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Es war der obligatorische Blick in den Spiegel, den Isabél auch in der größten Eile nie vergaß. Aus dem schlichten Rahmen blickte ihr ein nicht unschönes, jugendliches Gesicht entgegen, mit blauen Augen, heller Haut und einer etwas kessen Stupsnase. Ihre Wangen waren von dem schnellen Ritt gerötet und das hellblonde Haar vom Wind zerzaust. Sie nahm einen Kamm aus Elfenbein von der Konsole und kämmte ihr Haar streng nach hinten. Dann schlang sie ein seidenes Tuch darum.
Sie weilte erst kurze Zeit in Segovia. Eigentlich wusste sie nicht so recht, warum sie und ihr Bruder Alfonso hierher gerufen worden waren. Aber sie mussten dem Befehl des Königs Folge leisten. Der König, das war Isabéls älterer Bruder Enrique aus erster Ehe ihres Vaters, König Juan II. Seit zehn Jahren saß er auf Kastiliens Thron.
Mit schnellen Schritten durcheilte sie die engen Gänge des Alcázar von Segovia, wo der Hof derzeit residierte. Seine hohen Mauern bargen den Staatsschatz Kastiliens. Trutzig und verschlossen, himmelwärts strebend, mit halbrunden Türmchen und Turmzinnen war die Burg ein Bollwerk gegen alle Feinde des Reichs. Im Inneren jedoch zeigte der Alcázar jene Verfallserscheinungen, die das ganze Königreich charakterisierten. Da regierten die Leichtlebigkeit und Leichtfertigkeit, die Intrige und der Verrat.
Isabéls Rücken versteifte sich unwillkürlich, als sie Lachen, Wispern und Kichern aus den dunklen Nischen und hinter den wuchtigen Säulen vernahm. Geflüsterte Worte, Lockrufe der Lust, die Isabél ängstigten. Ungeniert fanden sich die Pärchen in den Winkeln dieser Burg zusammen. Niemand hinderte sie daran, niemand nahm Anstoß. Den Blick starr geradeaus gerichtet, beschleunigte sie ihre Schritte.
Isabél hörte Lachen und Musik aus dem großen Saal, dessen zweiflügelige, reich geschnitzte Holztür jetzt von Dienern geöffnet wurde. Sie trat ein und blieb stehen. Es herrschte ein buntes Durcheinander von Menschen in den unterschiedlichsten Kleidungen. Da gab es Musikanten, Gaukler und Tänzerinnen, Höflinge neben stolzen spanischen Granden[1]. Im Mittelpunkt jedoch stand der König, aber nicht, weil er strahlend und erhaben auf dem Thron glänzte. Es gab keinen Thron. Enrique IV. hockte mit untergeschlagenen Beinen auf einem mit dicken Kissen ausgelegten Podest. Er trug ärmliche, nachlässige Kleidung. Sein rotes Haupthaar und der struppige Bart waren ungepflegt, seine durch eine Fraktur nicht mehr ebenmäßige Nase verlieh ihm ein gewöhnliches Aussehen. Mit seinen unproportional langen Gliedern wirkte er unbeholfen und staksig. Ein Wunder, dass er in dieser unbequemen Stellung über Stunden verharren konnte. Sein ganzes Gehabe erinnerte eher an einen muslimischen Emir als an einen katholischen König.
Seine Günstlinge und die unzähligen Schmarotzer am Hofe, die sich der Freigiebigkeit des Königs nur zu bewusst waren, umringten ihn stehend oder hatten auf Bänken Platz genommen.
Als Enrique seine Schwester entdeckte, flog ein freudiges Lächeln über sein Gesicht und entblößte seine gelblichen Zähne.
»Isabél, mein Sonnenschein! Tritt ein und erfreue dich an der Unterhaltung, die man mir präsentiert. Es tut einem jungen Mädchen nicht gut, allein in seiner Kemenate zu hocken und Trübsal zu blasen. Ich will verhindern, dass du deiner Mutter immer ähnlicher wirst.«
Er brach in schallendes Gelächter aus, und die Höflinge stimmten pflichtbewusst mit ein.
