Schweitzer Fachinformationen
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Ein zärtlicher und mitreißender Roman über Machtverhältnisse und über die Frage nach dem Gleichgewicht der Welt.
Zeljko, der von allen "Jimmy" genannt wird, ist fünfzehn, als er sich in Martha verliebt. Sie ist Professorin in Heidelberg, er lebt mit seinen Eltern und Geschwistern zu fünft in einer Zweizimmerwohnung in Ludwigshafen. Martha hat, was Zeljko sich sehnlichst wünscht: Bücher, Bildung und Souveränität. Mit Martha besucht er zum ersten Mal ein Theater, sie spricht mit ihm, wie sonst niemand mit ihm spricht. Mit Marthas Liebe wächst Zeljkos Welt. Doch welche Welt ist es, die er da betritt und wen lässt er dafür zurück? Wo verlaufen die Grenzen zwischen Begehren und Ausbeutung?
"Erkennbar steht 'Jahre mit Martha' in einer noch jungen Tradition von Romanen, die, endlich, die Lebenswirklichkeit der BRD-Migrantenkinder in den Blick nehmen."
"Martin Kordic hat einen zärtlichen Roman über die Suche nach dem richtigen Platz in der Gesellschaft geschrieben."
"[Martin Kordic] beschert [...] uns eines der schönsten Liebesgeschichten der jüngeren Zeit."
"'Jahre mit Martha' ist ein großartiger Liebes-, Migrations- und Coming-of-Age-Roman. Voller Überraschungen, poetisch aufgeladen und von unaufdringlicher Komplexität."
"'Jahre mit Martha' ist einer der großen Romane der Saison."
"Was für eine Liebesgeschichte."
"...der Roman [liest sich] ganz leicht. Das liegt an seiner lebendigen Sprache, an komischen Szenen, aber besonders an der nicht nachlassenden Spannung."
"Kordic erzählt uns eine Abschiedsgeschichte, aber auch eine Geschichte vom wieder Ankommen: in der Familie."
"Wie macht er das nur? Dass in dieser Liebesgeschichte all das erzählt wird, was es über das 'Einwanderungsland Deutschland' zu sagen gäbe, all die Hierarchien, Schmerzen und Spuren, herrlich beiläufig und furchtlos zielgenau." Lena Gorelik
"...das zarteste Buch, das ich seit einer Ewigkeit gelesen habe." Monika Helfer
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Meine Geschichte will ich erzählen, weil ich glaube, dass wir uns mehr Geschichten erzählen sollten über uns in diesem Land. Möglicherweise hat mein Leben einige Überschneidungen mit den Leben anderer, die wie ich Kinder sind von Eltern, die irgendwann einmal hierherkamen und sich an nichts festhielten als an ihren Körpern und an ihren Träumen. Mir selbst will ich meine Geschichte erzählen, weil ich die Irrwege meines jungen Erwachsenenlebens in eine Dramaturgie sortieren will, die auf ein versöhnliches Ende zusteuern soll.
Einige Wochen nach unserer ersten Begegnung trafen Frau Gruber und ich erneut aufeinander. Es war zu Beginn der großen Ferien. Ich hatte lange geschlafen und war dann die Papiercontainer in der Innenstadt abgegangen. Anschließend ging ich weiter Richtung Rathaus-Center und fand mitten auf dem Gehweg eine Brieftasche.
Als ich sie aufmachte, sah ich sofort die vielen Scheine. Es waren 438 Mark und 73 Pfennig darin. Außerdem ein Personalausweis von Dr. Helmut Otto, Visitenkarten von Dr. Helmut Otto, Kreditkarte, Führerschein, Briefmarken, ein Zettel, auf dem eine Telefonnummer notiert war. Dr. Helmut Otto war Rechtsanwalt und seine Kanzlei nur zwei Straßen weiter am Lutherbrunnen.
Auf dem Weg dorthin dachte ich darüber nach, das Geld herauszunehmen und das Portemonnaie einfach in den Briefkasten zu werfen, aber in einem Zeitungsartikel mit der Überschrift »Ihr gutes Recht« hatte ich davon gelesen, dass einem Finder in Deutschland fünf Prozent Finderlohn zuständen, und weil ich die Brieftasche ja in eine Anwaltskanzlei bringen würde, dachte ich, die wüssten das sicherlich auch.
