Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Es hat zwei Millionen Jahre gedauert, bis unsere Spezies zum ersten Mal in den Genuss dessen kam, was in der Raumfahrt als Overview Effect bezeichnet wird. Mit dem Betreten des Weltalls erschloss sich eine neue Dimension der Überschaubarkeit. Die Menschheit blickte zum ersten Mal, plötzlich halt- und widerstandslos zwischen Erde und Mond treibend, auf ihren Planeten zurück und stellte fest, wie enorm die Summe all dessen ist, was wir trotz allen Wissens nicht zu erkennen vermögen. Es ist unbegreiflich, und doch ist es wahr: In einem unendlichen Kosmos schwebt, wie von Geisterhand gehalten, eine blau pulsierende Kugel im atomschwarzen Ozean der Leere, und dieser Stein aus unvorstellbaren Milliarden Jahren, diese einzigartige Heimat, sie leuchtet - und lebt.
Dem Kosmonauten Oleg Makarow fiel eines Tages auf, dass sogar recht emotionslose Astronauten, die stets einsilbig antworten und noch nie im Leben ein Wort zu viel gesprochen haben, mit der ersten Erfahrung des Overview Effect - auch Breakaway Effect oder Weltraum-Euphorie genannt - einen völlig neuen Redebedarf an den Tag legen. Im Schnitt, so recherchierte er, schwelgt ein Raumfahrer 42 Sekunden lang in einem unvermeidbaren emotionalen Ausbruch, bis er oder sie diese Erfahrung fürs Erste verarbeitet hat.
Alle sternenwärts reisenden Männer und Frauen, die seit jeher versuchten, das sprachlos Machende in Worte zu fassen, sprechen eine gemeinsame Sprache. Edgar Mitchel berichtet von einem «globalen Bewusstsein», das sich ihm unverzüglich einstellte, als er auf einen blauen Planeten hinabsah, der wie ein Geist im tiefschwarzen Nichts des Universums rotierte; Aleksei Leonov beschwörte ein «heiliges Relikt», das es mit aller Anstrengung zu beschützen gilt. Und Scott Adams funkte zur Erde zurück: «Die weißen, verschlungenen Wolken und die Blauschattierungen des Meeres lassen das Raumschiff, das Rauschen des Radios und sogar den eigenen Atem verstummen. Es gibt keinen Wind, keine Kälte und keinen Geruch, die dich noch an die Erde binden. Einerseits schwebt man, wie auf dem Olymp, leidenschaftslos über den Dingen. Andererseits kann man nicht glauben, wie emotional verhaftet man mit allem ist, was sich dort auf und über der Erde bewegt.»
Eine vernichtende Größe.
Wer als Mensch einmal die Erde unter den Füßen verlor, wird von dieser Erfahrung grundlegend verändert.
Keine achtzig Jahre, nachdem sich die Menschheit einen solchen Überblick über ihre Existenz verschafft hat, wird sie sich im kommenden Jahrzehnt für eine Erfahrung wappnen müssen, die alles übersteigt, was einem Wesen der Erde jemals widerfahren ist. Ich nenne es den Unview Effect - eine beispiellose Grenzerfahrung, die in der Welt der Weltraumpsychologie auch als Earth-out-of-Sight-Phänomen bekannt ist. Denn bislang sind Menschen «nur» in den Orbit und zum Mond geflogen. Wo auch immer sie waren, die Erde war nah, strahlte im Rückspiegel und behielt uns in ihrer Umlaufbahn. Geht auf der Internationalen Raumstation ISS, von der man permanent auf die vertrauten Kontinente und Ozeane hinabschaut, etwas schief, steht eine Raumkapsel bereit, und nach einigen Stunden stehen die Sternenfahrer wieder auf der Oberfläche ihres Heimatplaneten. Der Rückweg ist sicher, weil uns die Erde nie abhandengekommen ist. 400 Kilometer unter den schwebenden Füßen wartet sie treu auf die Rückkehr ihrer raumfliegenden Kinder.
Bald jedoch wird man weit in die Tiefen unseres Sonnensystems hinausfliegen, genauer gesagt zum Mars, und zum ersten Mal beobachten, wie die Erde, wie alles Bekannte kleiner und kleiner wird, so lange, bis unsere Heimat nur noch als winziges Pünktchen zurückbleibt zwischen Abermillionen von Sternen. Keine physische Nähe mehr, keine psychische Verbundenheit. Eine kaum vorstellbare Abnabelung steht uns bevor. Es bleibt im gesamten Universum nichts mehr übrig, auf das der Mensch zurückblicken kann, und so wird der Unview Effect mit allem brechen, was in der Reichweite des Bekannten und Vertrauten liegt. Depressionen, Wahn, Erleuchtung oder All-Sein? Niemand kann heute voraussagen, was an diesem einzigartigen Punkt der völligen Entschwebung mit dem menschlichen Körper und Geist geschehen wird. Sechs Monate lang werden die Raumfahrer durch die immer gleiche, orientierungslose Dunkelheit reisen, bis auf einmal eine rostrote Kugel aus der ewigen, jeden Gedanken abschaffenden Schwärze emporglimmt. Der Mars. Diese Pioniere werden jenen Traum leben, der bereits Giordano Bruno ein Leben lang begleitete:
Ich schwebe durch den Himmel und treibe dem Unendlichen entgegen.
Und während ich von meinem Heimatplaneten zu anderen aufsteige
Und den ewigen Raum immer weiter durchdringe,
Lasse ich das weit hinter mir, was andere aus der Ferne sahen.
