Schweitzer Fachinformationen
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18. Juli 1995, 18:02 Uhr
»Papillon? Was soll denn das sein? Klingt wie ein James-Bond-Gspusi aus einem Agententhriller.«
»Wenn das dein größtes Problem ist, ist ja alles gut«, erwiderte er, schaltete in den fünften Gang und beschleunigte das graue Mercedes-Coupé.
Bald würde er sich wieder einbremsen müssen. Nach der Abzweigung nach Oggau dauerte es nicht lange, bis sie die Ortseinfahrt nach Schützen erreichten. Es wurde wirklich Zeit, dass hier eine Umgehungsstraße gebaut wurde. Aber um die Herausforderungen der Verkehrsinfrastruktur im Nordburgenland mussten sich andere kümmern. Sie waren heute in einer anderen Mission unterwegs.
»Wie lange kennst du diese Frau schon?«
Er antwortete nicht sofort. Und immer wenn das so war, wusste Wolfgang, dass da etwas war. Fremden gegenüber hatte Hans keinerlei Scheu, aus dem Stand heraus die wildesten Lügengeschichten zu erfinden. Das tat er genauso in der Familie. Doch sein eigener Bruder hatte mit der Zeit ein Sensorium dafür entwickelt, wenn ihm Hans eine Lüge auftischen wollte. Dann ließ er sich Zeit, suchte nach Worten, wägte ab.
Nach all den Jahren war es immer noch wie damals in ihrer Kindheit. Hans, der Ältere von beiden, der die Verantwortung trug und dafür sorgte, dass alles seine Ordnung hatte. Eine Ordnung, die Hans für richtig hielt und für deren konsequente Aufrechterhaltung er sich nicht zu rechtfertigen oder gar zu schämen pflegte.
Da machte es keinen Unterschied, dass beide mittlerweile erwachsen und - zumindest auf dem Papier - gleichberechtigte Geschäftsführer der Pasche GmbH waren.
»Du musst nicht alles wissen, Brüderchen«, erklärte Hans mit diesem altvaterischen Ton, der Wolfgang an ihren Vater erinnerte. Auch wenn Hans es nicht zeigte, wusste Wolfgang, dass sein Bruder ganz tief in seinem Inneren lächelte und es genoss, so mit ihm zu reden.
»Warum nimmst du mich dann überhaupt mit?«, fragte Wolfgang.
Er spürte das Pulsieren des Blutes in den Adern seiner Schläfe.
»Weil du darauf bestanden hast«, antwortete Hans kühl, während er das Auto widerwillig auf die im Ortsgebiet erlaubten fünfzig Stundenkilometer herunterbremste. »Du hast dich aufg'spielt wie ein Kasperl gestern Abend, erinnerst dich nimma?«
Dem Zufall war es zu verdanken gewesen, dass Wolfgang überhaupt erfahren hatte, dass für den heutigen Abend eine Besprechung geplant war. Ein Treffen, das Hans sonst wohl unter den Tisch hätte fallen lassen, wenn nicht zufällig Liesl beim gemeinsamen Abendessen gefragt hätte, wann er gedenke loszufahren und ob er sie nicht vielleicht nach Eisenstadt mitnehmen könne. Doch die Abfahrt um achtzehn Uhr kam für sie zu spät. Aber durch ihre Frage war Wolfgang auf Hans' Termin aufmerksam geworden. Wobei Hans ein bisschen zu schnell nachgegeben hatte, als es darum ging, dass Wolfgang ihn zu diesem Termin begleiten wollte.
»Ich habe ja wohl ein Recht darauf, in strategische Vorgänge der Firma involviert zu sein«, fauchte Wolfgang.
»Du hast ein Recht auf deine monatliche Apanage und sonst auf nix.«
»Also, wer ist die Frau, und was hat sie mit unserer Firma zu tun?«
Hans schnaubte. Er war es nicht gewohnt, Geschäftsinterna mit seinem kleinen Bruder zu besprechen. Diese Dinge überhaupt mit irgendwem zu besprechen. Hans war die Eigenbrötelei in Person, eine Charaktereigenschaft, die er von ihrem Vater geerbt hatte. Wolfgang dagegen, er war der kommunikative und offene, derjenige, der in der Werbung das Unternehmen nach außen vertrat, der das Gesicht der Firma Pasche war, vom Cover des Angebotskatalogs lächelte, jedes Jahr, immer und immer wieder.
Ein Gesicht, das seit einigen Jahren jedoch spürbar Schwierigkeiten dabei hatte, die negativen Geschäftszahlen positiv nach außen zu verkaufen. Seit fünf Jahren hatte die Pasche GmbH kein positives Geschäftsergebnis mehr zu vermelden gehabt. Sie lebten von der Substanz der fetten Jahre zuvor. Was paradox war, denn der Fall des Eisernen Vorhangs hatte ihnen direkt vor der eigenen Haustür einen riesigen neuen Markt eröffnet. Auch in Ungarn, der Slowakei und den übrigen Ländern des ehemaligen Ostblocks trank man schließlich gerne und viel Wein. Und während Dutzende österreichische Firmen sich eine goldene Nase im wilden Osten verdienten, schaffte es die Firma Pasche nicht, die sich bietenden Chancen zu nutzen.
