Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Dies ist eine Liebesgeschichte, nebenbei gesagt.
Niemand im Camp hatte das Mädchen erwartet, denn ihr Cousin hatte sie nicht angekündigt. Er arbeitete an dem Tag zusammen mit Ernie, und vielleicht hatte er Schiss vor den Bienen gekriegt und es vergessen. Später, beim Abendessen, frotzelte Ernie über Vick, den bösen Cousin.
An jenem Morgen brodelte das Leben sowieso schon, es war heißer als sonst zu dieser Jahreszeit. Die rechtwinklig angeordneten Bungalows kauerten sich unter den Rot-Eschen zusammen wie die Tiere, die hier in Oklahoma im Frühling ganz instinktiv träge und faul im Schatten blieben. Die meisten Bewohner der Anlage schliefen noch, aber vier Männer in Carhartt-Shorts und mit nacktem Oberkörper - Jared, Vick, Carlos und Ernie, der die Unternehmung leitete - versetzten den wild summenden Bienenstock von seinem Platz in der Nähe von Tims Privatbaracken weiter weg auf die Wiese.
Mann, sind die nervös, sagte Ernie.
Ernie war erst vierunddreißig, aber sein Gesicht war abgewetzt wie ein Stein in einem Fluss und seine langen rötlichen Haare von der Sonne ausgebleicht. Er war groß und dünn, ein schräger Vogel, ein Original. Er hatte mandelförmige Augen, seine Nase war mehr als einmal gebrochen gewesen. Abgesplitterte Zähne, rotblonde Armbehaarung, die in der Sonne leuchtete - Ernie sah aus wie ein Stricher-Jesus von einem anderen Planeten, aber vermutlich hatte er einfach einen mexikanischen oder Choctaw-Großelternteil.
(Man hatte ihn als Baby, vielleicht eine Woche alt, in einer Tankstellentoilette gefunden, eingewickelt in ein blau-schwarz kariertes Flanellhemd. Er hatte den Zeitungsartikel gesehen. Na ja, eigentlich war es kein Artikel, nur zwei Zeilen in der El Reno Tribune vom 16. Januar 1962, und aufgeklärt worden war das Rätsel nie.)
Ernie spürte, wie Tim sie durch die Fliegengittertür seines Hauses beobachtete, mit undurchdringlicher Miene, die muskulösen Arme verschränkt. Tim hatte letzte Nacht geträumt, es würde Unglück bringen, wenn der Bienenstock so nah am Zimmer stand, in dem er und seine Frau (hochschwanger mit ihrem gemeinsamen Kind) schliefen, und deshalb müsste das jetzt mal schleunigst erledigt werden.
Die Sache war die: Der Traum stimmte. Wenn Tim bloß kapiert hätte, was er wirklich bedeutete, dann wäre vielleicht alles anders abgelaufen, dann hätten vielleicht alle überlebt. Aber er kapierte es nicht.
Mann, sind die laut, bemerkte Tim, nutzlos wie immer. Seid ihr sicher, dass ihr das richtig macht?
Sie wollen halt nicht versetzt werden, sagte Ernie genervt. Das bringt sie durcheinander.
Na ja, ich glaube nicht, dass man ihnen die Laune verderben kann, erwiderte Tim in seinem Boss-Tonfall und suchte die Blicke der anderen Jungs, um zusammen mit ihnen Ernie auszulachen. Es sind nur Bienen.
Vorsichtig, sanft, auf Zehenspitzen schoben die Männer den Bienenstock über den holprigen Boden, bis sie ungefähr hundertfünfzig Meter von den Haupthäusern entfernt waren. Dann stellten sie die Sackkarre ab und schoben den Stock ins hohe Gras.
Und jetzt?, fragte Jared und wischte sich den Schweiß von der Oberlippe.
Wir lassen sie raus, sagte Ernie und entfernte ganz langsam den Fluglochkeil. Okay, immer mit der Ruhe. Er bekam drei Stiche in den Nacken - bam bam bam - und hüpf?te vor Schmerz. Oh, fuck!
Alles in Ordnung?, fragte Vick besorgt.
Jared verzog das Gesicht. Mann, ich glaub, sie haben dich dreimal erwischt.
Ist nicht schlimm, grummelte Ernie und schlich zurück zu den Häusern.
Tims Zähne leuchteten hell im Türschatten, aber er sagte: Was? Ist nicht lustig, ich lache nicht.
Wortlos ging Ernie an ihm vorbei und riss die Fliegengittertür zur Küche auf. Cupid, wie immer mit Beanie und Lippenring, schälte gerade Kartoffeln, und er schnitt eine rohe Zwiebel auf, damit Ernie sie sich auf die rot angeschwollenen Stiche halten konnte.
Danke, Kumpel, sagte Ernie.
Kein Problem, sagte Cupid, ohne eine Miene zu verziehen, aber dann lächelte er: Sieht aus wie ein Knutschfleck.
Wenn du meinst, grinste Ernie.
Er checkte sein Spiegelbild in der Fensterscheibe und stellte sich vor, die Schwellung wäre ein Knutschfleck. In seinem Innern tobte ein wohlbekanntes Chaos. Er bekam kaum einen Gedanken zu Ende - es war ein einziger wilder Wirbel aus Wut, Hass, Scham und Sehnsucht. Und alles wegen Tim. Ernie hatte sich nützlich machen wollen. Und wie üblich endete es damit, dass Tim sich über ihn lustig machte. Wer war Tim denn schon? Die Anlage gehörte doch in Wirklichkeit seinen Onkeln, er wohnte hier nur, der Schmarotzer.
