Das klassische Zeitalter Indiens
Um 400 v. Chr. wurde in Maghada das Nanda-Reich gegründet, das nahezu den gesamten Norden des heutigen Indiens umfasste. Das Reich galt als sehr modern und dennoch sehr kurzlebig. Die Nanda-Dynastie erlosch kurz nach dem Einfall durch den griechischen bzw. makedonischen Feldherrn Alexander den Großen in Indien und wurde von Chandragupta Maurya abgelöst. Dies gilt als die Geburtsstunde des Maurya-Reiches, eines der größten und mächtigsten Staatsgebilde in der Geschichte des Subkontinents, das ebenfalls in Maghada seinen Ursprung hatte. Chandragupta kämpfte gegen Alexanders Truppen, die im Tal des Indus nach dessen Feldzug zurückgelassen wurden. Nicht nur als Feldherr machte sich der erste König Mauryas einen Namen. Er galt als geschickter Diplomat, der mit dem griechischen Militärführer ausgeklügelte Verträge aushandelte. Unter Chadraguptas Enkel Ashoka erreichte das Maurya-Reich seine Blütezeit und größte Ausdehnung. Es soll eine Fläche von 5 Millionen Quadratkilometern umfasst und eine Einwohnerzahl von etwa 60 Millionen Menschen gehabt haben. Dies hätte Maurya zum bevölkerungsreichsten Staat der Antike gemacht. Ashoka war ideologisch seiner Zeit voraus. Er konvertierte zum Buddhismus und machte das Prinzip des Friedens zur Staatslehre. Gewalt wurde abgelehnt und Konflikte wurden friedfertig beigelegt. Auch auf die Unterstützung von Hilfsbedürftigen wurde ein Schwerpunkt gelegt. Seine Herrschaft beschreibt eine Form der Staatsführung, die in den europäischen Großreichen der Antike unbekannt war.
Brihadratha war ein Enkel Ashokas und der letzte Vertreter der Maurya-Dynastie. Im Jahre 185 v. Chr. wurde er durch seinen General Pushymitra entmachtet und die Maurya-Dynastie erlosch. Dieser "Putsch" markierte den Beginn des Shunga-Reiches, über das jedoch kaum Einzelheiten überliefert sind. Dieses Königreich hatte mit Pataliputra und Vidisha zwei große Metropolen. Die Armut an Quellen macht diese Zeit zum Gegenstand vieler Spekulationen. 73. v. Chr. wurde der amtierende König Devabhuti auf den Befehl seines Ministers Vasudeva durch einen Sklaven ermordet. Dies machte ihm den Weg zur Spitze des Reiches frei. Es folgte die sehr kurze Kanva-Dynastie, die nur 45 Jahre währte. Der Beweis, dass diese Herrscherlinie überhaupt existierte, ist nur dank der Erwähnung in den Puranas, den heiligen Schriften im Hinduismus, belegbar. Des Weiteren wurden Münzen gefunden, die während der Kanva-Dynastie geprägt wurden. Schon zu diesem Zeitpunkt besaß das einst große Reich nicht mehr die ursprüngliche Ausdehnung. Das Staatsgebiet zerfiel zumindest teilweise in separate Königreiche und Fürstentümer. Die Kanva-Dynastie wurde von den Shatavahana aufgelöst, die im zentralindischen Hochland seit 230 v. Chr. ihr eigenes Reich aufbauten. Die Shatavahanas wurden auch als Andhras bezeichnet, was auf eine ursprüngliche Herkunft in der gleichnamigen Region hindeutet. Andhra Pradesh ist auch heute noch ein Bundesstaat Indiens. Durch die Eroberer aus Zentralindien wurde das einst bedeutende Maghada zu einer Stadt in der Peripherie des Shatavahana-Reiches degradiert, dessen Zentrum die heutige Millionenstadt Nashik war. Das Shatavahana-Reich galt als modern. Die Herrscher unterstützten