11 EINFÜHRUNG
Die Art und Weise, wie Menschen sich treffen, spielt eine große Rolle! Zusammenkünfte bestimmen unseren Alltag und tragen dazu bei, die Welt, in der wir leben, zu gestalten - sowohl im privaten Bereich als auch in der Gesellschaft. Versammlungen, also das bewusste Zusammenkommen von Menschen zu einem bestimmten Zweck, prägen die Art und Weise, wie wir denken, fühlen und unserer Welt einen Sinn geben. Der Gesetzgeber hat diesen Einfluss von Versammlungen sehr gut verstanden. In einer Demokratie gehört die Versammlungsfreiheit zu den grundlegenden Rechten jedes Einzelnen. In Ländern, die in den Autoritarismus abgleiten, verschwindet als Erstes das Recht, sich zu versammeln. Warum? Weil sie wissen, was passieren kann, wenn Menschen zusammenkommen, Informationen austauschen, sich gegenseitig inspirieren und neue Wege des Zusammenlebens ausprobieren.
Die meisten von uns verbringen allerdings wenig Zeit damit, über die Art und Weise nachzudenken, wie wir uns versammeln - obwohl wir unser ganzes Leben damit verbringen, zuerst in unseren Familien, dann in der Nachbarschaft und in Spielgruppen, in Schulen und Kirchen, schließlich in Meetings, auf Hochzeiten, in Rathäusern, Konferenzen, auf Geburtstagsfeiern, bei Produkteinführungen, in Vorstandssitzungen, 12auf Klassen- und Familientreffen, Dinnerpartys, Messen und Beerdigungen.
Ein Großteil dieser Zeit besteht in uninspirierenden, wenig überzeugenden Momenten, die uns nicht fesseln, in keiner Weise verändern oder uns miteinander verbinden.
Zahlreiche Studien belegen etwas Offensichtliches: Die meiste Zeit in Zusammenkünften mit anderen Menschen sind wir enttäuscht. »Mit gelegentlichen Ausnahmen schwankt meine Stimmung auf Konferenzen zwischen Langeweile, Verzweiflung und Wut«, gesteht Duncan Green1, ein Blogger und Spezialist für internationale Entwicklung, im Guardian. Green geht es nicht nur auf Konferenzen so: Die Umfrage »State of Enterprise Work«2 von 2015 ergab, dass »ausufernde Meetings« das größte Hindernis für Mitarbeitende sind, ihre Arbeit zu erledigen.
Nicht einmal die Zeit, die wir mit unseren Freunden verbringen, begeistert uns. Eine Studie aus dem Jahr 2013 »The State of Friendship in America 2013: A Crisis of Confidence« stellte fest, dass 75 Prozent3 der Befragten mit freundschaftlichen Beziehungen unzufrieden sind. In »How We Gather«4, einem kürzlich erschienenen Bericht über das spirituelle Leben junger Menschen, schreiben Angie Thurston und Casper ter Kuile: »Da es traditionellen Religionen schwerfällt, junge Menschen anzuziehen, suchen Millennials immer dringender nach anderen Möglichkeiten.«
Und obwohl uns die Zusammenkünfte mit anderen enttäuschen, neigen wir dazu, uns immer wieder auf dieselbe fade Art und Weise zu treffen. Die meisten schalten auf Autopilot, wenn Menschen zusammenkommen, und folgen abgedroschenen Abläufen, in der Hoffnung, dass sich die gute Chemie eines Treffens, einer Konferenz oder einer Party irgendwie von selbst einstellt, dass aus dem üblichen nüchternen Beitrag auf magische Weise etwas Aufregendes hervorgeht. Diese Hoffnung ist aber fast immer vergeblich.
Rat holen wir uns meist nur von denjenigen, die sich auf die Organisation des Zusammenkommens konzentrieren: von Köchen, Etiketteexperten, Floristen und Veranstaltungsplanern. Auf diese Weise reduzieren wir ungewollt die Herausforderung einer Veranstaltung auf eine logistische. Wir reduzieren die eigentliche Frage, was wir mit den Menschen anfangen sollen, auf die Frage, was mit Dingen wie Power-Points, Einladungen, audiovisueller Ausstattung, Besteck und Erfrischungen 13geschehen soll. Wir sind versucht, uns auf die »Objekte« von Versammlungen zu konzentrieren, da wir glauben, dass wir nur diese Details kontrollieren können. Das ist nicht nur kurzsichtig. Ich glaube, dass ein Missverständnis darüber besteht, was eine Gruppe wirklich zusammenschweißt und eine Versammlung ausmacht.
Ich komme nicht als Küchenchefin oder Veranstaltungsplanerin zu Versammlungen, sondern als jemand, der sich in Gruppendialogen und Konfliktlösung auskennt. Ich habe einen Großteil der letzten fünfzehn Jahre meines Lebens damit verbracht, Versammlungen zu analysieren, zu konzipieren und zu beraten, deren Ziel es war, für die beteiligten Menschen und die Gemeinschaften, auf die sie einwirken wollten, etwas zu verändern. Heute arbeite ich als professionelle Facilitatorin. Davon gibt es viele, aber wahrscheinlich haben Sie noch nie von uns gehört.