Im Gegenteil, für Wolfgang wirkte es so, als ob die Ostöffnung ein Hemmschuh der eigenen Geschäftstätigkeit gewesen wäre. Wie ein Bremsklotz, der seit sechs Jahren an ihnen haftete. Oder lag es an Hans, der ebenfalls vor sechs Jahren die Geschäfte vom Vater übernommen hatte? »Neue Zeiten erfordern neue Gesichter«, hatte ihr Vater damals staatstragend erklärt, nachdem er all die Jahre zuvor peinlichst darauf geachtet hatte, Hans nicht zu sehr in die Angelegenheiten der Firma zu involvieren. Damals war es Hans genauso ergangen, wie es nun Wolfgang widerfuhr.
Ob diese ominöse Geschäftspartnerin, die sie an diesem Abend treffen sollten, der Firma einen neuen Impuls geben konnte?
»Wir stehen schon seit vielen Jahren in gutem Kontakt«, erklärte Hans.
»Was heißt das, in gutem Kontakt? Was für ein Kontakt soll das sein?«
»Sie öffnet uns Türen, verschafft uns neue Partner, so was halt«, antwortete Hans, und mit jeder Silbe war ihm anzumerken, wie unangenehm ihm dieses Gespräch, überhaupt diese ganze Situation war.
»Viele Türen können das in den vergangenen Jahren ja nicht gewesen sein«, bemerkte Wolfgang.
»Was weißt denn du, du hast doch keine Ahnung!«
»Ja, ganz genau. Wie soll ich die denn aber auch haben, wenn erst unser Vater und dann du mich komplett außen vor lasst und mich lediglich als Grüßaugust in die Auslage stellt?«
Den Rest der Strecke bis nach Eisenstadt füllte das Autoradio die Stille des Innenraums der Mercedes-Limousine aus. Das als Geheimtipp angekündigte »Waterfalls« von TLC, die aktuelle Nummer eins »Have You Ever Really Loved a Woman« von Bryan Adams sowie »Back for Good« von Take That. Letzteres hatte nach Meinung der Radiomoderatorin definitiv das Zeug zum Evergreen, auch wenn der Song in Kürze aus den Charts fallen werde.
Wolfgang dagegen fiel aus allen Wolken, als er realisierte, wo das Treffen mit der Geschäftspartnerin stattfinden sollte.
»Wir fahren nicht ins Stadion, oder?«, fragte er irritiert.
»Und wie wir das tun«, sagte Hans.
»Ein Geschäftstreffen am Fußballplatz? Wer hat sich denn diese grandiose Idee einfallen lassen?«
»Du Dummerle. Überleg doch mal. Wenn wir uns in einer Suite im Hotel Burgenland treffen würden, wäre das total auffällig. Da würden die Angestellten aufmerksam sein und registrieren, was sich abspielt, wer sich da mit wem trifft. Im Stadion aber, mit zehntausend anderen Leuten, da achtet niemand auf zwei Personen, die sich miteinander unterhalten.«
»Als Nächstes erzählst du mir, dass sich in deiner Armbanduhr ein Zeitzünder befindet und du aus den Scheinwerfern deines Angeber-Mercedes Raketen abfeuern kannst.«
So ein Schwachsinn. Erst dieser depperte Agentenname der Geschäftspartnerin, Papillon. Jetzt diese weit hergeholte Erklärung für das ach so geheimnisvolle Treffen.
»Da vorne kommen wir nicht weiter«, sagte Wolfgang, als er die Absperrung am Beginn der Bergstraße entdeckte. Ein Polizist stand neben einer temporären Straßensperre und befahl den Autofahrern, auf der Stelle umzukehren. Der einzige Verkehr, der sich hinter ihm die Bergstraße hinaufschlängeln durfte, waren Fußgänger, von denen die allermeisten grün-weiße Kluft trugen.
»Natürlich kommen wir dort vorne durch«, entgegnete Hans. »Aber es ginge schneller, wenn die ganzen Depperten sich gleich auf der Wiese am Feiersteig einen Parkplatz suchen würden! Schleichts euch halt, ihr Scheißhäusln!«
»Und was macht dich da so sicher?«
»Ich sponsere nicht umsonst Eintracht Eisenstadt«, sagte Hans.
Verärgerung und Ungeduld waren deutlich zu spüren. Sein Bruder wäre kein guter Pokerspieler, dachte Wolfgang. Vielleicht trug dieser Umstand dazu bei, dass geschäftliche Verhandlungen in den vergangenen Jahren eher ungünstig für die Firma ausgefallen waren?
»Du sponserst den Verein?«, fragte Wolfgang überrascht. »Oder sponsern wir den Verein? Als Firma?«
»Ich bin die Firma«, erklärte Hans und sah Wolfgang zum ersten Mal während der Fahrt in die Augen. Hast du das immer noch nicht kapiert?, fragte sein Blick.
Ohne sich nach einem Ausweis oder einer Berechtigungskarte zu erkundigen, schob der Polizist die Straßensperre zur Seite, als er das Auto der beiden Männer entdeckt hatte.
»Siehst du«, sagte Hans selbstzufrieden, nachdem sie die Absperrvorrichtung passiert hatten. »Ich komme überall rein.«
Dicht an dicht standen geparkte Fahrzeuge entlang der schmalen Gassen. Hans' Überlegenheitsgefühl konnte dadurch genauso wenig geschmälert werden wie durch jene zu Fuß gehenden Fans, die ihn bei der Fahrt hinauf zum Lindenstadion zu Schritttempo zwangen.
Sie parkten...
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