Aber jedes Mal, wenn Ernie länger darüber nachdachte, kriegte er schlechte Laune, denn in dieser Welt hatte Tim nun mal trotzdem das Sagen über das Gelände und die Häuser, auch wenn er es überhaupt nicht verdiente. Wenn die Realität Ernie so erwischte wie in diesem Moment, war er manchmal wie gelähmt. Er stand da und starrte auf den Küchenfußboden, und er wusste genau, wie bescheuert er aussah - als hätte ihm jemand für zehn Minuten den Stecker gezogen. Als es vorbei war, wollte er nur noch ins Bett, schweißglänzende, tätowierte Brust, lange, ungekämmte Haare, sein ganzes jämmerliches Dasein. Für mehr als das reichte seine Energie nicht. Aber in diesem Moment kreuzte sie auf.
Der total verbeulte silberne Minivan holperte über die lange, unbefestigte Einfahrt wie ein Kleinstadt-Leichenwagen. Heraus sprang ein verklemmtes Pärchen. Oder vielleicht wirkten die zwei nur so verklemmt, weil ihr Vorhaben sie nervös machte. Später erfuhr Ernie, dass dies die Halbschwester war, die sich nach dem Tod der Großmutter Inez um das Mädchen gekümmert hatte. (Vorher hatte es jahrelang bei der Großmutter gelebt.) Aber jetzt wollte die Halbschwester einen mexikanischen Cowboy aus Ojinaga heiraten - einen sehr katholischen, sehr strengen, sehr langweiligen Mann -, und in ihrem Mobile Home war kein Platz für das Mädchen. Was irgendwie nicht besonders christlich klang, aber nun waren sie jedenfalls da und schienen fest entschlossen, die Kleine hier abzugeben.
Der Cowboy hatte einen dicken Schnurrbart und trug Bundfaltenjeans. Das Pärchen wartete am Wagen, bis die hintere Tür des Vans endlich aufgeschoben wurde und Coral ausstieg. Sämtliche Bewohner der Anlage beobachteten sie, aus ihren Schlafzimmern, aus der Garage, wo immer sie gerade waren.
Holiday Ray stand mit einer Zigarette am Fenster, und er sagte zu Staci, die noch im Bett fläzte: Neuzugang. Jahre später sollten die beiden diesen Moment noch einmal aus der Versenkung holen, um zu begreifen, was passiert war. Aber als das Mädchen ankam, rechnete Ray nicht eine Sekunde lang damit, dass dieser Teenie Einfluss auf ihr Leben haben würde - klar, auf das Leben von anderen vielleicht, aber doch nicht auf seins und Stacis. Er interessierte sich mehr für die nächste Zigarette. Komm her, Baby, sagte Staci, die sich mehr für Ray interessierte.
Das Mädchen hatte eine weiße, hier und da vergilbte Reisetasche mit abgenutztem Griff dabei, die ihrer verstorbenen Großmutter gehört hatte, außerdem einen Discman mit riesigen Kopfhörern und einen anscheinend mit Klamotten vollgestopf?ten Müllsack. Das Pärchen redete mit Tim, der seine Willkommen-in-meiner-Welt-Miene aufgesetzt hatte, aber die Kleine machte den Mund nicht auf. Sie sagte kein einziges Wort. Die vier standen mit verschränkten Armen unter der Lebenseiche und wippten auf den Absätzen, dann drückte der Cowboy Tim einen Umschlag in die Hand.
Für Ernie, der das Ganze heimlich von der Küchentür aus beobachtete, sah das Mädchen nicht aus wie eines der Kids, die nach Sauf?touren bei ihnen landeten oder nachdem sie eine Zeit lang in Albuquerque oder Dallas auf der Straße gelebt hatten, aus dem Heim geflogen oder auf Kaution draußen waren. Sie hatte glatte blonde Haare, nicht kurz, aber auch nicht richtig lang, blaue Augen, und mit ihren schwarzen Socken mitten im Sommer, dem Hanes-T-Shirt und der abgeschnittenen schwarzen Jeansshorts konnte sie zwölf und sehr groß für ihr Alter sein, aber genauso gut zweiundzwanzig und noch nicht kaputt vom Leben. In Wirklichkeit war sie siebzehn. Sie war nicht einfach ein Klumpen Lehm. Das Licht pulsierte durch sie hindurch wie durch eine Yuccablüte oder einen Spinnenkokon. Durch die Zellulose. Vielleicht wollte Ernie in ihrem Gesicht Angst erkennen, aber da war keine, und vielleicht konnte er sie deshalb zuerst nicht leiden.
Die Halbschwester sagte: Das ist Coral, ähm, sie ist ein braves Mädchen, meistens zumindest, jedenfalls ist sie nicht besonders schlimm. Sie hatte einen Unfall, als sie klein war, und ihr Gehör ist hinüber, aber normalerweise erkennt sie, was man sagt. Na ja, und reden tut sie eigentlich auch nicht. Aber sie kann gut...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.