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Wertschätzend aufrichtige Worte über Radical Candor
Letztes Jahr stieg ich nach einem Nachtflug aus dem Flugzeug aus, und als ich mein Handy einschaltete, waren unzählige Nachrichten eingegangen. Meine Familie, Freunde und Bekannten wollten wissen, ob ich die Folge der Comedy-Serie Silicon Valley am Abend zuvor auf HBO gesehen hätte. Die Serie ist eine oft urkomische (und manchmal auf die Spitze getriebene) Parodie der Arbeit, die meine berufliche Laufbahn bestimmt hat. Die schlechte Nachricht war, dass Radical Candor als Feigenblatt für das unerträgliche Verhalten verlogener Führungskräfte parodiert worden war. Die meisten meiner Freunde gaben mir den Rat, mir keine Gedanken darüber zu machen - in Silicon Valley parodiert zu werden sei eine gute Sache. Nimm es Dir nicht so zu Herzen.
10Ich war mir da nicht so sicher. Ich hatte ein Buch geschrieben, in dem ich den Rat erteilte, auf Kritik zu hören, sie sich zu Herzen zu nehmen und daraus zu lernen. Ich wusste, dass auch ich mich daran halten sollte.
Was die Serie Silicon Valley so witzig macht, ist die Art und Weise, wie sie die Tendenz in der Tech-Branche auf die Schippe nimmt, traditionelles raubtierähnliches Verhalten in der Geschäftswelt mit idealisierenden Formulierungen darzustellen. Obwohl ich es anders beabsichtigt hatte, wurde der Begriff »Radical Candor«, (»wertschätzende Aufrichtigkeit«) womöglich mit manipulativer Unaufrichtigkeit (»Manipulative Insincerity«) und aggressiver Offenheit (»Obnoxious Aggression«) in einen Topf geworfen.
In dieser Folge will Ben Burkhardt der COO für den Helden der Serie Richard Hendricks werden. Ben rät Richard, seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schlecht zu behandeln und knüpft seinen Rat an eine neue Managementphilosophie: »Ran Can«. Er verkörpert alles, was in Silicon Valley überspitzt dargestellt werden soll: Er ist aalglatt, wortgewandt und absolut verlogen. Zudem ist er ein Feigling. Als sein Chef das Restaurant betritt, in dem er sich mit Richard trifft, versteckt Ben sich - und schreibt sein Verhalten erneut »Radical Candor« zu.
In der Folge wird sogar eine Fake-Version meines Buches, das von Ben geschrieben wurde, gezeigt. (Ich habe es überarbeitet, um den gefährlichen Weg zu beschreiben, der in der Folge so gut dargestellt wurde: »The Asshole's Journey: von aggressiver Offenheit zu manipulativer Unaufrichtigkeit«).
11Durch die Folge von Silicon Valley konnte ich etwas Wichtiges lernen: Einige Leute benutzen wertschätzende Aufrichtigkeit als Freibrief, um sich wie Idioten zu benehmen, da aggressive Offenheit und manipulative Unaufrichtigkeit mit wertschätzender Aufrichtigkeit verwechselten. Ich hatte ein Modell entwickelt, um genau dieser Verwechslung entgegenzuwirken, aber es war nicht deutlich genug.
Als ich das Buch schrieb, war ich voller Hoffnung, dass es als Erinnerung dafür dienen würde, was grundlegendes Mitgefühl tatsächlich bedeutet. Die falsche Darstellung von Radical Candor in dieser Folge von Silicon Valley machte mir klar, dass es noch einiges zu tun gab, um dieses Ziel zu erreichen.
Ein paar Monate später war Dilbert an der Reihe zu zeigen, wie unerträgliche Chefs Radical Candor missbrauchen (siehe unten). Auf der einen Seite fällt es schwer, etwas von einem Karikaturisten ernst zu nehmen, der einmal in seinem Blog geschrieben hatte, dass »Frauen aus genau demselben Grund von der Gesellschaft anders behandelt werden, aus dem Kinder und geistig Behinderte anders behandelt werden«. Auf der anderen Seite verdeutlicht der Comic die mögliche Verwechslung zwischen Radical Candor und aggressiver Offenheit.
Das Wort »Radical« in Radical Candor ist zugleich positiv wie negativ. Da das Wort einerseits Härte und andererseits Gewissenhaftigkeit ausdrückt, erregt es Aufmerksamkeit.
Der Nachteil des Begriffs »Radical Candor« ist, dass er dem Ethos des Silicon Valley »sei schnell und breche Regeln«, sowie »jetzt scheitern, und sich erst später selbst zur Verantwortung ziehen« allzu sehr ähnelt. Ein weiterer Grund dafür, dass Radical Candor so oft missverstanden wird, ist, dass der Begriff mit »Radical Transparency« von Ray Dalio verwechselt wird. 12Während Dalio und ich derselben Meinung sind, dass es wichtig ist, jemandem gegenüber aufrichtig zu sein, liegt in seiner Philosophie der Fokus nicht auf der Wertschätzung. Bei ihm liegt der Schwerpunkt eher darauf, zu »führen wie jemand, der eine Maschine bedient, um ein Ziel zu erreichen«.1 Zudem erfordern Beziehungen ein gewisses Maß an Privatsphäre. Ich bin zwar für Transparenz, aber wenn es um Unternehmensergebnisse geht, bin ich davon überzeugt, dass Radical Transparency weder gute Arbeitsbeziehungen befördert noch zu psychologischer Sicherheit beiträgt oder in einer produktiven Kultur des Unternehmens mündet, in der die Angestellten glücklich sind.
