Schweitzer Fachinformationen
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DAS MITTAGSMAHL
(Il pranzo)
Gabriele d'Annunzio
Speisezimmer einer italiänischen Villa. Die Luft zittert Ahnung kommender Genüsse. Der allgemeine Charakter des Saales ist Hunger, aber nicht der Hunger des Plattfußes, sondern die feine melancholische Sehnsucht des gewählten Schmeckers seltener Gemüse, erlesener Öbste. Die Tapeten atmen den Geist gebackener Natives. Die Servietten bilden Schwäne wie zum Gleichnis. Die Kandelaber scheinen ihre Kerzen zu verzehren. Die Möbel krachen vor Begierde mit den Kiefern. Als die Tür geöffnet wird, tut sie einen tiefen Seufzer und man hat die Vorstellung, als drehte sie ihren Kopf mit einem halb verzückten, halb gemarterten Augenaufschlag den prallen Amoretten der Decke zu.
Herein tritt ein Gruß vom Meere in Gestalt eines blauen Rechtecks, welches den Türrahmen völlig ausfüllt.
Durch diesen Gruß hindurch, nach mehreren Sekunden, Melissa, die Nichte des Hausherrn. Ihre Zähne sind weiß wie die Brust der Diana und scharf wie ein Sonett von Stecchetti. Ihre Augen sind wie der Lago di Como und der Lago Bellagio. Ihre Augenbrauen geschweift wie eine Liebeserklärung des unsterblichen Gabriele. Ihre Nase ist die der milesischen, ihr Mund der der medizäischen Venus. Die Bewegungen ihrer Glieder sind von der Anmut jener Tänzerinnen des Benozzo Gozzoli in der Hochzeit Jacobs und Rahels.
Nachdem sie einen schnellen Blick über das Zimmer geworfen, eilt sie mit dem Rufe Olio! Olio! nach links hinaus.
Durch das tiefblaue Rechteck zieht langsam in weite Ferne ein rotes lateinisches Segel.
Von links an Melissas herrlicher Hand, Olio, ein Lockenkopf Botticellis.
OLIO: Melissa!
MELISSA: Olio!
OLIO (mit einer ungeheuren Bewegung der Rechten über die Tafel hin): Weißt du noch, Melissa, wie wir damals in Girgenti, dem alten Agrigentum, im Hause deines Vaterbruders jenen unbeschreiblichen Fisch zum erstenmal aßen, in dessen Geschmack uns jene mystische Ehe zwischen Antike, Renaissance und Moderne vollzogen zu sein schien, die wir in Kunst und Leben selber zu gestalten, oft so unglückliche Versucher sind, so unglücklich, weil so weit entfernt von jenen tiefen Bedingungen der Natur, deren unbewußtes Ineinanderwirken die Träume der Götter in immer neuen Inkarnationen gebiert.
MELISSA (hingerissen): Und wie du dann wie von einer überirdischen Sehergabe begeistert, dich an der Tafel erhobst und zwischen den staunenden Gästen die goldbestickten Teppiche deiner Phantasien hinrolltest und auf den fiebernden Saiten deiner Geschmacksnerven die Symphonie zweier Jahrtausende beschworst, von Gelas Gründung durch die Dorier an
OLIO: – unter Kleandros, Hippokrates und Gelon –
MELISSA: – bis zur Gründung Agrigents von Gela und von all seinen prächtigen Tempeln und von den Karthagern und Römern und Sarazenen –
OLIO: Es waren selige Stunden, Melissa. Aber da kommt er, von dem wir soeben sprachen, als hätte ihn eine Ahnung unsres Gesprächs herbeigeführt.
(Es tritt auf von rechts DEGNO, ein älterer, graumelierter Herr, Besitzer ausgedehnter Ländereien auf Sizilien, Maler aus Liebhaberei)
MELISSA (ihm entgegen): Wir sprachen soeben von Ihnen, Onkelchen!
OLIO: Und von jener wunderbaren Muräne, die wir vor zwei Jahren auf einem Ihrer sizilischen Güter –
DEGNO: O, ich erinnere mich noch wohl daran. Ich habe sie später aus dem Gedächtnis gemalt. Es war ein außergewöhnlich schönes Tier und von einer Länge, wie sie die ältesten Fischer nicht für möglich gehalten hatten. Ich habe das Bild einer jungen Verwandten des Luigi geschenkt und wie mir erzählt ward, bildet es jetzt eine Art von Heiligtum in ihrer Villa in dem lieblichen Frascati.
Wenn es euch recht ist, so wollen wir uns jetzt zur Tafel setzen. Du bist wohl so gut, meine teure Melissa, und rufst meine Schwester. Sie geht mit Ghiotto in den Gängen des Gartens auf und ab, noch ganz beschäftigt mit den köstlichen Rosen, die über Nacht aufgeblüht sind.
MELISSA: Ich werde sie sogleich hereinbitten, teuerer Oheim. (Tritt in das tiefblaue Rechteck und ruft nach rechts): Tante! Tante! Rosetta! Ghiotto! liebe Tante! Ihr möchtet kommen! Das Mahl wartet!
OLIO: Wie wird es schön sein, wenn wir jetzt wieder so zusammensitzen werden, du, mein edler Oheim, Rosetta, meine Mutter, deine Schwester, Cousine Melissa, Eures Bruders Tochter – ihr kleiner Halbbruder Ghiotto und ich.
