Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Adelgund Mahlberg ist Juristin, genauer Anwältin mit einem starken Schwerpunkt auf Strafrecht, insbesondere auf Kapitalverbrechen. Wir waren schon Beginn an sehr gespannt, wie sie sich jemand mit ihrer Profession der Gründungsgeschichte der USA nähern würde. Die Diskussion im Anschluss hat gezeigt, wie berechtigt diese gespannte Erwartung war.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kollegen und Freunde, die Akademietagungen sind stets eine interessante Möglichkeit, sich dem einen oder anderen Gegenstand zu nähern, hinsichtlich dessen man deutlich mehr Interesse aufweist als Sachkunde. Entsprechend sind solche Gelegenheiten aber auch immer ein wenig nervenaufreibend, wagt man sich doch in unbekanntes Terrain und setzt sich mithin immer wieder nicht nur der Kritik, sondern auch dem amüsierten Lächeln oder entnervten Augenverdrehen fast durchweg sachkundigerer Hörer aus. Seien Sie also nachsichtig mit mir, wenn auch ich mich ein weiteres Mal in so fremdes Terrain wage. Ich hoffe immerhin, Sie werden das Nachfolgende so überraschend und faszinierend finden, wie es mir selbst ergangen ist.
7.1. Die Unabhängigkeitserklärung als Grundlegung der US-amerikanischen Unabhängigkeit
In den USA wird der Independence Day, also der 04. Juli, bis heute als Nationalfeiertag schlechthin zelebriert. Er hat mittlerweile den Charakter eines Volksfestes, ist also wesentlich weniger militaristisch aufgeladen, als die vor allem in Washington entstehenden Berichterstattungen europäischer Medien gelegentlich glauben machen wollen. Dennoch wohnt auch diesen scheinbar harmlosen Belustigungen eine verdeckte militaristische Konnotation durchaus inne. Das mag daran liegen, dass die USA ihre Gründung durch einen Gewaltakt erfuhren, der 1776 mit der Unabhängigkeitserklärung, wenn schon nicht begann, so doch erstmals manifest wurde. Es fragt sich aber, ob dieser Akt der Gewalt legitim war oder nicht.
Auftraggeber der Unabhängigkeitserklärung war der Zweite Kontinentalkongress, der seit Mai 1775 tagte. In ihm waren Vertreter von zunächst zwölf der dreizehn aufständischen Kolonien vertreten; Georgia entsandte seine Vertreter nach einigem Zögern erst im Juli 1775. Geladen waren auch Québec, Saint John's Island, Nova Scotia, Ostflorida und Westflorida, die aber trotz gewisser Sympathien für die Aufständischen eine Teilnahme und damit eine Unterstützung der Revolte gegen die Krone verweigerten.1
Die Mitglieder des Kongresses waren nicht vom Volk gewählt, sondern waren Abgesandte der jeweiligen Kolonialparlamente. Ihre Legitimität entsprach also bestenfalls der - sehr uneinheitlichen - demokratischen Legitimation der Parlamente. Zudem fehlte es z.T. an klaren Vorgaben, welche Kompetenzen die Delegierten besaßen, vor allem aber, welche Interessen die jeweilige Kolonie verfolgte. Entsprechend intensiv war die Korrespondenz der meisten Delegierten mit ihrem heimatlichen Parlament, als die Diskussion um den Entwurf der Unabhängigkeitserklärung begann.
Offiziell galt ein fünfköpfiges Gremium, bestehend aus John Adams, Thomas Jefferson, Benjamin Franklin, Roger Sherman und Robert Livingston als Verfasser des Entwurfs. Doch scheint Jefferson den Entwurf, welcher dann dem Kongress zur Abstimmung vorgelegt wurde, auf Basis diverser Diskussionen im Gremium letztlich weitgehend allein verfasst zu haben.2
Dieser Entwurf wurde im Grunde der Aufgabe nicht gerecht, für eine Unabhängigkeit der dreizehn Kolonien vom britischen Mutterland zu argumentieren. Denn Jefferson verzichtete darauf, eine Unabhängigkeit mit staatsphilosophischen oder völkerrechtlichen Argumenten zu begründen. Stattdessen verfasste er nach bester Anwaltsmanier eine Anklageschrift gegen den britischen König, dem er vorwarf, das traditionelle rechtliche und politische System in den dreizehn Kolonien ersetzen zu wollen durch eine Tyrannis. Dabei kreidete er ihm sowohl selbst vorgenommene Handlungen als auch die Genehmigung von Handlungen, vor allem legislativen Akten, anderer an, sodass zugleich der Eindruck entstehen konnte, Georg III. sei nur das Haupt einer gegen die Freiheit in den dreizehn Kolonien gerichteten Verschwörung.
Die Unabhängigkeitserklärung in dieser Form entsprach der in Europa bereits seit Jahrhunderten eingeführten Gravamina-Auflistung von Kritikpunkten an der aktuellen Regierung. Wie diese stellte sie jedoch keinen Gegenentwurf dar. Anklageschriften benennen Zustände, gegen die sich der Anklagende wendet, die er kritisiert, die er bestraft sehen will. Sie spezifizieren einen angestrebten Zustand nur darüber, dass in diesem die monierten Themen nicht oder nur sehr wenig Bedeutung haben, aber sie sagen nicht explizit und detailliert, welcher andere Zustand angestrebt werden soll.