Alle staatlichen und privaten Weltraumunternehmen arbeiten gerade mit Hochdruck daran, den Mars zu besiedeln. Nach einem langen Dornröschenschlaf erlebt die Welt eine Renaissance der Raumfahrt und erneute Wettrennen ins All. Ausgerechnet das höchst seltsame Jahr 2020 setzte den finalen Startschuss - Zyniker würden behaupten, dass es keinen besseren Zeitpunkt gegeben hätte, um aufzuzeigen, dass die Erde nicht unsere einzige Heimat bleiben muss. Der Flug des Crew-Dragon-Raumschiffes zur Internationalen Raumstation leitete ein neues Zeitalter ein, denn die Falcon-9-Rakete, die Crew Dragon Richtung Unendlichkeit schoss, landete wenige Minuten später wohlerhalten auf der Erde. Die Wiederverwertbarkeit der Raketen und Raumschiffe ist der entscheidende Schritt, der die Besiedlung des Mars möglich und uns zu interplanetarischen Wesen machen wird. Gerade das von Elon Musk geführte, private Weltraumunternehmen SpaceX hat es geschafft, die kaum für möglich gehaltenen Visionen der letzten fünfzig Jahre Wirklichkeit werden zu lassen. Es ist nichts Geringeres als der Beginn einer neuen Ära, und jeder Mensch, der diese neue Generation von Raumschiffen in die vielversprechenden Himmel hat emporschießen sehen, weiß: Das, wovon man vor kurzem nur zu träumen gewagt hatte, ist Realität geworden, und wir beginnen eine neue Epoche, die den Menschen von Grund auf verändern wird.
Ob die Ära der Erde zu Ende geht, wird sich zeigen. Was wir aber wissen, ist:
Das Zeitalter des Mars hat begonnen.
Schon immer träumte ich davon, als schwereloser Argonaut auf einem der Schiffe zu reisen, die noch zu meinen Lebzeiten zum Mars aufbrechen werden. Es wäre nur konsequent. Seit nunmehr zwanzig Jahren reise ich kontinuierlich über den Planeten, um zu erfahren, was dieses Wort einem sterblichen Wesen bedeuten könnte: Beheimatung. Mit dem Motorrad oder Van habe ich ganze Kontinente durchkreuzt und die heiligsten Stätten der Menschheit besucht. In der Hoffnung auf eine jenseits weltlicher Himmel gespannte Einsicht pilgerte ich nach Jerusalem, Bodhgaya, Varanasi, Amritsar, Bethlehem, Gizeh oder Delphi und stand vor den außergewöhnlichsten Tempeln, die die Natur aus ihrem Schoß zu zaubern vermag. Ich lebte unter indischen Bettlern, mit buddhistischen Mönchen auf Sri Lanka und vertraute in Kuba auf jene schwarzen Magier, die am besten tanzen konnten; endlos trieb ich durch Wüsten, Berge, Urwälder oder megalomane Dschungel wie Kalkutta, Kairo und New York. Der Aufenthalt auf dieser Erde hat mich alles gelehrt. Wie man neu wird, indem man sich permanent selbst verlorengeht, wie man betet, verflucht und ein für alle Mal lernt, die Demut von der Selbstlosigkeit zu unterscheiden, wie man seinen ewigen Frieden findet, seinen ewigen Frieden verliert, wie man liebt, trauert und vor allem: staunt und verehrt.
Egal, wo ich mich befand, ich war zu Hause. Und stellte in Wüsten, in Urwäldern und auf den höchsten Bergpässen der Welt fest, dass es letztendlich niemals um das Ankommen geht - sondern immer nur um den Aufbruch und die Wanderschaft.
Ein Reiseziel aber blieb unerreichbar, der größte Traum unerfüllt und fern: die Intimität unserer blauen Kugel in Richtung des Mars zu verlassen, unseres Bruderplaneten, der auf all meinen irdischen Reisen still und erwartungsvoll vom Nachthimmel leuchtete. Von den oben genannten Berichten derer, die über unsere Atmosphäre hinausgeschossen wurden, wissen wir, dass wir die Einzigartigkeit unseres irdischen Lebensraumes neu begreifen, sobald wir, vollkommen sprachlos gemacht, auf ihn zurückblicken. Nur das endlose Universum mit seinen ersten und letzten Geheimnissen, nur das Fremde und Unbekannte vermag es, dem eigenen Selbst den Spiegel vorzuhalten. Reisen ist die unaufhörliche Neubestimmung der eigenen Menschlichkeit, und die galaktische Wanderung zu neuen Planeten wird alles in Frage stellen, was wir über uns zu wissen glauben.
In Zeiten, in denen die Menschheit aufbricht, um so bald wie möglich nicht nur Satelliten und Rover, sondern auch Männer und Frauen dauerhaft zum Mars zu senden, stelle ich mir dringlicher als jemals zuvor meine ewige Frage: Würde ich tatsächlich aufbrechen? Und zwar nicht erst in fünfzig Jahren, wenn alles aufgebaut und vorbereitet ist, sondern jetzt? Wirklich einsteigen in die Starship-Rakete von SpaceX, die 2026 die ersten Menschen zum roten Planeten bringen soll?
Die Antwort ist Ja. Der Romantiker und Abenteurer in mir will hinausgeschossen werden ins All, zur Not auch auf Nimmerwiedersehen. Er würde alles dafür aufgeben, den so geliebten Planeten verschwinden zu sehen, sodass er zwischen den Sternen nicht mehr als Heimat auszumachen ist. Für so eine Erfahrung lohnt sich der Tod, der...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.