Schweitzer Fachinformationen
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Vor der Dorfkirche Klosterneuburg-Weidling nippte Gruppeninspektorin Daniela Scholz an ihrem Espresso und blickte durch die Verglasung ins Innere der Bäckerei. Nico Drabek unterhielt sich seit einer gefühlten Ewigkeit mit der alten Schachtel hinter dem Tresen. Er stand da wie festgenagelt. Was zum Teufel hatten die beiden so lange zu bequatschen?
Dann endlich trat er einen Schritt zurück und wandte sich zum Gehen. Doch die Verkäuferin kannte keine Gnade. Sie redete gestenreich und ohne Unterbrechung weiter auf ihn ein. Diese verfluchte Schwätzerin!
Geduld, Dani, Geduld. Die Zeit arbeitet für dich.
Die Zeit vielleicht, aber nicht die Kälte. Dani legte den Kopf in den Nacken und blickte zur geschlossenen Wolkendecke auf. Noch hatten sie knapp über null Grad, aber der Wetterbericht prophezeite für die kommenden Tage fallende Temperaturen, und dann würde es den ersten Schnee geben.
Die Türglocke klingelte. Nico trat auf den Gehsteig, die Schultern hochgezogen. »Tut mir leid, dass du warten musstest, aber es gab einen Notfall.«
»Was für einen Notfall? Der einzige Notfall hier sind meine eiskalten Ohren.«
Nico zeigte nicht das geringste Mitgefühl. »Ihre kleine Enkelin muss einen Kriminalfall aufklären. Felicitas ist weg.«
»Wer zum Kuckuck ist Felicitas?«
»Ihre Monster-Puppe. Sie ist verschwunden, vermutlich eine Entführung.«
»Das ist jetzt nicht dein Ernst!«
»Ich kann doch meine Hilfe nicht verweigern, bloß weil es ein Fall ist, der meine Partnerin nicht interessiert.«
»Du hast nur Glück, dass du mein Chef bist. Wäre es umgekehrt .«
»Lass dir Zeit, okay? Ich muss es vorher in die Pension schaffen. Irgendwie. Bei dem Tempo, das du an den Tag legst, wird das womöglich echt knapp.«
Sein spitzbübisches Augenzwinkern brachte sie zum Lächeln. Er neigte den Kopf in Richtung der kleinen Brücke, die über den Weidlingbach führte. »Gut. Das hätten wir geklärt. Gegen kalte Ohren hilft im Übrigen eine Haube.«
»Verzichte. Du weißt, ich kann Kopfbedeckungen nicht ausstehen.« Dani stieß sich mit dem Hintern von der Motorhaube ihres Wagens ab. »Wir müssen etwas Wichtigeres besprechen.«
»Das habe ich befürchtet. Wo sind nur die entspannten Zeiten hin, als ich meinen Morgenspaziergang allein und in Ruhe genießen konnte?«
»Die sind futsch. Weg. Da hättest du dir eine andere Partnerin wählen sollen. Wir teilen wie abgesprochen alles. Meine Energie, deine Erfahrung, meine Durchsetzungskraft und deine Spaziergänge.«
Nico gab sich geschlagen. Er nahm einen Schluck aus seinem Becher. »Also gut. Der alte Pichler, richtig?«
»Natürlich. Wer sonst?«
»Er lässt dich also immer noch nicht schlafen.«
»Ich werde erst wieder ruhig schlafen, wenn der Fall abgeschlossen ist, das weißt du genau. Also, ich bin nach wie vor der festen Überzeugung, dass eine Frau die Täterin war. Was hältst du von der Hypothese, dass Pichler aus dem Dorf weggelockt wurde, um ihn völlig ungestört an einem abgelegenen Ort zu ermorden?«
