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Für gläubige Menschen manifestierte sich das Böse jahrhundertelang in der Gestalt des Teufels und seiner Dämonen. Doch das Böse ist viel banaler - und auch raffinierter. Es kann überall nisten, hinter einem scheinbar freundlichen, zugewandten Blick, hinter den Gardinen eines vermeintlich gutbürgerlichen Hauses, hinter der Fassade eines Lebens, das solide und moralisch gefestigt erscheint. Irgendwo lauert das Bestialische, vielleicht gerade dort, wo wir es am allerwenigsten erwarten.
Und so kann jeder Opfer werden. Manchmal sucht sich der Täter aus seinem persönlichen Umfeld seine Opfer, um sie bei einer sich ihm bietenden Gelegenheit gezielt anzugreifen. Andere werden zum Opfer, weil sie zufällig den Weg eines Gewalttäters streifen, der auf eine Gelegenheit lauert, um seine Fantasien auszuleben.
Das Böse ist überall.
Es kann zum Beispiel daherkommen in der Person des Hans-Jürgen S. Der Mann ist ein 64 Jahre alter Maurer, der zusammen mit seiner 90-jährigen Mutter in einem Reihenhaus wohnt. Hierhin ist er nach der Trennung von seiner Frau, mit der er zwei Töchter hat, gezogen. Die Nachbarn beschreiben den Norddeutschen als "auffällig unauffällig". Er ist bereits Großvater. Groß und stämmig ist er, mit gepflegten grauen Haaren und grauem Bart. Bilder von früher zeigen ihn mit wuscheligem vollem Schopf und einem dunklen Vollbart. Er spielte damals in einer Fußballmannschaft, galt aber eher als Einzelgänger.
Am 5. April 2011 nehmen Beamte der Mordkommission Kiel den Handwerker in Henstedt-Ulzburg fest: Hinter der gutbürgerlichen Fassade verbirgt sich ein Serienmörder. Auf seine Spur kommt die Mordkommission, als 2010 ein sogenannter Cold Case wieder aufgerollt wird. Es handelt sich um einen Mordfall aus dem Jahr 1984. Die achtzehn Jahre alte Schwesternschülerin Gabriele S. wurde vergewaltigt und dann mit ihrem eigenen Schal erdrosselt. Nun, sechsundzwanzig Jahre nach dem Mord, führt die Polizei DNA-Reihenuntersuchungen durch. Männer aus dem Umfeld des Opfers müssen Speichelproben abgeben, die mit DNA-Spuren vom Tatort abgeglichen werden. Dabei fällt den Experten des Landeskriminalamts eine Probe auf, die zwar nicht identisch ist mit jener vom Tatort. Doch die Spezialisten sind sich sicher, dass bei einem sehr nahen Verwandten der Treffer mit der hundertprozentigen Übereinstimmung zu finden sein wird. Und tatsächlich: Es war der Bruder. Dieser war bei der Polizei kein Unbekannter. Nach der Vergewaltigung einer Hamburger Prostituierten hatte er 1994 eine einjährige Bewährungsstrafe erhalten.
Nach seiner Festnahme gesteht Hans-Jürgen S. sehr schnell die Vergewaltigung und den Mord an Gabriele S. - und überrascht die Beamten, als er kurz danach vier weitere Verbrechen zu Protokoll gibt. Es sind Morde, die er zwischen 1969 und 1984 im Hamburger Norden und in Schleswig-Holstein begangen hat, auch sie aus sexueller Motivation. Er hatte seinen Zufallsopfern im Bereich von Bushaltestellen oder in der Nähe von Diskotheken aufgelauert. Zwei dieser Sexualmorde ereigneten sich 1969 in Hamburg-Langenhorn, die weiteren in den Jahren 1970 und 1972. Mit dem Verbrechen an Gabriele S. beging Hans-Jürgen S. dann schließlich seine letzte Tat.
Der Schleswig-Holsteiner ist nun endlich, zweiundvierzig Jahre nach seinem ersten und siebenundzwanzig Jahre nach seinem letzten Mord, gefasst. Dass er selbst nach wie vor unter hohem inneren Druck stand, ist daraus abzulesen, dass er nach seiner Festnahme alle weiteren Morde aus eigenem Antrieb berichtete. "Er wollte reinen Tisch machen", sagt der Chef der Mordkommission. Über seine Anwälte lässt Hans-Jürgen S. später ausrichten, dass er die Zeit zwischen 1969 und 1984 nunmehr "als eine unfassbare Phase seines Lebens" empfinde. Er sei inzwischen "ein anderer Mensch" geworden.
"Es ist über mich gekommen. Ich habe die Kontrolle verloren." Dies sind seine Angaben in den Vernehmungen. Seinen ersten Mord beging er im Frust auf Frauen, von denen er immer Absagen kassiert habe. "Da hat das Mädchen dran glauben müssen", sagt er lapidar über den ersten Fall von 1969. Später gab es Probleme in seiner Ehe, die ihn zu den nächsten Verbrechen trieben.