sowohl Brahmanen als auch Buddhisten finanziell. Auch das Bankwesen erlebte einen Aufschwung. So etablierten die Shatavahanas beispielsweise Zinsen. Das Reich währte bis etwa 220 n. Chr. Noch im 2. Jahrhundert wuchs der Einfluss in Zentralindien beachtlich, beispielsweise durch den Zusammenschluss mit der Nachbarregion Maharashtra, der aber genauso schnell wieder schwand. Es bahnte sich ein Konflikt mit den Saken an, die als Nomaden die Steppen Nordostindiens und Mittelasiens bewohnten. Sie galten als Vasallen des Kuschana-Reiches, einem großen Imperium im nordöstlichen Teil Indiens, das bis in seiner größten Ausdehnung um 250 n. Chr. bis ins heutige China reichte. Aus der dortigen Provinz Yuezhi entstammten auch die Herrscher von Kushana, indogermanische Nomaden. Diese Epoche wird von der indischen Geschichtsschreibung als "dunkles Zeitalter" eingestuft, da Kushanas als Fremdherrscher wahrgenommen wurden. Auch die Übernahme des griechischen Alphabets wurde als Zeichen einer Fremdbestimmung gewertet. Dennoch brachte die Regierungsform der Kushanas einen Aufschwung in der Region. Es gab reichhaltige Handelsbeziehungen zu China und auch mit Rom bestanden diplomatische Kontakte, die nicht immer unbeschwert waren. So beklagten sich römische Beamte über den Umstand, dass die Kushanas keine eigenen Münzen fertigten, sondern römische Sesterzen umprägen ließen. Auf diesen Münzen fand sich bereits die Bezeichnung "Maharaja" als Herrschertitel. Für das straffe Verwaltungssystem der Römer war dies ein Ärgernis. Nicht nur das Kushana-Reich, auch das Shatavahana-Reich pflegte enge Handelskontakte zum römischen Imperium. Exportiert wurden vor allem Luxusgüter: Elfenbein, Edelsteine, Seide, Gewürze und wohlriechende Parfüms gingen von Nordost- und Südindien nach Mitteleuropa. Die Handelsbilanz war unausgeglichen. Es gab in Indien keine vergleichbare Nachfrage an römischen Handelsgütern wie Glas oder Kupfer, so dass die Römer die importierten Güter mit Goldmünzen bezahlten, denen oben genanntes Schicksal widerfuhr und die somit aus dem Finanzkreislauf verschwanden. Diese negative Bilanz sorgte u.a. in Rom für eine echte Wirtschaftskrise. Warum das Kushana-Reich letztendlich um 250 n. Chr zum Niedergang verurteilt war, bleibt auch heutigen Historikern verborgen.
Exkurs: Der Maharaja
Im Feudalsystem der indischen Vergangenheit bestand eine schier unübersichtliche Zahl von Adelstiteln und Prädikaten. Der wohl bekannteste Titel hinduistischer Adelslinien ist der Maharaja, der auch in der eingedeutschten Version als Maharadscha geläufig ist. "Raja" ist hier der wichtigste Teil des Titels und bedeutet "König". Das "Maha" bedeutet "groß" - somit ist der Maharaja ein Großkönig. Die schlichtere Bezeichnung "Raja" wurde jedoch häufiger verwendet. Interessant ist, dass ein jeder männliche Spross des Rajas einen eigenen Titel führen durfte. Und davon gab es meist eine größere Anzahl. Der älteste Sohn eines Rajas wurde als Kronprinz Rajkumar genannt, Der Zweitgeborene bekam den Beinamen Diwan, Drittgeborene wurden Thakur genannt, Viertgeborene Lal und der fünfte Sohn Babu. Für die Töchter gab es wohl keine besonderen Namen, aber für weibliche Herrscher allemal. Saß eine Frau auf dem Thron hieß sie Rani bzw. Maharani.
