Schweitzer Fachinformationen
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Ich brauch' Tapetenwechsel, sprach die Birke .«, schmetterte mein Gatte und bemühte sich erfolgreich, das Röhren des defekten Rasierapparats zu übertönen. »Was hältst du davon?«
»Bei der Knef klingt es besser!«
Rolf singt ebenso gerne wie falsch, am liebsten im Bad, und dort meistens beim Rasieren. Wenn die Arien abrupt abbrechen, weiß ich, daß er gerade die Mundpartie schabt.
»Ich meine doch nicht meinen gutturalen Bariton«, korrigierte er mich, »ich spreche vom Text.«
»Na ja, von Birke kann ja wohl nicht mehr die Rede sein, eher von deutscher Eiche!«
Der Mann, den ich vor knapp sieben Jahren geheiratet hatte, sah zwar immer noch gut aus, und graue Schläfen wirken bei Männern bekanntlich sehr dekorativ (bei Frauen spricht man in diesem Fall von Alterserscheinungen), aber die einstmals sportlich-schlanke Figur war dem gewichen, was man so schön als männlich-kraftvoll bezeichnet. In Gegenwart von Damen, hauptsächlich jüngeren, pflegt Rolf denn auch immer den Bauch einzuziehen, was die jeweiligen Unterhaltungen in der Regel auf ein Mindestmaß beschränkt. Gelegentlich muß man ja mal wieder richtig durchatmen können!
Mein Gatte hatte seine Morgentoilette beendet und nahm den Faden wieder auf: »Was hältst du nun wirklich von einem Tapetenwechsel?«
»Nicht schon wieder die Maler!« jammerte ich, weise geworden durch die Erfahrung, daß Rolfs Aktivitäten sich darin erschöpften, Tapeten oder Kacheln auszusuchen, einen Kasten Bier zu holen und sich mit den Vertretern der handwerklichen Zünfte über die politische Lage zu unterhalten. Da die Gesprächspartner selten einer Meinung sind und eben diese gründlich ausdiskutiert werden muß, stimmen hinterher weder Kostenvoranschläge noch Termine. Alles dauert länger, und alles wird teurer als vorgesehen.
»Ich rede nicht von Malern! Ich rede von einem Umzug!« Rolf zupfte vor dem Spiegel ein letztes Mal die Krawatte zurecht, klopfte mir gönnerhaft auf die Schulter und griff nach den Autoschlüsseln, die aus dem Zahnputzbecher hingen. »Wir sprechen heute abend darüber. Jetzt muß ich weg! Tschüß!«
»Aber wieso .?«
Die Wohnungstür schlug zu. »Ich brauch' Tapetenwechsel .«, klang es aus dem Treppenhaus.
Ich nicht!
Während ich das Bad aufräumte, überlegte ich, was Rolf wohl mit »Umzug« gemeint haben könnte. Er hatte zwar schon des öfteren den Wunsch geäußert, sein Arbeitszimmer in das jetzige Schlafzimmer zu verlegen, weil ihn die Trauerweide vor dem Fenster angeblich immer dann in elegische Stimmung versetzte, wenn er optimistische Werbetexte zu schreiben hatte, aber bisher hatte ich ihm diese innenarchitektonischen Pläne jedesmal ausreden können. Nun war's offenbar mal wieder soweit, und ich überlegte mir neue Gegenargumente. Das Schlafzimmer lag nach hinten raus, und zumindest nachts hörte man kaum etwas. Tagsüber pflegten allerdings meine Nachbarinnen von Fenster zu Fenster die Tagesneuigkeiten auszutauschen, und da es in einer Großstadt wie Düsseldorf viele gibt, dauerten diese Unterhaltungen manchmal stundenlang. Nur im Winter wurden sie im Telegrammstil geführt. Jetzt hatten wir Juni. Aber notfalls konnte man ja das Fenster schließen.
Irgendwo klirrte etwas.
»Is nich schlimm, Mami!« tönte es aus dem Hintergrund. »Sascha hat bloß mit der Lokomotive die Lampe getroffen. Die is aber nur ein ganz kleines bißchen kaputt!«
Ich raste ins Kinderzimmer. Sascha strahlte mich an. »Hat bum demacht!«
»Das ist jetzt die dritte Lampe, die auf dein Konto geht! Nun reicht es!«
»Für einen Dreijährigen kann der schon ganz prima zielen!« Sven betrachtete seinen Bruder mit sichtbarem Wohlwollen.
»Hättest du ihm die Lok nicht vorher wegnehmen können?«
»Dann hätte er gebrüllt, und dann hätte die olle Schmidt von unten wieder gemeckert. Und du hast selbst gesagt, wir sollen nich so'n Krach machen!«
»Ach, und wenn ihr mit Holzeisenbahnen werft, macht das keinen Krach?«
»Jedenfalls nich so lange. Aber wenn Sascha erst mal schreit .« Quasi als Antwort hörten wir energisches Klopfen gegen den Fußboden.
»Das is aber anders als sonst«, konstatierte Sven. »Vielleicht is ihr Besen nu kaputt!«
Frau Schmidt war Oberstudienratswitwe ohne Kinder, aber mit Migräne, die immer dann auftrat, wenn es regnete und unser temperamentvoller Nachwuchs im Zimmer spielen mußte.
»Frau Schmidt ist krank«, erklärte ich Sven zum fünfzigstenmal.
»Frau Schmidt ist doof!« erwiderte er mit der Konsequenz eines Fünfjährigen, für den es keine Alternative zu doof oder nicht doof gibt.