»Das ist aber nicht neu, oder? Das haben wir bereits alles durchgespielt.«
»Wir haben durchgespielt, dass er von der Schule weggelockt wurde, das schon. Ich aber meine >weiter weg<. Raus aus diesem Kaff, ganz woandershin.«
»Es könnte sein, dass er noch lebt.«
»Ich weiß. Wir haben nirgends Hinweise auf eine Gewalttat gefunden, obwohl wir jeden Stein umgedreht haben. Weder die Hunde noch die Taucher haben etwas gefunden. Aber vielleicht suchen wir einfach an den falschen Stellen. Was, wenn die Täterin mit ihm weggefahren wäre und den Mord ganz woanders verübt hätte?«
»Eine Entführung?«
»Nicht ganz. Pichler war ein notgeiler alter Bock.«
Nico nickte. »Die Festplatte und die Fotos. Ich weiß.«
»Wenn ihn eine Frau eingeladen hätte, mit ihr essen zu gehen, wäre er in Erwartung eines unvergesslichen Abends mit Sicherheit bedenkenlos eingestiegen und mitgefahren.«
»Also doch eine Kollegin von ihm.«
Dani schüttelte den Kopf. »Wir haben alle überprüft. Ebenso die Mädchen, die er begrapscht hat, und deren Mütter. Ich glaube, die sind alle sauber.«
»Vergiss nicht die Väter, Onkel und Brüder.«
»Es war kein Mann, es war eine Frau.«
»Wen also suchen wir?«
»Eine Unbekannte, die in keiner offensichtlichen Verbindung zu einem der belästigten Mädchen steht. Oder eine, die selbst mal Opfer war. Oder in Verbindung zu einem Opfer steht, das sich nicht bei uns gemeldet hat.«
»Pichler hat sein gesamtes Berufsleben in diesem Dorf, an dieser Schule verbracht.«
»Eben. Das spielt uns in die Karten. Wir sollten uns einfach auch alle ehemaligen Schülerinnen und Lehrerinnen vorknöpfen.«
»Du weißt schon, über wie viele Personen wir hier reden? Das können weit über hundert sein.«
Sein zweifelnder Blick und die zusammengepressten Lippen gefielen Dani ganz und gar nicht. »Ich würde die Arbeit übernehmen.«
»Darum geht's nicht, Dani. Ich bin einfach anderer Meinung. Ich bin sicher, dass wir es mit keiner Straftat zu tun haben. Dass der Typ jetzt seit sieben Monaten verschwunden ist und absolut nichts auf ein Verbrechen hindeutet, macht mich skeptisch. Ich denke, er ist tatsächlich einfach abgetaucht. Aus Scham. Oder aus Angst, dass ihn eines Tages eines der Mädchen anzeigt.«
»Es gibt keine Hinweise auf eine Flucht.«
»Wir haben keinen Koffer in seiner Wohnung gefunden und nur wenig Kleidung.«
»Aber wie ist er abgehauen? Er hatte kein Auto, und die Taxis und Busse haben wir allesamt überprüft.«
»Wenn es eine gut vorbereitete Flucht war, gibt es viele andere Möglichkeiten.«
Dani spielte ihren letzten Trumpf. »Es gab auch keine auffälligen Kontobewegungen.«
»Er war - oder ist - alleinstehend. Er könnte über Jahre kleine Beträge beiseitegelegt haben. Es war nicht viel Geld auf seinem Konto. Er hat gut verdient, aber wenig besessen. Wo ist die ganze Kohle geblieben?«
Dani schnaubte genervt. Warum fiel es ihr diesmal so schwer, Nicos gerühmten Feldherrenhügel zu erklimmen und die Lage von oben herab zu beurteilen?
Was übersehe ich? Wo liegt der Fehler?
Ein paar Minuten gingen sie schweigend nebeneinanderher.