Die Kanzlei war in einem Gebäude mit viel Platz, viel Luft, viel Glanz und einem Empfangstresen. Ich ging zu der Frau, die dort saß, und überreichte ihr die Brieftasche.
»Die habe ich gefunden«, sagte ich. »Die gehört dem Herrn Otto. Der arbeitet hier.«
»Wie nett von dir. So etwas Ehrliches«, sagte die Frau. »Danke. Ich gebe ihn weiter.«
Ich blieb stehen und schaute die Frau an. Die Frau schaute mich an. Dann hielt sie mir eine Glasschale hin, die mit Schokolinsen gefüllt war.
»Greif rein«, sagte sie.
Und ich griff hinein, obwohl ich Schokolinsen nicht mochte. Mit einem Mal hatte ich Angst vor dieser Frau. Ich hatte Angst vor dem vielen Platz, vor der vielen Luft, vor dem vielen Glanz, ich kam mir klein und unbedeutend vor. Ich war klein und unbedeutend.
Wenn ich heute daran zurückdenke, ist mir vor allem in Erinnerung, dass ich mich ärgerte. Nicht darüber, dass ich keinen Finderlohn erhalten hatte, sondern darüber, dass ich nicht klug genug war, eine verbale Auseinandersetzung führen und für mich entscheiden zu können. Ich wollte bestehen können in dieser Welt mit viel Luft und viel Glanz. Ich wollte einer werden, den man nicht herumschieben kann. Ich wollte einer werden mit Verstand.
Ich war bereit, alles dafür zu tun.
Am Rathaus-Center war immer etwas los, und es gab viel zu gucken. Die unterschiedlichsten Menschen kamen hier zusammen. Arbeitslose Alkoholiker, die auf arbeitslose Alkoholiker schimpften. Junge Mütter, die mit anderen jungen Müttern zusammensaßen und ihr Leid teilten. Aber auch viele, viele Menschen, die in den vielen, vielen Geschäften einkaufen gingen.
Ich setzte mich an einen stillgelegten Brunnen und blätterte in den Zeitungen und Magazinen, die ich aus den Papiercontainern geangelt hatte, suchte nach einer Schachaufgabe. Für Kruno hatte ich eine Fernsehzeitung eingepackt, in der das Programm noch drei Tage lang gültig war, für Ljuba ein paar Pferdehefte und für mich selbst die letzten drei Ausgaben einer Wochenzeitung und sogar eine britische Zeitschrift von vor ungefähr einem Jahr. Auf der Titelseite stand »Farewell, Diana«, und darunter waren William und Harry am Tag der Trauerfeier zu sehen. William hatte den Blick auf den Boden gerichtet. Harry hingegen schaute irgendwohin. Es sah so aus, als suchte er dort, wo er hinguckte, das passende Gefühl für den Tod seiner Mutter.
William und Harry waren ungefähr so alt wie Kruno und ich.
Weil es mir in der Sonne zu heiß wurde und es am Brunnen nach Abfall roch, packte ich die Zeitungen wieder in den Rucksack und spazierte durch das Rathaus-Center.
Erst ging ich in den Elektronikmarkt. Dort war in einer Ecke ein Fernseher aufgebaut, an dem man ein neues Videospiel ausprobieren konnte. Leider spielten an beiden Gamepads schon andere Jungs, die wohl auch den ganzen Tag lang nichts zu tun hatten. Ich blieb ein paar Meter hinter ihnen stehen und schaute ihnen zu. Die Geschwindigkeit des Rennspiels war atemberaubend. Ich versuchte, mir einige Tricks abzuschauen, für den Fall, dass ich selbst einmal Gelegenheit haben sollte, das neue Spiel auszuprobieren.
Ich ging weiter in die Musikabteilung. Auf einem Tresen standen dort CD-Player, mit denen man sich Musik anhören konnte. Ich hörte mir dort sieben Mal »Dirty Diana« von Michael Jackson an. Ich hatte das Lied selbst, sowohl auf Kassette als auch auf CD, aber hier, mit diesen Kopfhörern, der erstaunlichen Klangqualität, konnte ich die Atmung viel besser hören.
Michael Jackson war kein Mann, er war keine Frau, er war ein Schwarzer Mensch, er war ein weißer Mensch, er war arm, und er war reich, er war alles gleichzeitig. Ein geschlagenes Kind und der König des Pop, ein Mann mit Lederjacke und eine Frau im Bodysuit.
