Schweitzer Fachinformationen
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Prof. Dr. Bernd Fitzenberger, Dr. Christian Kagerl, Daniel Terzenbach
Deutschland steht wirtschaftlich vor großen Herausforderungen, was sich auch auf den Arbeitsmarkt auswirkt. Trotz eines leichten Anstiegs der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung im Jahr 2024 auf knapp 35 Millionen zeigt sich im produzierenden Gewerbe eine gegenläufige Entwicklung: Hier sank die Zahl der Beschäftigten im selben Zeitraum um rund 100 000 auf insgesamt etwa neun Millionen, was die Debatte um eine Deindustrialisierung befeuert. Die globale Wirtschaftslage und die sinkende Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands (Fitzenberger und Kagerl, 2025) verstärken diesen Trend und setzen weitere Arbeitsplätze unter Druck. Ein Indikator dafür ist die Arbeitnehmerüberlassung: Die Zahl der dort Beschäftigten sank 2024 um knapp 12 Prozent. Gleichzeitig reduziert sich die Nachfrage nach Arbeitskräften deutlich. Laut IAB-Stellenerhebung fiel die Zahl der offenen Stellen von einem Höchststand von zwei Millionen im vierten Quartal 2022 auf 1,4 Millionen im vierten Quartal 2024. Als Folge davon steigt die Arbeitslosenquote an.
Dennoch bleibt das Phänomen des Arbeits- und Fachkräftemangels bestehen. Trotz des durch die Rezession bedingten Rückgangs an offenen Stellen bleibt der Anteil der unbesetzten Stellen für qualifizierte Tätigkeiten konstant hoch: Laut IAB-Betriebspanel1 lag er 2024 bei 41 Prozent (2023: 42 Prozent). Insgesamt berichten 30 Prozent aller Betriebe und drei Viertel der Großbetriebe mit mehr als 250 Beschäftigten von offenen Stellen, die kurzfristig nicht besetzt werden können. Bereits heute - und in den nächsten Jahren immer stärker - werden die rapide Alterung der Bevölkerung und das Ausscheiden der Babyboomer-Generation zu erheblichen Lücken auf dem Arbeitsmarkt führen, die durch nachrückende Jahrgänge nicht geschlossen werden können. Projektionen von Schneemann et al. (2025) deuten darauf hin, dass 2040 gegenüber 2023 die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (15 bis 64 Jahre) bundesweit um circa 5 Prozent zurückgehen wird. Bis auf die beiden Stadtstaaten Berlin und Hamburg soll die Zahl an erwerbsfähigen Personen in allen anderen Bundesländern zurückgehen, am stärksten in Sachsen-Anhalt und Thüringen, um etwa 15 Prozent. Die Transformationsprozesse Digitalisierung und Dekarbonisierung sowie die geo- und handelspolitischen Spannungsfelder treiben neben der demografischen Alterung der Erwerbsbevölkerung zusätzlich die Veränderung von Wirtschaft und Arbeitsmarkt an und erfordern mehr Stellenwechsel und Qualifizierung.
Wie Abbildung 1.1 illustriert, sind aber die tatsächlichen Personalbewegungen in deutschen Betrieben in den letzten Jahren nicht angestiegen, was in einem dynamischen Transformationsprozess und angesichts einer öffentlichen Diskussion um Stellenabbau zu erwarten wäre. Tatsächlich ist der Anteil an Betrieben mit Personalzugängen und -abgängen seit 2022 sogar gesunken. Ähnlich verhält es sich in den letzten Jahren mit den Personalbewegungen - wie es für eine schwache Rezession typisch ist. Während ein Rückgang der Personalzugangsrate angesichts der Wirtschaftsschwäche in den letzten zwei Jahren eher naheliegt, überrascht hingegen der Rückgang der Personalabgangsrate auf den ersten Blick. Bemerkenswert ist zudem, dass ein höherer Anteil an Betrieben Personalzugänge als -abgänge hat und dass die Zugangsrate weiterhin deutlich über der Abgangsrate liegt, das heißt, im Durchschnitt scheinen Betriebe trotz Wirtschaftsschwäche weiter zusätzliche Personalbedarfe zu decken.
Abbildung 1.1: Personalbewegungen in BetriebenQuelle: IAB-Betriebspanel/Schwengler (2025). Die zugrundeliegende Frage im IAB-Betriebspanel bezieht sich auf die erste Hälfte des jeweiligen Jahres.
Der Blick auf die Personalbewegungen offenbart zudem, dass der Begriff »Stellenabbau« mitunter nicht besonders präzise die Situation beschreibt. Zum Beispiel: In den Medien wird oft über den »Stellenabbau« von bekannten Großunternehmen berichtet. In vielen Fällen gibt es dabei allerdings keine betriebsbedingten Kündigungen - diese sind manchmal durch Vereinbarungen mit der Arbeitnehmervertretung ausgeschlossen. Stattdessen wird die Anzahl der Beschäftigten über die natürliche Jobfluktuation über mehrere Jahre hinweg reduziert. Beschäftigte verlassen das Unternehmen freiwillig oder gehen in den Ruhestand, und deren Stellen werden nicht wiederbesetzt.