DEGNO (ergreift seine Hände und drückt sie schweigend)
GHIOTTO (ein blasser Knabe mit verzehrenden Augen kommt tiereingesprungen) Guten Mittag, Onkel Degno! Guten Mittag Onkel Olio.
DEGNO: Willkommen, mein kleiner Knabe! Ich denke, wir wollen es uns jetzt wohl sein lassen.
ROSETTA (tritt ein. Sie ist eine Dame in den Fünfzigern, ein langes Leben steht in ihrem Antlitz)
OLIO (ihr entgegen): Willkommen, teuere Mutter!
ROSETTA: Seid mir gegrüßt, meine Lieben! Ich war bei den Rosen draußen, jetzt bin ich bei euch.
MELISSA: Und du bringst ihren Duft an deinen Kleidern mit dir. (Sie umarmen sich)
DEGNO (leise zu Olio): Sie bringt ihn in ihrer Seele mit. O wie bewundernswert ist diese Frau. (Inzwischen hat sich Ghiotto auf einen Sessel gesetzt und die Serviette umgebunden.)
MELISSA: Du lieber Gott, seht doch den kleinen Schelm!
OLIO: Wahrhaftig! Er eröffnet die Tafel, er gibt das Zeichen, man wird nach dem Diener läuten müssen.
ROSETTA: Aber Ghiotto! Wie ist es möglich, daß du schon wieder hungrig bist.
(Zu den andern): Um zehn Uhr noch gab ich ihm von den gezuckerten Früchten, die uns dein Bruder, Melissa, aus Padua gesandt hat.
OLIO: O es sind Gedichte, diese Früchte! Wenn ich dich um deiner eignen Schönheit willen nicht liebte, Melissa, ich müßte dich allein um dieser göttlichen Komödien deines Bruders willen verehren.
GHIOTTO (klappert mit Messer und Gabel; alle wenden die Blicke auf ihn und sehen ihn halb vorwurfsvoll, halb verständnislos an)
ROSETTA (leise zu Degno): Ich weiß gar nicht, was mit Ghiotto ist.
MELISSA (zu Ghiotto): Hast du mich denn noch lieb, mein süßer kleiner Ghiotto?
GHIOTTO: Tante Melissa!
ROSETTA: Die Kinder sind oft recht seltsam. Aber wollen wir uns nicht setzen? (Alle nehmen Platz)
DEGNO: Wenn es euch recht ist, so läuten wir dem Diener, daß er das Mahl auftrage.
MELISSA (schlägt an einen Gong)
OLIO (zu Melissa): Priesterin!
ROSETTA: Sie hat ganz die Bewegungen ihrer Mutter.
DEGNO: Weißt du noch –
(BEPPO ein Diener mürrischen Gesichts, tritt von links ein)
DEGNO: Wir wünschen zu speisen, Beppo.
BEPPO (ab)
GHIOTTO (seufzt tief)
ROSETTA und MELISSA (zu gleicher Zeit): Was ist dir, Ghiotto?
GHIOTTO: Ich habe Hunger.
DEGNO und OLIO (zu gleicher Zeit): Es ist unbegreiflich.
ROSETTA: Man sollte ihm ein Buch geben. Er langweilt sich vielleicht.
MELISSA: Willst du ein Buch, Ghiotto?
GHIOTTO (schüttelt den Kopf)
DEGNO: Es ist seltsam.
OLIO: Man sollte ihm das Gastmahl des Trimalchio des Petronius Arbiter geben.
DEGNO: Das wäre vielleicht das beste. (Zu den Frauen) Ihr kennt diese einzig dastehende Schilderung des genialen Römers?
OLIO: Ich führe dieses bedeutendste Werk der Kaiserzeit stets bei mir. Es gibt wie kein anderes den Begriff einer bis zur höchsten Morbidität gesteigerten Kultur, eines Raffinements einer Spätlingszeit, gegen welche selbst wir noch nichts bedeuten. Es erregt vielleicht eure Teilnahme, wenn ich euch einiges daraus vorlese, bis das Essen aufgetragen wird.
(BEPPO erscheint mit einer Suppenterrine, setzt sie auf das Büffet und stellt vor jeden einen gefüllten Teller. Niemand beachtet es. Ghiotto will essen, aber ein Blick Melissas erinnert ihn daran, daß er zu warten hat, bis es den Erwachsenen gefällt, anzufangen.)
OLIO: Es handelt sich um ein Gastmahl, das ein durch Spekulation zu großem Reichtum gelangter Freigelassener namens Trimalchio in einer Kolonie Unteritaliens, etwa in Neapel oder Putcoli, gibt. Die fingierte Zeit ist die des Tiberius, der Erzähler ist der Freigelassene Eucalpios. Man mag sich den Speisesaal glänzend geschmückt denken; das Mosaik des Fußbodens stellt seltsamerweise Kehricht und von den Tischen gefallene Brocken dar. Aus dem tiefblauen Schoße der Wände scheinen Tänzerinnen, Genien, geflügelte Eroten hervorzutreten. In die Hauptwand ist ein Tafelbild eingelassen, welches Leda mit dem Nest in den Händen darstellt, worin die Säuglinge Helena und die Dioskuren ruhen.
ROSETTA: Wie vieles daran erinnert an Ihren Speisesaal in Girgenti,...
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