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Victoria (1819-1901) wird im Alter von nur 18 Jahren zur englischen Thronfolgerin ernannt - aus der jungen unerfahrenen Königin wird eine der mächtigsten und einflussreichsten Herrscherinnen der Welt. Unter der 63-jährigen Regentschaft der Ur-ur-Großmutter von Queen Elizabeth erlebte das britische Kolonialreich eine unvergleichliche politische, wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit, und ihr Wirken und ihr Ruhm reichten weit über ihr Leben hinaus - ein ganzes Zeitalter wurde nach ihr benannt.
Edith Sitwell hat die Tagebücher und privaten Briefe von Königin Victoria studiert und erzählt anschaulich aus dem ereignisreichen Leben der Monarchin und von den Intrigen am königlichen Hof.
Es war am 22. Januar des Jahres 1820. Leise rauschte das trübe, graue Meer. Zu Sidmouth lag ein Mann von zweiundfünfzig Jahren auf dem Sterbebett. Sein einstmals volles, gerötetes Gesicht war jetzt gelb; seine dünnen Haare, einst glänzend schwarz gefärbt und stets sorgfältig gebürstet, waren wirr und verschwitzt; das Grau kam unter dem Schwarz zum Vorschein, und die Kopfhaut schimmerte durch.
Ein feuchter, heulender Wind blies durch ein offenes Fenster des Erdgeschosses und trieb Hunderte von ungeöffneten Rechnungen über den Boden. Oben im Zimmer war es ganz still, man hörte nur die Atemzüge des Sterbenden, die sich abmühten, so regelmäßig wie die Uhren zu gehen, deren Herstellung einst die Lieblingsbeschäftigung des Mannes gewesen war. Der Atem kam stoßweise und wurde immer schwächer. Bald würde die Zeit ganz stille stehen und mit ihr alle mathematische Genauigkeit. Unruhig wandte sich der Sterbende mit einer nur halb bewussten Bewegung zu der rundlichen, sonst so gesprächigen, pausbäckigen Frau, die jetzt blass und still an seinem Bette saß. Mit äußerster Kraftanstrengung flüsterte er: »Vergiss mich nicht!« Sagte er dies wohl aus Zärtlichkeit, die zum Teil wenigstens echt war, aus Heuchelei oder aus Mitleid mit sich selbst, das ihm so oft Trost und Ausflucht gewesen war?
So laut rasselte jetzt sein ringender Atem, dass alles andere ausgelöscht war. Nichts blieb als dieses Röcheln und dieser letzte, armselige Ausbruch von Ichsucht oder Zärtlichkeit. In den wenigen Augenblicken, die ihm noch vergönnt waren, schwanden auch Zucht und Ordnung, die Leitsterne seines Lebens. Längst vergessen lag in seinem blutbefleckten Grab der Soldat, dem der Herzog von Kent als Oberbefehlshaber einst für irgendeine unbedeutende Verfehlung neunhundertneunundneunzig Peitschenhiebe zudiktiert hatte. Längst vergessen war der Soldat Draper, den der Herzog wegen Fahnenflucht und Meuterei zum Tode verurteilt hatte, längst vorbei auch jener Trauerzug, der mit dem Herzog an der Spitze zwei Meilen vor die Tore von Quebec gezogen war. Der Soldat Draper musste damals hinter den anderen Soldaten und seinem eigenen Sarge aufrecht im Leichenhemd einhermarschieren, während die Militärmusik Grablieder spielte. Als der Zug beim Galgen angelangt war, trat der Herzog vor, kündigte dem Soldaten Draper an, dass nun der schlimmste Augenblick seines Lebens gekommen sei, dass er binnen weniger Minuten vor dem Richterstuhle seines Schöpfers stehen werde, und - begnadigte ihn am Schluss einer unmäßig langen Rede. »Das aber war«, so bemerkt der Biograph des Herzogs, Roger Fulford, »eine kostspielige Lektion: Sarg und Leichenhemd bildeten eine - übrigens recht grausige - Vermehrung der prinzlichen Schulden.«
Ich weiß nicht, was aus dem Soldaten Draper wurde, ob er die Fallsucht bekam oder in ein Irrenhaus gesperrt wurde.
In wenigen Stunden stand jetzt vielleicht das mit Blut besudelte Gespenst eines oder mehrerer Soldaten auf und mit ihnen die schauerliche Gestalt eines aufrecht im Leichenhemd Dahinschreitenden, um den kraftlosen Mann da auf seinem Bett anzuklagen.