Daher kann der Stellenabbau (zumindest teilweise) als Problem des Stellenaufbaus verstanden werden. Beschäftigte in Arbeit haben weiterhin eine relativ hohe Jobsicherheit, während es für Arbeitslose immer schwieriger wird, eine Anstellung zu finden. Der oben genannte Rückgang der offenen Stellen ist ein Indikator dafür, ebenso der geringe Zugang an neuen offenen Stellen. Ende 2024 war, parallel zur Entwicklung der offenen Stellen laut IAB-Stellenerhebung, die Anzahl an neu gemeldeten Stellen bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) so gering wie seit über einem Jahrzehnt nicht mehr. Zahlen der BA-Statistik zu den Abgängen aus Arbeitslosigkeit illustrieren die Schwierigkeiten von Arbeitslosen, in Beschäftigung zu kommen. So ist die Chance, die Arbeitslosigkeit durch eine Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zu beenden, Ende 2024 ebenfalls historisch gering.
Vor diesem Hintergrund analysiert der folgende Beitrag die Ursachen für das gleichzeitige Auftreten von Stellenabbau und Fachkräftemangel. Dieses Spannungsfeld wird angesichts der projizierten demografischen Entwicklung weiterhin bestehen. Anschließend werden mögliche Gegenmaßnahmen erörtert, welche die Mechanik des Zusammenfindens von Stellen und Bewerbenden substanziell ändern würden. Die heute bestehenden Passungsprobleme am Arbeitsmarkt - im Folgenden mit dem Begriff Mismatch bezeichnet - könnten in Zukunft reduziert werden, wenn notwendige Investitionen - als breit gefasster Begriff - zeitnah in Angriff genommen werden: einerseits mit Augenmerk darauf, wie Unternehmen selbst reagieren können, und andererseits auf die Optionen der Politik. Dabei nimmt dieser Beitrag sowohl wissenschaftliche Erkenntnisse als auch die praktische Umsetzung in den Blick.
Aus volkswirtschaftlicher Sicht stellt die Gleichzeitigkeit von Stellenabbau (oder weniger offener Stellen) und Fachkräftemangel keinen Widerspruch dar, sondern verweist auf strukturelle Unterschiede innerhalb des Arbeitsmarktes. Die Qualifikationen und Erwartungen der Arbeitssuchenden passen oft nicht zu den Anforderungen der offenen Stellen. Dieses sogenannte Passungsproblem lässt sich in zwei Hauptdimensionen unterteilen: qualifikatorische und regionale Diskrepanzen. Dabei sei darauf verwiesen, dass diese Einteilung in zwei Kerndimensionen illustrierenden Charakter hat. Im Einzelfall ist die Unterscheidung nicht notwendigerweise trennscharf, und es kann beide Diskrepanzen gleichzeitig geben.
Ein qualifikatorischer Mismatch entsteht, wenn für dringend gesuchte Berufe nicht ausreichend qualifizierte Bewerbende zur Verfügung stehen. Beispielsweise steigt die Nachfrage nach IT-Spezialistinnen und -Spezialisten, während viele Arbeitslose nicht über die erforderlichen Kenntnisse verfügen. Dieser Mangel an geeigneten Fachkräften ist auch Folge des strukturellen Wandels: Während in einigen Branchen Arbeitsplätze wegfallen, entstehen in anderen neue, häufig hochqualifizierte Jobs. Die betroffenen Arbeitskräfte können und/oder wollen jedoch oft nicht ohne Weiteres in diese neuen Bereiche wechseln.
Auch innerhalb von Betrieben kann dieser Wandel sichtbar werden. Ein Betrieb, der sich strategisch neu ausrichtet beziehungsweise sich in der Transformation befindet, könnte in einem Bereich Stellen abbauen, während er in einem anderen weiterhin Fachkräfte sucht. Empirisch lässt sich tatsächlich feststellen, dass beide Phänomene innerhalb desselben Betriebs auftreten. Im Betriebspanel 2024 haben Betriebe mit unbesetzten Stellen für qualifizierte Tätigkeiten (sprich diejenigen, die Fachkraftlücken haben) häufiger im selben Zeitraum Kündigungen ausgesprochen als Betriebe ohne Besetzungsprobleme. Dieser Zusammenhang bleibt auch dann bestehen, wenn wirtschaftszweig-, größen- und regionsspezifische Unterschiede berücksichtigt werden. In der »Arbeitsmarkt-Praxis« lässt sich diese Entwicklung vermehrt bei Betrieben beobachten, die in der Automobil-Zulieferer-Kette schwerpunktmäßig produzieren und nach der Corona-Pandemie rasch auf Diversifizierung ihrer Produktpaletten drängten.
Mismatch zwischen der Anforderung einer Stelle und den tatsächlichen Qualifikationen ist ein zentraler Grund für den Fachkräftemangel. Die Mehrheit der offenen Stellen setzt eine abgeschlossene Berufsausbildung oder ein Studium voraus. Demgegenüber sind mehr als 60 Prozent der Langzeitarbeitslosen ohne...
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