Ein eigenes Haus sollte man haben, grübelte ich, mit Garten drumherum, den nächsten Nachbarn fünfhundert Meter weit weg, und wenn er außerdem noch schwerhörig wäre, würde das auch kein Fehler sein. Man sollte im Lotto gewinnen oder wenigstens einen reichen Vater haben. Ein Erbonkel täte es auch, aber ich habe ja nicht mal einen ganz gewöhnlichen. Lotto spielen wir auch nicht - wo sollte also das Geld für ein Eigenheim herkommen?
Rolf verdiente zwar als Werbeberater nicht nur die Brötchen, sondern auch noch die Butter dazu, aber andererseits bewies er auch die Richtigkeit jener Statistiken, nach denen die Durchschnittsfamilie mehr ausgeben könnte, als sie einnimmt - und das zumeist auch tut. Wir würden also vorläufig in unserer Vierzimmerwohnung bleiben, Frau Schmidt weiter ertragen und unsere Kinder zum Flüstern erziehen müssen, was zumindest bei Sascha ein aussichtsloses Unterfangen wäre. Er redete sehr viel. Und sehr laut. Und wenn man nicht sofort antwortete, brüllte er. Nach Rolfs Ansicht war er prädestiniert für eine Offizierslaufbahn bei der Bundeswehr.
Rolfs anfängliche Begeisterung für seine Rolle als Vater zweier Söhne war im Laufe der letzten Jahre merklich geschwunden. Seinen Erstgeborenen hatte er noch stolz im Kinderwagen spazierengefahren, hatte ihn gebadet und angezogen (»Ist doch ganz einfach! Sieh zu, daß du einen Knopf zu fassen bekommst, und warte dann, bis das Knopfloch erscheint!«), den ersten Zahn in Postkartengröße fotografiert und mit mir gewettet, daß Svens erstes Wort »Papa« und nicht etwa »Mama« sein würde (es war »Auto«). Er hatte die ersten Gehversuche seines Sohnes überwacht, freiwillig auf die Skatrunde verzichtet, um Svens Dreirad zu reparieren, und sämtliche Spielwarenverkäufer zur Verzweiflung getrieben. »Lehrreich? Was lehrt es denn, außer daß man heute für zehn Mark nicht viel bekommt!«
Als Sascha geboren wurde, entdeckte Rolf plötzlich, daß Brutpflege wohl doch eine überwiegend weibliche Tätigkeit sei und er außerdem genug damit zu tun habe, eben diese Brut zu ernähren. Das hinderte ihn aber nicht, stolz von »meinen Söhnen« zu reden, wenn sie von Gelegenheitsbesuchern bewundert wurden, und sie als »deine Bengels« zu apostrophieren, sobald sich Frau Schmidt wieder einmal lautstark bei ihm beschwert hatte.
Am Abend dieses Tages hießen sie ausnahmsweise einmal »unsere Kinder«.
»In einem Fünf-Familien-Haus können sich unsere Kinder wirklich nicht richtig entwickeln. Sie brauchen Freiraum, und sie brauchen die Möglichkeit, sich individuell zu entfalten«, dozierte Rolf, der sein vorangegangenes Lamento wegen der demolierten Lampe offenbar schon wieder vergessen hatte. Da war von »hemmungslosem Zerstörungstrieb« die Rede gewesen und nicht von Individualismus.
»Was hältst du von einem Umzug nach außerhalb? Ich habe da etwas an der Hand. Reihenhaus in einer Neubausiedlung am Stadtrand.«
»Am Stadtrand von Düsseldorf?« fragte ich verblüfft, denn diese Gegenden waren dem Geldadel vorbehalten und fest in Industriellenhand.
»Natürlich nicht«, dämpfte Rolf meinen Optimismus, »aber gar nicht so weit weg davon. Der Ort heißt Monlingen und liegt an der Strecke nach Opladen.«
»Aha! Und wo liegt Opladen?«
»In Richtung . Du hast aber von Heimatkunde auch nicht die geringste Ahnung!« Rolf erhob sich kopfschüttelnd und suchte im Bücherschrank nach dem Autoatlas. Er schlug eine schon etwas zerknitterte Seite auf und wies mit dem Finger auf ein winziges Pünktchen. »Das ist Monlingen. Und etwa hier« - der Finger wanderte noch einen Zentimeter westwärts - »steht die Reihenhaussiedlung.«
»Also so eine Art Grüne-Witwen-Getto?«
»Blödsinn! Eine ganz normale Neubausiedlung mitten im Grünen.«
»Wie grün?«
»Was soll das heißen, wie grün? Vermutlich mit Büschen und Bäumen, weil die Gärten noch nicht angelegt sind.«
»Auf gut deutsch heißt das also, du hast dieses Dorado noch gar nicht gesehen?«
»Nur auf dem Bauplan, aber es ist genau das, was wir brauchen!« Nun gehen unsere Meinungen über »das, was wir brauchen«, meist ziemlich auseinander. Als wir unsere erste Polstergarnitur kauften, begeisterte Rolf sich für sandfarbenen Velours, während ich für dunkelbraunes Leder plädierte. Sven war damals gerade ein Jahr alt!
Steht die Anschaffung eines Schrankes zur Debatte, entscheidet Rolf sich garantiert für eine Konstruktion aus einzelnen Teakholzbrettern, worin außer Büchern noch drei enggefaltete Tischdecken und notfalls ein halbes Dutzend Weingläser Platz haben - nicht gerechnet die zahllosen Schlingpflanzen, die dieses Möbel im Prospekt so dekorativ machen. Ich suche aber nach Schubladen, verschließbaren Türen sowie nach unsichtbaren Ablagemöglichkeiten für Streichholzschachteln, Matchboxautos und Bügelwäsche.
Von einem idealen Haus erwartete ich denn auch schalldichte Wände, eine gefederte Treppe, die unseren derzeitigen Verbrauch an Heftpflastern etwas...
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