Sie ließ den inzwischen zerknüllten Kaffeebecher immer wieder durch ihre Finger wandern. Lag Johann Pichler mit einem Cocktail in der Hand an einem x-beliebigen Strand in Thailand, oder fraßen sich Würmer durch seinen irgendwo verbuddelten Leichnam? Egal, aus welcher Perspektive sie die Geschichte betrachtete, sie glaubte an die Version mit den Würmern. »Ich möchte nochmals mit allen Mädchen sprechen, mit allen Lehrerinnen, auch mit allen ehemaligen.«
Es klang trotzig. Als sie Nicos amüsiert verzogene Mundwinkel bemerkte, ballte sie ihre Hände zu Fäusten. »Was ist?«
»Nichts. Mir gefällt deine Hartnäckigkeit. Du gibst nie auf.«
»Ich bin also stur?«
»Das war keine Kritik, Frau Kollegin, im Gegenteil. Wenn du eine herausragende Polizistin werden willst, dann brauchst du genau dieses Durchhaltevermögen. Viel Ausdauer und einen immens langen Geduldsfaden.«
Dani entspannte sich ein wenig. »Ich wünschte nur, wir würden irgendeinen Anhaltspunkt finden. Irgendwas, wo wir einhaken können.«
»Ein Anhaltspunkt wäre tatsächlich hilfreich. Ohne, fürchte ich, haben wir keine Chance.«
Verärgert kickte Dani einen Stein in den Bach und sah ihm hinterher, als plötzlich ein Summen ertönte. Sie fingerte ihr Mobiltelefon hervor, aber der Bildschirm war dunkel. »Nico, es ist deins.«
Umständlich versuchte nun Nico, in die Innentasche seines Mantels zu greifen. Dani nahm ihm seinen halb vollen Kaffeebecher ab. Sie waren stehen geblieben. Während Nico den Anruf entgegennahm, aufmerksam zuhörte und über den Rand seiner Brille ins Leere blickte, wuchs Danis Ungeduld.
»Ich habe verstanden, Ewald. Wir kümmern uns darum.«
Als sie den Namen hörte, verspürte sie augenblicklich einen gewaltigen Energieschub. Ihr letzter Fall lag mittlerweile drei Wochen zurück. Wenn Nico um diese Uhrzeit einen Anruf von Leutnant Ewald Rosenberger bekam und die beiden so ernst miteinander sprachen, dann konnte das nur eines bedeuten. »Was ist los? Haben wir endlich wieder etwas zu tun? Haben wir einen neuen Fall?«
Nicos versteinerte Miene ließ sie verstummen. Manchmal war ihr ihre Begeisterung für ihren Job und für Kriminalfälle selbst ein wenig peinlich.
»Ich weiß nicht, ob es ein neuer Fall ist.« Er betonte das »neuer« etwas eigentümlich. »Das war jedenfalls der Boss. Er hat vor wenigen Minuten einen Anruf erhalten.«
Und bei seinen nächsten Worten lief es Dani eiskalt den Rücken hinab.
»Von Kresnik. Es scheint, dein Bauchgefühl hat dich nicht im Stich gelassen. Irgendetwas stimmt da draußen nicht. Wir sollen sofort nach Hohenwarten fahren.«
Dani warf ihre geliebte Lederjacke achtlos auf die Rückbank und schwang sich hinters Lenkrad.
Nico sank mit einem tiefen Seufzer auf den Beifahrersitz. »Ich werde alt. Ein kleiner Sprint, und schon bin ich vollkommen außer Puste.«
»Bleib auf dem Teppich. Fünfundfünfzig ist kein Alter für einen Haudegen.«
Nicos neidischer Blick streifte sie. »Du hast leicht reden. Erinnere mich daran, dass ich am Wochenende wieder zu trainieren beginne. Meine Kondition ist grauenhaft.«
»Du darfst dich nicht mit mir vergleichen. Ich bin erst neunundzwanzig und schon immer ein Wiesel gewesen.«
»Ich vergleiche mich nicht mit dir, sondern mit mir. Vor zwei Jahren. Und jetzt fahr endlich...
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