Für mich deutet das Wort »radical« auf eine Managementphilosophie hin, die sowohl neu als auch ganz anders ist als das, was es früher gab. Die Vorstellung, dass Chefs ihre Macht nutzen sollten, um sich wie Tyrannen zu verhalten, ist überholt und profan, und nicht neu und wertschätzend. Die wichtigste Erkenntnis aus Radical Candor ist, dass Kommando und Kontrolle Innovationen blockieren und die Fähigkeit eines Teams, die Effizienz von Routineaufgaben zu verbessern, beeinträchtigen können. Sowohl Chefs als auch Unternehmen erzielen bessere Ergebnisse, wenn sie freiwillig auf einseitige Macht verzichten und ihre Teams und Kollegen dazu ermutigen, sie zur Rechenschaft zu ziehen, wenn sie nicht mehr versuchen, ihre Mitarbeiter zu kontrollieren, und stattdessen Eigenverantwortung befördern. Die Vorstellung dahinter besteht darin, dass Zusammenarbeit und Innovationen gedeihen, wenn Mobbing und Bürokratie durch Beziehungen zwischen Menschen ersetzt werden. Mit »radical« meine ich »wesentlich«, und zwar im Sinne des »Kleinen Prinzen« vom französischen Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry: »Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.«
Seitdem der Begriff »Radical Candor« ins Lexikon aufgenommen wurde, muss ich das Wort »radical« permanent neu definieren. Das müssen Sie nicht tun. Das wäre recht mühsam, und ich versuche, Ihnen das Leben zu erleichtern, und nicht schwerer zu machen. Wenn Sie also damit beginnen, Radical Candor umzusetzen, und Ihnen vielleicht nicht ganz klar ist, was es bedeutet, gebe ich Ihnen hier eine Methode an die Hand, um sicherzugehen, dass jeder versteht, dass es nicht darum geht, sich wie ein Idiot zu verhalten. Nutzen Sie diese neue Version des Radical-Candor-Modells (siehe S. 13). Sie können es direkt aus diesem Buch ausschneiden. Sie können es auch kopieren und an den Kühlschrank, über Ihren Schreibtisch oder an einen anderen Ort hängen, um sich immer wieder daran zu erinnern. Sie können auch Ihren Kolleginnen und Kollegen eine Kopie zukommen lassen.
Nutzen Sie DAS RADICAL-CANDOR-MODELL wie einen Kompass, um Ihre Gespräche zielführender zu gestalten. Nutzen Sie es bitte NICHT als Persönlichkeitstest, um sich selbst oder andere zu beurteilen. Schreiben Sie keine Namen in die Quadranten. Denn jeden Tag befinden wir uns mehrmals in einem anderen Quadranten.
Der Unterschied zwischen schädlicher Empathie und mitfühlender Aufrichtigkeit ist womöglich verwirrend. Daher lohnt es sich, diesen Unterschied genau unter die Lupe zu nehmen. In seinem Buch Against Empathy: The Case for Rational Compassion (Gegen Empathie: Ein Plädoyer für rationales Mitgefühl) erklärt der Psychologe Paul Bloom, wie durch Empathie unsere 14Gefühle so stark fokussiert werden, dass wir nicht in dem Maße klar strukturiert argumentieren können, wie wir es sollten. Durch Empathie sind wir auch auf den Augenblick fokussiert, wodurch es uns schwerer fällt, die langfristigen Auswirkungen unseres Handelns zu erkennen. Und genau das passiert bei schädlicher Empathie. Wir sind dann so sehr darauf fixiert, in dem Moment die Gefühle einer Person nicht zu verletzen, dass wir ihr etwas verschweigen, das sie auf lange Sicht aber wissen sollte.
Selbstverständlich bin ich nicht gegen Empathie - und Paul Bloom ist es auch nicht. (Ich habe sowohl Empathie als auch Mitgefühl, auch wenn diese beiden Wörter recht gefährlich sein können.) Die Autorin und Lehrerin des Zen-Buddhismus' Joan Halifax erläutert die Beziehung zwischen Empathie und Mitgefühl so: »Gesunde emotionale Empathie trägt zu einer liebevolleren Welt bei. Auf der einen Seite kann sie soziale Beziehungen, Sorgen und Einsichten befördern. Auf der anderen Seite ist sie womöglich die Quelle von Kummer und Burn-out. Zudem kann sie zu moralischer Apathie führen oder dazu, dass man sich zurückzieht. Empathie ist nicht Mitgefühl. Verbundenheit, Resonanz und Sorgen führen nicht unbedingt dazu, dass man etwas unternimmt. Jedoch ist Empathie ein Teil des Mitgefühls. Und eine Welt ohne gesunde Empathie - so glaube ich - ist eine Welt, in der es keine gefühlte Verbundenheit gibt, die uns alle in Gefahr...
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