Jefferson hatte kaum eine andere Möglichkeit, als zu einer solchen Anklageliste zu greifen. Da, wo er bereits positive Setzungen für die neue Staatsorganisation in den Entwurf einbrachte - etwa hinsichtlich einer Abschaffung der Sklaverei - stieß er auf den Widerstand der Delegierten. Damit musste er sich auf rein ablehnende, nicht gestaltende Themen beschränken, die den aktuellen Zustand bzw. den Versuch der Krone, zu einem neuen Zustand zu gelangen, als mit geltendem Recht unvereinbar kritisierten. Alles andere hätte den Kontinentalkongress sicherlich vor eine Zerreißprobe gestellt, auch wenn damit die Aufgabe, eine konkrete, konsensfähige Utopie zu entwickeln, lediglich aufgeschoben war bis zur Ausarbeitung einer Verfassung. Doch auch der Entwurf der ersten Verfassung, welche die Zusammenarbeit der dreizehn Staaten in einer Konföderation regeln sollte, war weitgehend konservativ, entbehrte also erneut der konkreten Utopie. Diese Verfassung, die Konföderationsartikel, wurde 1777 verabschiedet. Sie waren aber eher ein Bündnisstatut als eine Staatsverfassung im eigentlichen Sinn. Ihre Ratifizierung erforderte dennoch drei Jahre, sodass sie lediglich von 1781 bis 1789 in Kraft waren, ehe sie von der heutigen Verfassung der USA abgelöst wurden.
Diverse Autoren haben seit dem frühen 19. Jahrhundert gemeint, Jeffersons Entwurf als Ergebnis rechtsphilosophischer, theologischer oder naturrechtlicher Einflüsse interpretieren zu können. Aber tatsächlich folgte Jefferson in Form und Argumentation den gängigen juristischen Modellen seiner Zeit.3 Der wesentliche Einfluss war entsprechend vor allem "The Law of Nations", also die englische Übersetzung von "Le Droit des gens: Principes de la loi naturelle, appliqués à la conduite et aux affaires des Nations et des Souverains" von Emer de Vattel. Benjamin Franklin stellte dies Buch den Mitgliedern des Zweiten Kontinentalkongresses zur Verfügung. Es fand bei den meisten Delegierten - jedenfalls nach Franklins eigenem Bekunden - ausgesprochen großes Interesse.4
Diverse Punkte, die Jefferson zusammentrug, waren keine Besonderheit dieser Jahre; so war es z.B. seit langer Zeit geübte Praxis, dass britische Kriegsschiffe auf hoher See Schiffe auf Schmuggelware durchsuchten und anbei einen oder mehrere Seeleute zwangen, das Schiff zu wechseln und fortan in der Royal Navy zu dienen. Andere Vorwürfe waren schlicht gegenstandslos oder beruhten auf deutlich übertriebenen Gerüchten, so etwa, wenn Georg III. vorgeworfen wurde, in den dreizehn Kolonien Städte niedergebrannt zu haben. Insgesamt entstand das Bild eines Nero, eines Dschingis Khan oder Henry Morgan. Auch fand sich hier das Bild eines Verbündeten der in den Kolonien oder an ihren Grenzen lebenden indigenen Nationen, mit denen er sich gegen sein eigenes Volk verschworen hätte.
Eine solche Argumentation hätte eigentlich zur Rechtfertigung einer Unabhängigkeit nichts beitragen können, sondern allenfalls, analog zur Revolution von 1642, einen Sturz des Tyrannen zu begründen vermocht.5 Im Gegenteil ist die Anrufung eines nationalen Rechtsprinzips gegen einen Tyrannen zwar vielleicht Anlass, diesen Tyrannen zu stürzen, aber gleichzeitig die Bestätigung des diesen Staat ausmachenden juristischen Codex bzw. der Versuch, den Staat auf genau diesen zurückzuführen.
Aus England und Schottland sind zeitgleich diverse fast gleichlautende Angriffe auf Georg III. überliefert, die alle letztlich eine Rücknahme wesentlicher von ihm vor allem nach 1762 durchgeführter Maßnahmen forderten. Etliche Formulierungen aus der Unabhängigkeitserklärung finden sich zudem schon in Angriffen auf Charles I. im Vorfeld der englischen Revolution. Doch verlangte die entsprechende Gruppierung im Kontinentalkongress nach einem Dokument, welches weit hierüber hinaus gehen sollte, zumal man nicht sicher war, wirklich schon eine breite Mehrheit für die Idee einer Unabhängigkeit gewonnen zu haben. Man wollte eine rhetorisch überzeugende Argumentationshilfe, und entsprechend war man bereit, Jeffersons ausgesprochen eloquente Schrift als Begründung einer staatlichen Unabhängigkeit insgesamt anzunehmen, was sie eigentlich niemals hätte sein können.
In Philadelphia tagte vom 05. September bis zum 26. Oktober 1774 der Erste Kontinentalkongress. Dieser war notwendig geworden, weil ein Teil der britischen Kolonien...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.