Isabél schoss die Zornesröte ins Gesicht. Sie hatte das Schicksal ihrer Mutter, die in Schwermut verfallen war, über Jahre in dem düsteren Schloss von Arévalo geteilt, ohne sie davon heilen zu können. Die Trennung von der Mutter und der Wechsel zum Hof ihres Halbbruders fielen ihr nicht leicht. Es gab keinen Grund, über Isabéls Pflichtbewusstsein zu spotten.
Unter den Anwesenden entdeckte sie ihren Bruder Alfonso. Er hielt einen Pokal in der Hand und trank den Wein wie Wasser. Seine Augen glänzten bereits glasig. Auch die meisten anderen Gäste waren angeheitert. Lakaien schenkten unentwegt Wein aus den königlichen Kellern aus.
»Komm, mein Täubchen, nimm an meiner Seite Platz!« Enrique warf ihr ein dickes Kissen mit goldenen Quasten hin.
Langsam trat Isabél näher, dann blieb sie vor einem hochlehnigen Stuhl stehen, den die Gäste offensichtlich verschmähten.
»Der Platz an Eurer Seite steht einer anderen Frau zu«, sagte sie und setzte sich, während sie nur einen kurzen Blick auf die Frau an Enriques Seite warf. Das aber war nicht etwa seine angetraute Gattin, Königin Juana, sondern eine seiner vielen Mätressen. Derzeit war die bildhübsche Portugiesin Guiomar de Castro seine Favoritin. Diese rekelte sich, in ein farbenprächtiges maurisches Gewand gehüllt, neben Enrique auf den Kissen und betrachtete mit herablassendem Spott im Gesicht die Tänzerinnen. Für Isabél hatte sie überhaupt keinen Blick übrig.
Ein Raunen ging durch den Saal. Isabéls Antwort war ein Affront gegen den König, doch Enrique fasste sie als einen Scherz auf. Er legte den Arm um Guiomar und zog sie zu sich heran.
»Wie wahr, mein Täubchen, oft weiß ich selbst nicht, welche am besten zu mir passt. Manchmal denke ich, gar keine. Jedenfalls muss ich mich ab und zu mal von ihnen erholen.« Er lachte lauthals, als ihm Guiomar einen tadelnden Klaps versetzte.
Isabéls Miene blieb verschlossen. Sie spürte die Blicke und das Tuscheln der Höflinge und Señores, die nicht etwa Guiomar, sondern ihr galten.
»Hübsch ist sie ja nicht gerade«, murmelte Juan Pacheco, der Marqués von Villena, seinem Nachbarn Fadrique Enriquez zu.
Don Fadrique, seines Zeichens Admiral von Kastilien, lächelte süffisant. »Das ist auch überhaupt nicht nötig. Wer sie zur Frau bekommt, hat ohnehin noch seine Mätressen. Für eine Heiratskandidatin spielt die Schönheit keine Rolle, sondern die Abstammung.«
Pacheco hob die Augenbrauen. »Heiratskandidatin? Wisst Ihr etwas, das ich nicht weiß?«
»Immer, mein lieber Pacheco. Sonst wäre ich Euch gegenüber doch nicht im Vorteil«, grinste der Admiral. »Der König hat seine Pläne mit ihr. Warum sonst hat er sie an den Hof rufen lassen?«
Pacheco betrachtete abschätzend das Mädchen, das sich aufrecht und von Schmeicheleien und Geflüster der Höflinge scheinbar unbeeindruckt auf dem unbequemen Stuhl hielt. Sie lehnte auch das angebotene Weinglas ab.