Ein Facilitator ist jemand, der oder die geschult ist, die Dynamik in Gruppen und gemeinsame Gespräche zu gestalten. Meine Aufgabe ist, die richtigen Leute in einem Raum zusammenzubringen und ihnen dabei zu helfen, gemeinsam zu denken, zu träumen, zu streiten, zu heilen, sich etwas vorzustellen, zu vertrauen und sich für ein größeres Ziel zusammenzutun. Meine Sichtweise auf Versammlungen - die Sichtweise, die ich mit Ihnen teilen möchte - stellt die Menschen und das, was zwischen ihnen geschieht, in den Mittelpunkt jeder Zusammenkunft.
Mit meiner Arbeit möchte ich den Menschen helfen, ein Gefühl der Zugehörigkeit zu erfahren. Das hat wahrscheinlich etwas damit zu tun, dass ich mein Leben damit verbracht habe herauszufinden, wohin und zu wem ich gehöre. Mütterlicherseits stamme ich von indischen Verehrern von Kühen in Varanasi ab, einer alten Stadt, die als das spirituelle Zentrum Indiens bekannt ist, und väterlicherseits von amerikanischen Schlachtern von Kühen in South Dakota. Um es kurz zu machen: Meine Eltern lernten sich in Iowa kennen, verliebten sich, heirateten, bekamen mich in Simbabwe, arbeiteten in Fischerdörfern in Afrika und Asien, hörten auf, sich zu lieben, ließen sich in Virginia scheiden und gingen getrennte Wege. Beide heirateten später wieder und fanden Ehepartner, die eher zu ihrer Welt und ihrem Blick darauf passten. Nach der Scheidung wechselte ich alle zwei Wochen zwischen dem Haushalt meiner Mutter und dem meines Vaters hin und her - zwischen einem vegetarischen, liberalen, mit Weihrauch angefüllten, buddhistisch-hinduistischen New-Age-Kosmos und einer konservativen, evangelikal-christlichen Umgebung, 14in der Fleisch gegessen und zweimal pro Woche in die Kirche gegangen wurde. So war es unvermeidlich, dass ich auf dem Gebiet der Konfliktlösung landete.
Ich kam auf dieses Thema im College, als ich mich für die Rassenbeziehungen an der Universität von Virginia interessierte - und darüber ärgerte. Nach meinem Abschluss arbeitete ich in Gemeinden in den Vereinigten Staaten und im Ausland, um Führungskräfte in einem Gruppendialogverfahren namens »Sustained Dialogue« auszubilden. Dabei handelt es sich um eine Versammlungstechnik, die zerrüttete Beziehungen über rassische, ethnische und religiöse Grenzen hinweg umwandeln will. Diese Arbeit faszinierte mich so, dass ich wissen wollte, was passiert, wenn Menschen versuchen, über Unterschiede hinweg zusammenzukommen.
In den vergangenen Jahren wandte ich Konfliktlösungsmethoden in vielen Situationen und bei einer Vielzahl von Problemen an. Ich leitete Meetings in Fünf-Sterne-Hotels, in öffentlichen Parks, in schmutziger Umgebung und in Studentenwohnheimen. Ich leitete Sitzungen mit Dorfbewohnern in Westindien, die sich damit auseinandersetzten, wie sie ihre Gemeinschaft nach ethnischen Unruhen wieder aufbauen konnten, und mit simbabwischen Aktivisten, die gegen die drohende Schließung ihrer Nichtregierungsorganisation durch die Regierung kämpften. Ich arbeitete daran mit, einen Dialog zwischen arabischen Oppositionsführern und ihren europäischen und amerikanischen Amtskollegen herzustellen, um das Verhältnis zwischen Islam und Demokratie zu untersuchen. Ich konzipierte Versammlungen für Staats- und Bundesbeamte in den Vereinigten Staaten, um herauszufinden, wie man ein nationales Programm gegen Armut für eine neue Generation wiederbeleben könnte. Und ich moderierte Versammlungen für Technologieunternehmen, Architekturbüros, Kosmetikmarken und Finanzinstitute und unterstützte sie dabei, komplizierte und schwierige Diskussionen über ihre Zukunft zu führen.
Ich lebe in New York, wo sich viele Menschen treffen. Ich bin oft Gastgeberin und häufig Gast, und in beiden Rollen bin ich unendlich fasziniert von den kleinen, wichtigen Maßnahmen, die wir alle ergreifen können, um Gruppen zu helfen zusammenzuwachsen. In meinem Freundes- und Verwandtenkreis bin ich diejenige, der man eine SMS schreibt oder die man anruft, wenn es um Fragen geht wie »Soll ich bei 15meinem Arbeitsessen eine Konversation über ein bestimmtes Thema führen oder soll ich die Gäste einfach plaudern lassen?« oder »Wie sollen wir mit dem geschwätzigen Kirchenhelfer umgehen?« Wie, so fragte mich eine halb muslimische, halb christliche Freundin, die eingewandert ist, könne sie ihre eigene Version einer jüdischen Schiwa gestalten, um den Tod ihres Vaters in Deutschland mit Freunden in New York zu begehen, die ihn nicht kannten?
Bei all meinen Zusammenkünften, ob Vorstandssitzungen oder Geburtstagsfeiern, bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass die Art und Weise, wie eine Gruppe zusammenkommt, ausschlaggebend dafür ist, was in ihr geschieht und wie erfolgreich sie ist, und dass es die kleinen gestalterischen Entscheidungen sind, die Sie treffen können, um einer Zusammenkunft zum Erfolg zu verhelfen. Die Kunst des Zusammenkommens ist also zum Teil eine Reise und zum Teil ein Leitfaden. Es richtet sich an alle, die sich schon immer gefragt haben, wie man einen gewöhnlichen Moment mit anderen zu einem unvergesslichen -...