Der Sterbende aber dachte an all dies nicht, nur das Uhrwerk in seiner Brust war ihm wichtig. Vergessen war auch seine seltsame Freundschaft mit Owen, sein Eintreten für dessen Weltverbesserungsideen und sein Interesse für die Baumwollspinnereien am Ufer des Clyde, wo die Arbeiter anständig wohnten, wo man für ihre Bildung sorgte und die Schrecken der Kinderarbeit zu mildern suchte. »Ich weiß«, soll sich der Herzog über die sozialistischen Theorien Owens geäußert haben, »dass eine Zeit größerer Gleichberechtigung für unser Menschengeschlecht anbrechen wird, eine Zeit der Gleichheit, die allen mehr Sicherheit und Glück bringen wird.« Bei einer späteren Gelegenheit sagte er: »Ich bin durchaus von den Grundsätzen, dem Geist und den praktischen Auswirkungen des Systems überzeugt, das Sie zur Umformung des menschlichen Charakters, soweit überhaupt möglich, und zur Umformung des Menschengeschlechtes empfehlen. Ich bekenne mich auch durchaus zu den Grundsätzen, dem Geist und der praktischen Anwendbarkeit Ihrer Philosophie. Aber«, so fuhr er bezeichnenderweise fort, »wir müssen mit Umsicht und Voraussicht vorgehen. Die Engländer sind ein ausgesprochen praktisches Volk, und die Gewohnheit hat großen Einfluss auf sie.«
Es mag stimmen, dass sich der Herzog einige hundert Pfund von Owen geborgt hatte. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass er mit ehrlichem Wohlwollen an seinen Plänen Anteil nahm und die Spinnereien bei Lanark sogar mit der Herzogin hatte besuchen wollen. Nun aber lag er auf dem Totenbett, und der Besuch sollte niemals stattfinden. Auch das geliehene Geld wurde nie zurückgezahlt, obgleich der Herzog nach Owens Bericht ihm mehrmals nach seinem Tode erschien, um ihm wichtige Dinge anzuvertrauen. »Der Verkehr seines Geistes mit mir war sehr schön«, versichert uns sein vertrauter Freund Owen. »Er bestimmte die Zeit der Zusammenkünfte selbst, und immer war der Geist auf die Minute pünktlich.«
Man könnte sich vorstellen, dass diese Geisterbesuche von der Vorliebe des Herzogs für Kleinigkeiten herrührten, denn außer der etwas unbestimmten Mitteilung, dass er »nicht nur einer einzelnen Klasse, Sekte, Partei oder irgendeinem Lande, sondern der ganzen Menschheit in aller Zukunft zu nützen wünsche«, scheinen sich seine Offenbarungen auf die Nachricht beschränkt zu haben, dass es in der Geisterwelt keine Titel gebe.
Der Herzog von Kent schenkte sein wohlwollendes Interesse nicht nur den Plänen Owens. Er förderte durch Stiftungen und tatkräftige Hilfe auch das Westminster-Hospital, die Hausfürsorge für bedürftige Wöchnerinnen, den Hilfsfonds für notleidende Schriftsteller und viele andere wohltätige Einrichtungen. Jetzt aber war er viel zu müde, um noch an die Wohltätigkeit denken zu können. Längst dahin, längst vergessen war auch die Wohnung in Montreal und das Haus in Ealing, in dem er siebenundzwanzig Jahre lang mit der treuen Madame St. Laurent gewohnt hatte. Nach dem Tode der Prinzessin Charlotte hatte er sie verabschieden müssen, um zu heiraten, einen Thronerben in die Welt zu setzen und sich von seinem dankbaren Vaterland die Schulden bezahlen zu lassen. Wie geregelt war das Leben des königlichen Schuldenmachers in dem Hause zu Ealing gewesen, inmitten all des heiteren Lärms aus Käfigen mit künstlichen Singvögeln, aus Spieluhren und kleinen Orgeln mit tanzenden Pferdchen. Springbrunnen und Rieselbächlein trieben in den Wassergrotten ihr Spiel. Alles war so nett, spießig und ordentlich, und alles ging wie am Schnürchen. Die Haare der Lakaien wurden täglich von einem Friseur gepudert, der im Nebengebäude wohnte und dem einzig und allein diese Verrichtung oblag. Jeden Morgen beim Frühstück öffnete der Herzog feierlich die Teebüchse. Dabei sagte er einmal zu einem Gast: »Lassen Sie sich von mir einen Rat geben, Sie fangen ja erst mit dem Leben an: Dünken Sie sich nie erhaben über die unbedeutenden Kleinigkeiten. Was sind denn Kleinigkeiten? Jedenfalls niemals Dinge, die etwas mit unserer Behaglichkeit, Unabhängigkeit und Ruhe zu tun haben.«
Trotz aller Behaglichkeit, Unabhängigkeit und Ruhe aber hatte der Herzog unendliche Schulden. Diese zwar sehr lästigen Schulden und sein Pflichtgefühl gegenüber seinem Lande veranlassten ihn noch zwei Jahre vor seinem Tode zu einer angenehmen Heirat. Prinzessin Charlotte, die Thronerbin, war tot; vom Prinzregenten war kein neuer Thronerbe zu erwarten; der Herzog von York war kinderlos, und der Herzog von Clarence schien nicht heiraten zu wollen. Musste sich da nicht der Herzog von Kent opfern und England zu einem Thronerben verhelfen, zumal wenn er berücksichtigte, dass der Herzog von York seit seiner Heirat jährlich 25??000 Pfund bekam?
Unglücklicherweise wählte er sich für dieses Vorhaben als Vertrauensmann den schlauen, gehässigen und boshaften Creevey1, ich nehme an, weil er durch ihn die Angelegenheit in einflussreichen Kreisen verbreitet wissen wollte. Die Besprechung zwischen dem Herzog und Creevey fand in Brüssel statt. Der Herzog leitete sie mit einem Geplauder über Nichtigkeiten ein, wechselte dann plötzlich das Thema und kam auf den wichtigsten Punkt zu sprechen. Mit düsterer Stimme wies er darauf hin, dass die königliche Familie ihm das große Opfer, für einen Thronerben zu sorgen, wohl nicht...
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