Die Shatahavana gerieten in Streit mit den nomadisch lebenden Shaka, die ihrerseits Vasallen des Kushana-Reiches waren. Zwar schlugen die Shatahavana die Shaka, dennoch war die Nachfolgezeit von Unruhen geprägt. Anfang des 3. Jahrhunderts zerfiel das Reich in mehrere Fürstentümer. Es folgte das "Goldene Zeitalter". Denn unmittelbare Nachfolger der Shatahavanas waren die Dynastie Gupta und dessen Gegengewicht, die Vakataka.
Das Gupta-Reich währte von etwa 320. n. Chr. bis 550 n. Chr. und gilt gemeinsam mit Maurya und Kuscha als Inbegriff der Indischen Antike. Nach dem Zerfall der Reiche Kushana und Shatahavana herrschte in Indien Vielstaaterei und keine Einheit. Die Könige von Gupta, die aus dem Bengalen im Nordosten Indiens stammten, gelang es, den politischen Flickenteppich erneut zu einen. Der Name des Begründers der Dynastie lautete Chandragupta I.. Diese Aussage ist jedoch mit Vorsicht zu genießen. Denn in den überlieferten Quellen (zum Beispiel auf Münzen) sind lediglich keine anderen potentiellen Herrscher vor Chandragupta genannt. Über seine Regentschaft ist wenig bekannt, offensichtlich residierte er in Patna, das heute eine Stadt mit fast zwei Millionen Einwohnern ist. Weitaus mehr Details sind über seinen Sohn Samudragupta bekannt, der sich als erfolgreicher Feldherr einen Namen machte. Durch zahlreiche Feldzüge einte er den vormals politisch zersplitterten Subkontinent. Inschriften auf Steinsäulen ist zu entnehmen, dass er Feldzüge in Sri Lanka und dem nördlichen Iran durchführte. Wichtiges Propagandamittel waren seinerzeit Münzen, die Samudragupta als echten Helden stilisierten. Abbildungen auf Goldmünzen zeigen ihn nicht nur als versierten Feldherrn, sondern auch als Künstler. Er gab sich den Titel Maharajahiraja Paramabhattaraka, was frei übersetzt "Großkönig der Könige" bedeutet. Für die Gupta-Dynastie waren Münzen und Titel ein wichtiger Teil der Legitimation.
Trotz der Erfolge und Eroberungen Samudraguptas war das Reich der Gupta noch keine Großmacht, sorgte aber durch die Einigungen der autonomen Fürstentümer für eine politische Stabilisierung. Zu einem echten Imperium wurde das Reich erst unter Samudraguptas Sohn, Chandragupta II.. Neben militärischer Stärke brachte er ein weiteres Mittel zum Erhalt der Macht ins Spiel: Die Diplomatie. Durch geschickte und gezielte Verheiratungen schuf er Nähe zur rivalisierenden Vakataka-Dynastie, die ein Reich beachtlicher Größe in Südindien geschaffen hatten. Chandragupta II. gab seine Tochter zur Heirat in das südliche Reich. Fortan bildeten Gupta und Vakataka eine Art von Allianz. Für Chandragupta II. war die Befriedung des Südens von Bedeutung: Im Nordosten warteten mit den nomadischen Shakas andere Feinde, deren Unterwerfung ein ausdrückliches Ziel war. Auch wollte der Gupta-Herrscher seinen Einflussbereich auf Westindien ausdehnen.
Zeitgenössische Chronisten, die den Alltag im damaligen Gupta-Reich beschrieben, lobten Chandragupta in höchsten Tönen. Händler und Beamte wurden durch das innenpolitische Geschick des Herrschers enorm wohlhabend, Kunst und Kultur blühten auf. In dieser Zeit wurden einige bedeutende Bauwerke wie Tempel errichtet, die bis heute bestehen. Auch der Hinduismus wurde erneuert, erfuhr eine neue Renaissance und der...