Schweitzer Fachinformationen
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26. November bis 12. Dezember 1921
Vor mir sah ich einen großen, wohlgebauten Mann, das Gesicht und das lange Haar mit Reif bedeckt - den ersten Mann, den ich traf im neuen Land.
Ende November sind die Reiseverhältnisse endlich so gut, dass wir uns auf die erste größere Reise machen können. Zwei Schlitten mit Peter Freuchen und dem Bootsmann und zwei Hilfsschlitten mit Arqioq und »Eidervogel«, welche nur das erste Stück des Weges mitfahren sollten, gehen voraus, um das Eis bei einer der Nunariarssuaq-Inseln zu untersuchen. Am folgenden Tage starte ich.
Am 26. November ist Nebel und Schneetreiben. Wir schlagen uns mit dem Presseis herum und können das neu gebildete glatte Wintereis nicht finden, auf dem wir sonst durch die Gorebai fahren. Wir plagen uns den lieben langen Tag.
Am folgenden Tage verfolgen wir den gleichen Weg auf den Hurdkanal zu, ohne Land zu sehen, aber doch im Klaren über die Richtung; bis zur Dunkelheit glückt es, uns bis nach der Georgina-Insel vorzuarbeiten.
Der Hurdkanal ist der schmale Sund, welcher die Vansittart-Insel vom Festland trennt. Festes Wintereis liegt nur in den Buchten an jedem Ende des Kanals, wo der Strom mit einer solchen Kraft durchschießt, dass schwere Eisschollen von dem noch offenen Roe's Welcome mit fünf bis sechs Meilen Fahrt angesegelt kommen.
Die hohen Berge, welche auf unserem Wege liegen, sind unpassierbar, und am nächsten Morgen müssen Arqioq und ich mit ein paar Schlitten hinaus, um einen Pass zu finden. Es ist eigentlich für Landfahrt zu früh im Jahre, der Schnee ist noch weich, noch haben sich keine festen Wehen über die steinigen Vorsprünge gelegt; manche Stellen, wo man im Winter eine gute Bahn findet, sind jetzt noch unwegsam; aber mit leeren Schlitten hat es keine Not. Die Hunde glauben sich draußen auf einem Jagdausflug und wittern mit den Nasenlöchern, wie wenn sie Hunderte von Gerüchen mit jeder kleinen Brise auffingen, die über uns dahinstreicht. Sie spitzen die Ohren, und sobald die Schlittenkufen gegen festen Schnee knirschen, fährt ein Zittern durch ihre jagdgestählten Körper.
Wir kommen über eine lange, schroffe Kluft und arbeiten uns zwischen großen Steinen vorwärts, bis wir ein flaches Hochplateau erreichen, wo ein See sich hinter dem anderen ausbreitet, nur abgetrennt durch schmale, höckerige Grate, welche unter den schlingernden Sätzen der Schlitten unsere Eingeweide unbarmherzig durcheinanderschütteln. Winde scheinen in diesen Pässen nicht selten zu sein. Deshalb sind die Seen noch blank und ohne Schnee; die Hunde, welche unaufhörlich in starken Galopp fallen wollen - toll und ausgelassen, weil die Schlitten so leicht sind -, breiten sich zu einem großen Fächer aus und nehmen im Laufen so gewaltsamen Abstoß mit den Pfoten, dass ihre Krallen sich durchs harte Eis wie Messer hindurchstoßen.
Die heutige Fahrt ist das, was wir eine Situationsfahrt nennen - sie geht durch neues Land, und niemals wissen wir, wann wir plötzlich am Rande eines Abgrundes halten müssen. Unaufhörlich wechselt das Terrain - hin über Seen, hinauf über Schluchten und wieder hinab mit der gleichen Fahrt und mit der gleichen zündenden Stimmung.
Aber plötzlich verstehen wir, ein jeder auf seinem Schlitten, dass etwas die Nasen der Hunde gestreift haben muss. Sie senken die Schwänze, ihre Hälse werden lang, und die Schnauzen fahren dicht über dem Schnee hin, um sich mit der neuen Entdeckung vollzusaugen. Bisher fuhren die Schlitten nebeneinander, sodass wir miteinander sprechen konnten, jetzt aber ist bald der eine vorne, bald der andere, die Fahrt wird ungleichmäßig. Wir poltern über einen Hügel, zu einem kleinen Sund hinunter, und da stehen die Hunde plötzlich und blicken sich verwirrt um. Sie haben die Geruchspur durchquert; jetzt können sie nichts mehr wittern und haben keine Hoffnung mehr, das Wild oder das Futter aufspüren zu können, gegen das sie vorher ihre Schnauzen richteten. Aber wir müssen das Rätsel lösen. Wir springen vom Schlitten und laufen zu einem Steinhaufen hin, wo das Geheimnis der Hunde sich wohl verbergen muss. Wir springen von Stein zu Stein, und nun können selbst unsere schwachen Nasen einen süßen Duft auffangen. Es ist verwesendes Fleisch, und richtig: Wir finden einen ganzen Seehund vom letzten Frühjahr fein säuberlich in einem Fleischdepot von mächtigen Dimensionen niedergelegt.