Wenn ich Michael Jackson sah, spürte ich die Möglichkeit einer Welt, in der jeder sein kann, wie er will und was er will. Allein diese Idee gab mir Kraft, und hier in dem Laden konnte ich mit den Kopfhörern also die Atmung viel besser hören. Die Atmung gab den Rhythmus vor, die Atmung bestimmte, wie ein Körper sich zu dieser Musik zu bewegen hatte.
Ich schlenderte weiter durch das Rathaus-Center, passierte den McDonald's, in dem ich meinen neunten Geburtstag gefeiert hatte. Jedes Mal, wenn ich an diesem McDonald's vorbeiging, wurde mir flau im Magen. Der Kindergeburtstag hatte meine Mutter sehr angestrengt, was wiederum mich sehr angestrengt hatte, was wiederum dazu geführt hatte, dass ich abends mit Fieber im Bett lag und die Junior-Tüte auskotzte, was wiederum dazu geführt hatte, dass ich an meinem neunten Geburtstag sehr traurig eingeschlafen war.
Erst vor einem Sportladen blieb ich wieder stehen. Im Schaufenster stand ein lebensgroßer Pappaufsteller von Michael Jordan. Mit einer Hand balancierte er einen Basketball auf dem Zeigefinger, mit der anderen Hand präsentierte er den neuen Jordan-Schuh. Es war der Air Jordan XIII. Ein Schuh wie aus einer anderen Galaxie.
Gerade als ich hineingehen wollte, weil ich den neuen Jordan unbedingt mal anfassen wollte, sah ich ein paar Meter hinter dem Pappaufsteller eine Frau auf dem Boden knien, die einem Mädchen auf dem Fuß herumdrückte. Es war Frau Gruber. Ich machte sofort einen Schritt zur Seite und versteckte mich hinter dem Werbeaufsteller. Als ich erneut hervorschaute, streichelte Frau Gruber dem Mädchen gerade über den Kopf. Das Mädchen musste Frau Grubers Tochter sein. Es umarmte seine Mutter.
Frau Gruber sprach mit einem Verkäufer und nickte ihm zu. Zu dritt gingen sie zur Kasse. Die Tochter war ungefähr im Alter von Ljuba, und in diesem Alter hätten wir niemals neue Schuhe bekommen. Ich ging schnell rüber in einen anderen Laden und schaute mir Sonnenbrillen an einem Drehständer an. Dann kamen sie. Hand in Hand verließen Frau Gruber und ihre Tochter das Geschäft. Sie bummelten.
Zuerst verschwanden sie in einer Parfümerie. Weil Frau Gruber und ihre Tochter so sehr auf sich selbst konzentriert schienen, traute ich mich, auch hineinzugehen. Eine Verkäuferin kam auf mich zu und bot mir ihre Hilfe an. Ich lehnte ab, aber die Verkäuferin blieb neben mir stehen.
»Ich schaue nur«, sagte ich.
»Ich auch«, sagte sie.
Weil mir diese Situation sehr unangenehm war und ich weder etwas klauen noch etwas kaufen, sondern nur gucken wollte, wie Frau Gruber wohl ihren weiteren Tag verbringen würde, verließ ich das Geschäft wieder und wartete draußen hinter einem Gebäudeplan auf sie.
Ich war mir nicht sicher, ob Frau Gruber etwas gekauft hatte oder ob sie vielleicht nur die Gelegenheit hatte nutzen wollen, um ihr Parfüm aufzufrischen, jedenfalls kam sie sehr schnell wieder heraus, hatte ihre Handtasche um die Schulter gehängt und trug die tolle Papiertüte aus dem Sportladen. Die Tochter hüpfte vergnügt neben ihr her.
Frau Gruber und ihre Tochter gingen in den Supermarkt. Als ich ihnen folgte, standen die beiden gerade beim Obst und suchten eine Ananas aus. Dann klappte Frau Gruber das Drahtgitter auf der Rückseite des Einkaufswagens hoch und ihre Tochter kletterte mitsamt der Ananas hinein. Die Tochter saß nun den ganzen Einkauf über in dem Wagen, hielt die Ananas im Arm und zeigte auf verschiedene Produkte, die Frau Gruber daraufhin zu...
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