Der Richter beschreibt den zweifachen Vater und Großvater als einen Mann, der schon als Jugendlicher Frauen gegenüber unsicher war. Mit siebzehn Jahren entwickelte er dann sexuelle Gewaltfantasien. "Er träumte nachts im Halbschlaf, Mädchen mit Gewalt zu nehmen, und fühlte das wie einen Zwang", sagt der Richter in seiner Urteilsbegründung. "Dabei stellte er sich Situationen vor, in denen die Mädchen sich nicht wehren oder nicht schreien konnten." Die ersten vier Opfer hat Hans-Jürgen S. stranguliert. Zwei seiner Opfer aus dem Jahr 1969 wurden in der Hamburger Rechtsmedizin obduziert. Die schon damals durchgeführten sehr umfangreichen, aber letztlich unspezifischen spurenkundlichen Untersuchungen ergaben lediglich einen Spermiennachweis sowie Blutgruppenmerkmale. Der DNA-Abgleich war noch lange nicht "erfunden".
Die Angehörigen der Opfer schildern im Zusammenhang mit dem Mordprozess von 2011 in Kiel die Traumata der Familien. Auch noch drei und vier Jahrzehnte nach den Taten waren die Verbrechen ein Thema in den Familien. Der Verlust des geliebten Menschen, die Frage nach dem Warum und der quälende Gedanke, dass der Täter noch frei herumläuft: Sie haben die Angehörigen nicht zur Ruhe kommen lassen. Jetzt endlich können die Familien einen Abschluss finden. Ein besonderes Problem: Zeitweise vermutete die Polizei den Täter im Umfeld der Familie. So wurde der Albtraum noch schlimmer und belastender.
Der Serienmörder, der fünf Frauen getötet hat und erst siebenundzwanzig Jahre nach der letzten Tat überführt worden ist, erhält vom Kieler Landgericht eine lebenslange Freiheitsstrafe (ohne dass die sogenannte "Schwere der Schuld" festgestellt wurde). Insofern könnte Hans-Jürgen S. theoretisch nach fünfzehn Jahren, wenn er achtzig Jahre alt ist, wieder in Freiheit kommen.
Ein anderer Mann hat für einen Sexualmord, den er nicht begangen hat, einunddreißig Jahre unschuldig im Gefängnis verbracht. Dirk K. wurde um sein halbes Leben betrogen. Für einen Mord im April 1985 an einem sieben Jahre alten Jungen war er 11 000 Tage lang der Freiheit beraubte. In einem spektakulären zweiten Verfahren erfolgte schließlich der Freispruch.
Eine Woche nach dem Gewaltverbrechen, bei dem ein kleiner Junge halb entkleidet und tot in einem Gebüsch gefunden worden war, hatte die Polizei den Aushilfsgärtner Dirk K. festgenommen. Er geriet in Verdacht, weil er schon früher sexuelle Kontakte zu Jungen gesucht hatte. Der junge Verdächtige ist geistig behindert, sein Intelligenzquotient wird auf 74 eingestuft. Bei intensiven Vernehmungen gesteht er die Tat sehr pauschal und wird dann nach einer sehr kurzen Verhandlung verurteilt. Wegen seiner intellektuellen Einschränkungen gilt der junge Mann als schuldunfähig; er wird in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen, zeitlich unbegrenzt. Bei der Gerichtsverhandlung und später immer wieder widerruft der Mann sein Geständnis und beteuert seine Unschuld.
Er wird deswegen als uneinsichtig sowie nicht therapierbar eingestuft. Für ihn und seine psychiatrischen Gutachter ist dies eine Art Teufelskreis. Der Eingesperrte fühlt sich unschuldig und ist ja auch unschuldig. Aber die Gutachter stufen dies als Lebenslüge ein, weil sie davon ausgehen, dass die Feststellungen im Gerichtsurteil zutreffen. Dadurch wird eine ansonsten mögliche positive Prognose verhindert. Und so verbleibt dieser Mann drei Jahrzehnte lang hinter den Mauern, den verschlossenen Türen und Gitterstäben des Gefängnisses, bis sein neuer Anwalt und die Hamburger Rechtsmedizin diesen Fall nach so langer Zeit völlig neu aufrollen.
Anlass dazu ist ein Geständnis, das ein anderer junger Mann aus freien Stücken zunächst bei seiner Psychiaterin, dann auch bei einem Anwalt und bei der Staatsanwaltschaft ablegt, welches im Detail zu den objektiven Beweismitteln passt. Insbesondere geht es dabei um die Verletzungen und die Todesursache des Jungen. Das Gericht hatte Messerstiche in den Hals noch als postmortale Tiereinwirkung abgetan. Von diesen sehr speziellen Halsverletzungen hatte der ursprünglich Verurteilte in seinem Geständnis nie etwas erwähnt. Eine Reihe weiterer Details unter anderem im Hinblick auf das Verletzungsmuster des getöteten Jungen führen letztlich dazu, dass der Mord an dem kleinen Jungen neu aufgerollt wird.
Jetzt wird Dirk K. vom Landgericht Dortmund freigesprochen und erhält eine hohe Entschädigungssumme für die erlittene Zeit hinter Gittern. Das Fehlurteil hat einen Mann getroffen, der sich wegen seiner geistigen Einschränkungen kaum wehren konnte. Umso mehr muss beeindrucken, was der Beschuldigte in seinem letzten Wort, das von seinem Verteidiger verlesen wird, sagt. Er beteuert erneut, er habe den Jungen nicht getötet: "Der Mörder läuft frei herum."
Und der Mord an dem...
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