»Lasst sie noch ein paar Monate bei Hofe sein, und sie wird geformt wie warmes Wachs. Sie scheint nicht das düstere Gemüt ihrer Mutter geerbt zu haben, auch wenn sie sich jetzt aufführt, als würde sie jeden beißen, der sie nur anzurühren wagt.«
»Sie wird den beißen, der sie anrührt«, erwiderte Don Fadrique. »Aber ich denke, wer sie als Faustpfand hat, ist einen Schritt voraus.«
Pachecos Kopf fuhr herum. »Seid Ihr etwa dieser Jemand? Ich traue es Euch durchaus zu.«
Don Fadrique setzte eine undurchdringliche Miene auf. »Wer wird denn seine geheimsten Pläne verraten?«, murmelte er.
Pacheco lachte belustigt auf. »Eure Pläne, lieber Fadrique? Ich denke eher, es sind die Pläne des Königs. Ihr schmückt Euch mit fremden Federn und legt falsche Fährten aus. Glaubt Ihr nicht, dass sich auch andere den Kopf darüber zerbrechen, was Enrique mit seiner Halbschwester vorhat?«
»Sicher, sicher. Es ist allerdings von Vorteil, es vor den anderen zu erfahren.«
Der Wortwechsel der beiden Männer wurde jäh unterbrochen, als die Tür mit einem Knall aufflog und die Königin mit zornigem Gesicht und wütend funkelnden Augen hereinplatzte. Sofort verstummte die Musik, die Tänzer verzogen sich schleunigst. Juana, die zweite Ehefrau des Königs, war die Schwester des portugiesischen Königs Alfonso, sehr hübsch und sehr temperamentvoll. Der Grund ihres Zorns lag in Enriques Armen.
»Du doppelzüngige Natter, du schleimige Eidechse, du widerwärtiger Wurm! Ich habe dich nicht in den Kreis meiner Hofdamen aufgenommen, damit du bei nächster Gelegenheit unter die Decke meines Gemahls kriechst. Es gibt genug andere Hähne hier am Hof, mit denen du es treiben kannst, bis du wund wie ein gebrühtes Schwein bist. Schämst du dich nicht, dich in aller Öffentlichkeit wie eine maurische Hure auf dem Boden herumzuwälzen? An der Seite des Königs ist mein Platz! Mein! Mein! Mein!«
Sie stürzte sich auf die verblüffte und überrumpelte Guiomar, die sich nicht schnell genug von den Polstern aufrappeln konnte, und schlug ihr mit jedem Wort den zusammengeklappten Fächer ins Gesicht. Blut spritzte, Guiomar schrie auf. Enrique warf sich dazwischen, ohne allerdings viel bewirken zu können. Juana war rasend vor Eifersucht, und es störte sie nicht im Geringsten, dass der gesamte Hofstaat ihr bei diesem Ausbruch zuschaute.
»Juanita, Täubchen, liebstes Mäuschen, was tust du da? Wir haben doch nur ein bisschen den Tänzerinnen zugeschaut. Das Mädchen kann doch nichts dafür.«
»Nichts dafür?«, tobte Juana und schlug weiter auf Guiomar ein. »Hure, Verführerin, Miststück! Miststück! Miststück!«
Guiomar hob schützend die Arme über den Kopf und versuchte, vor Juanas Gewalttätigkeiten zu flüchten. Aber sie stieß nur an eine Wand aus Gaffern, Sympathisanten oder Feinden. Die einen waren auf Juanas Seite und feuerten sie an, die Konkurrentin aus dem Feld zu schlagen, die anderen ergriffen für Guiomar Partei.
Innerhalb kürzester Zeit entstand ein wüstes Handgemenge, der halbe Hofstaat prügelte sich. Keiner kümmerte sich um die Rufe des Königs, der zur Besonnenheit mahnte. In dem Durcheinander gelang Guiomar die Flucht.
Juana, dem Objekt ihres Zorns beraubt, blickte sich wie ein wutschnaubender Stier um, dann traten plötzlich Tränen in ihre Augen.
»Diese Schmach«,...
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