Ich glaube, der größte Reiz beim Reisen ist der, dass wir in den Begebenheiten des Tages eine unverdorbene Kindlichkeit bewahren, eine Fähigkeit, frisch und ursprünglich zu erleben, und deshalb sehen Arqioq und ich uns jetzt an und rufen bloß die selbstverständlichen Worte: »Endlich, endlich Menschen!«
Und wir wiederholen dies immer wieder lachend und ausgelassen, denn jeden Tag, der vergangen ist, seit wir im September hierhergekommen sind, während der Jagden im Oktober und November, sind Menschen unser einziger Gedanke gewesen. Wir waren nicht hierhergekommen, um das grönländische Leben fortzusetzen und dieselben Jagdabenteuer zu erleben, unter denen wir in unserem alten Lande aufgewachsen sind. Menschen waren es, die wir finden wollten, und zusammen mit neuen Menschen wünschten wir neue Schicksale dem täglichen Leben hinzuzufügen.
Eine wohlgefüllte Fleischgrube ist aber noch lange kein Wohnplatz; doch sind wir auf dem richtigen Wege, und als die Freude abgekühlt war und die roten Rachen der Hunde sich im kalten Schnee gekühlt hatten, setzten wir unsere Reise weiter über Land fort, um den Pass zu finden, von dem aus wir die Strecke für den nächsten Tag übersehen konnten.
Als die Sonne am höchsten stand, waren wir endlich so weit gekommen, dass wir Übersicht über die offene Frozenstraße nach der Southamptoninsel hatten; wir konnten sehen, dass ein schmaler Streifen neu gebildeten Wintereises sich wie eine weiße Kante die ganze Küste entlang nach Westen zog. Die Fahrt zum Eis hinab würde leicht sein, und wir würden in weniger als einem Tage die Halbinsel durchqueren können.
Dann wandten wir uns mit der fröhlichen Botschaft zu den Kameraden zurück. Wir nahmen das letzte Presseis draußen vor der kleinen Bucht, wo wir die Schneehütte gebaut hatten, mit der gleichen Geschwindigkeit, mit der wir abgefahren waren, und als die Kameraden herauskrabbelten, um uns in Empfang zu nehmen, sahen wir an ihren Armbewegungen, dass auch sie eine große Neuigkeit für uns hatten: Freuchen hatte einen Schlitten von dem berühmten Hudsonbaityp gefunden, und zwar auf Land bei einer kleinen Bucht gleich gegenüber unserer Schneehütte. Ein fantastischer Schlitten, sechs Meter lang, drei viertel Meter breit und so schwer, dass man sich überhaupt nicht vorstellen konnte, wie gewöhnliche Hunde ihn ziehen sollten. Außerdem war die ganze Gegend um das Lager voll von Steinwällen, Warten und Zeltringen, und selbst wenn diese auch einige hundert Jahre alt sein konnten, so zeigte doch der Schlitten, welcher noch frische Bindungen hatte, und ein Depot von Rentierhaut und Kleidern, welches sich daneben fand, dass wir uns jetzt bei den Verkehrswegen der neuen Eskimos befinden mussten.
In diesem gewichtigen Stoff von Neuigkeiten ertrank die Mitteilung vollständig, dass der Hurdkanal voll von Seehunden war und dass sowohl »Eidervogel« als auch der Bootsmann jeder mit einem specktriefenden Fang heimgekommen war. In dieser Nacht nahmen wir in unserer Fantasie einen großen Vorschuss auf die Freuden der kommenden Expeditionsjahre, und keiner von uns ging zur Ruhe, bevor es Morgen war und ein fegender Schneesturm vorläufig jeden Gedanken an Aufbruch unmöglich gemacht hatte.
Der Schneesturm, welcher uns zu einem Zeitpunkt aufhielt, wo Untätigkeit ein wirklicher Schmerz war, währte vierundzwanzig Stunden. Als wir dann endlich unsere Last auf die andere Seite der großen, hügeligen Halbinsel transportiert hatten, hatte der Wind sich derart in die Eiskante gefressen, welche am Tage der Erkundung so vielversprechend vor uns gelegen war, dass wir mit Enttäuschung alle Landzipfel in dunkle, aus dem offenen Wasser steigende Frostnebel eingehüllt sahen. An manchen Stellen hatte massenhaft neu geborstenes Wintereis sich quer vor unseren Weg gelegt; da es mit all seinen nackten Zacken schneefrei war, mussten wir oft einander helfen, um unsere Schlitten nicht in tausend Stücke zu fahren. Und doch geschah es einmal während einer solchen schwierigen Passage, dass die Hunde wegen einer Herde Rentiere auf dem Eis wild wurden: Freuchen wurde zu einem unfreiwilligen Hindernislauf gezwungen, welcher damit sein Ende fand, dass sein Schlitten von einer hohen Eisscholle aus einen Luftsprung machte. Der Schlitten fiel wie ein Schiff, welches gegen die Klippen geschleudert wird, und zerschmetterte. Nach einer vorläufigen Reparatur mussten wir daher vor einer großen Bucht, wie wir später entdeckten, der Havilandbai, Lager suchen; hier wurde eine Schneehütte gebaut und der Schlitten repariert.
Währenddessen ging ich bergauf, um einen Überblick über die Strecke zu erhalten. Die Bucht war so breit, dass man knapp das flache Land auf der anderen Seite gewahren konnte. Ihr Abschluss war von hohen, vorspringenden Vorgebirgen verdeckt. Bis aufs offene Wasser hinaus war es nicht weit, das Fördeneis, welchem wir folgen sollten, um nach der Repulsebai zu kommen, war flach und leicht befahrbar. Nicht mehr als fünfzehn Kilometer vor uns stand gegen...
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