäßig von negativen (externen) Effekten begleitet sind, die sich einerseits auf die Natur, andererseits auf den Menschen auswirken. Diese Unterscheidung ist grundsätzlich richtig, allerdings auch sehr allgemein und verlangt quasi nach erläuternden Beispielen. Wir möchten an dieser Stelle eine Art »Mittelweg« zwischen einer rein exemplarischen und einer sehr abstrakten Darstellungsweise beschreiten, indem wir sechs zentrale ethische Problemfelder des Wirtschaftens unterscheiden und kurz erläutern.
3.1 Wirtschaftsethisches Problemfeld »Umwelt«
Hier ist auf den grundlegenden Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie abgestellt, der mit der berühmten Studie des Club of Rome über die »Grenzen des Wachstums«71 erstmals in den frühen 1970er-Jahren in das öffentliche Bewusstsein trat, der heute insbesondere um die Themenfelder Klimawandel, Erderwärmung, 36CO2-Ausstoß, Energiewende u. ä. kreist72 und dessen existenzielle Grundproblematik der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber mit Blick auf einen »galoppierenden Treibhauseffekt« vor Jahren bereits wie folgt auf den Punkt brachte: »Bei diesem Öko-GAU könnte sich die Temperatur der Erde in 100 Jahren um 10 oder sogar 12 Grad erhöhen. Dann wäre unsere Welt eine völlig andere: Europa würde zur Sahara, Wirtschaftssysteme brächen zusammen, es gäbe Kriege um bewohnbaren Boden.«73 Neuere Verlautbarungen aus der Klimaforschung klingen hier keineswegs nach Entwarnung74, was nicht zuletzt auch die Debatte um den Terminus des Anthropozän75 begründet hat, welcher ein neues Erdzeitalter verkündet, in welchem der Mensch zur wichtigsten Einflussgröße für alle biologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde avanciert.
Neuere Verlautbarungen aus der Klimaforschung klingen keineswegs nach Entwarnung, was nicht zuletzt auch die Debatte um den Terminus des Anthropozän begründet hat.
Mit Blick auf das Problemfeld »Umwelt« ist aus wirtschaftsethischer Sicht zunächst festzustellen: »Die Wirtschaft stellt das Problem dar, und sie muss ein Teil der Lösung sein«76 - was der Umweltforscher Paul Hawken77 in einer frühen Arbeit zum Thema anhand von drei Postulaten konkretisierte, denen wir uns bis heute bestenfalls ein Stück weit angenähert haben dürften: (1) Weg von der Abfall-Entsorgung bzw. vom Recycling, hin zu einer Produktion, bei der nur wenig oder überhaupt kein Abfall anfällt. (2) Weg von einer auf Kohle basierenden Wirtschaft, hin zu einer Ökonomie, die sich auf Wasserstoff und Sonnenschein gründet. (3) Weg von schwerfälligen Großunternehmen, hin zu kleinen 37Unternehmen mit Fantasie, Mut und Engagement für ökologische Innovationen. Von besonderer Bedeutung für den weiteren Umgang mit der Umweltweltproblematik dürfte dabei die Frage sein, ob wir Ökonomie und Ökologie - wie derzeit in aller Regel üblich - als gleichrangige (bzw. -wertige) Systeme betrachten und von daher stets (nur) Schnittmengen zwischen ökologisch gebotenen Handlungsweisen und ökonomisch vernünftigen Handlungsweisen als (unternehmerisch, politisch) erstrebenswert erachten78 - oder ob wir uns einer Sichtweise zuwenden, die David Suzuki, Träger des Alternativen Nobelpreises, wie folgt veranschaulichte: »Die Realität ist, dass die Biosphäre alles ist, ein großer Kreis, innerhalb dessen es einen viel kleineren Kreis gibt, die menschliche Gesellschaft - und innerhalb dieses Kreises gibt es einen nochmals kleineren, die Wirtschaft.«79 Diese zutiefst divergenten Grundverständnisse der Beziehung zwischen Ökonomie und Ökologie (vgl. Abb. 4) vergegenwärtigen sich in der aktuellen Debatte exemplarisch in den Thesen, dass »Klimaschutz (.) nur dann funktionieren (kann), wenn unser Wohlstand dadurch nicht gefährdet wird« (Peter Altmaier), bzw., dass »wir alle Opfer bringen müssen - die Superreichen ebenso wie die normal arbeitenden Menschen« (Naomi Klein), wenn wir das Klima für uns und für zukünftige Generationen »retten« wollen.80
38Wichtig für das Verständnis dieses wirtschaftsethischen Diskussionsfeldes ist schließlich auch der Vermerk, dass der Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie regelmäßig - wenngleich auch eher subtil - vor dem Hintergrund zweier unterschiedlicher ethischer Perspektiven81 diskutiert wird: Einerseits im Kontext einer sogenannten »anthropozentrischen Ethik«, die die Auswirkungen von wirtschaftlich induzierten Umweltnutzungen, -zerstörungen oder -katastrophen nur auf den Menschen thematisiert82, die sich je nachdem als »Unfälle in Sekunden« (z. B. Bophal, Tschernobyl, Fukushima) oder als »Unfälle in Zeitlupe« (z. B. Klimawandel, Wasserknappheit) auswirken können. Der Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie wird andererseits aber auch im Kontext einer sogenannten »ökozentrischen« bzw. »biozentrischen Ethik« diskutiert83, bei welcher zuvorderst die Verantwortung des Menschen gegenüber dem nichtmenschlichen Leben erwogen wird und wo neben der Problematik des Artensterbens bspw. die ethische Vertretbarkeit von Tierversuchen, Tiertransporten, industrieller (Massen-)Tierhaltung sowie des »Tiere essen«84 kritisch hinterfragt wird.
3.2 Wirtschaftsethisches Problemfeld »Arbeit«
Der wirtschaftliche Umgang mit dem »Faktor Arbeit« wird seit Langem auch deshalb kritisiert, weil er zu inhumanen Arbeitsbedingungen führen kann.
Der Umgang, den Wirtschaft und Unternehmen mit dem »Faktor Arbeit« pflegen, wird heute vor allem aus zweierlei Gründen ethisch problematisiert. Der erste korrespondiert mit dem individuellen wie gesellschaftlichen Problem der Arbeitslosigkeit, 39das insofern mit dem Signum der Inhumanität belegt werden kann, als der Verlust der Erwerbsarbeit für den Einzelnen realiter mit (mehr oder minder »abgefederten«) ökonomischen Folgen verbunden ist (Stichwort: Hartz IV bzw. Bürgergeld), in aller Regel aber auch mit erheblichen sozio-psychologischen Folgewirkungen einher geht (Diskriminierung, Isolation, Resignation, Apathie, Verlust des Zeitgefühls).85 Für Politik und Gesellschaft vergegenwärtigt eine hohe und dauerhafte (Massen-, Sockel-)Arbeitslosigkeit entsprechend eines ihrer grundlegendsten Probleme. Unternehmen haben in diesem Kontext regelmäßig eine besondere Bedeutung und Verantwortung insofern, als sie Arbeitsplätze schaffen und sichern, aber auch abbauen und damit Arbeitslosigkeit erhöhen können. Ethisch wie moralisch weitgehend legitimiert bzw. akzeptiert ist dabei, dass Unternehmen in wirtschaftlicher Not (geringeres Auftragsvolumen, sinkende Gewinne, andauernde Verluste) Arbeitsplätze abbauen müssen, um so ihre Überlebensfähigkeit zu sichern.86 Völlig anders fällt demgegenüber jedoch die Bewertung...
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