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Die vielleicht früheste Erwähnung der Reichenau stammt aus römischer Zeit6, als die Römer das Bodenseegebiet eroberten. Ein damaliger Geschichtsschreiber berichtet von einer Insel im Bodensee, die der Armee als Rückzugsort diene, wobei unklar ist ob die Reichenau, die Insel Lindau oder vielleicht auch die Mainau gemeint war. Für diesen militärischen Zweck scheint jedoch die Reichenau am besten geeignet gewesen zu sein. Die Nähe zum befriedeten Gebiet südlich des Rheines und auch die Nähe zum strategischen Flussübergang bei Konstanz lassen die Reichenau wie ein vorgeschobenes, zeitlich kurzfristiges Militärlager erscheinen. Man ist auch geneigt, den Turm von St. Georg als Nachfolgebau eines römischen Wachturms zu halten, der strategisch günstig an der dem Festland nächstgelegenen Stelle steht.
Jedenfalls sind ganz offenbar dieser heute stehende Turm und auch der Kirchenbau von St. Georg schon rein optisch und vom Baustil her älter als die beiden anderen Kirchen der Reichenau. Turm und Kirche von St. Georg müssen aus einer Zeit stammen als die Erbauer noch etwas unerfahren waren im Bauen mit Stein.
Die byzantinisch erscheinende Westapsis lässt einen an die großen Förderer der Reichenau denken, die ottonischen Kaiser mit ihrer dynastischen Verbindung zu Byzanz.
Viel später, in der Gotik, als die deutschen Baumeister schon jahrhundertelange Erfahrung mit dem Bau von Steingebäuden gesammelt hatten, wurde viel lichter und mit großen Fenstern gebaut, viel höher und filigraner, mit perfekten leichten Bögen und einem stützenden steinernen Außenskelett. All das sehen wir in der Zeit der Romanik und insbesonders hier bei St. Georg noch nicht. Der Erstbau von St. Georg dürfte somit zeitlich wohl zu Beginn der Romanik stehen (also gegen Ende des 10. Jahrhunderts) und dessen heutige Bausubstanz ist die älteste der drei Inselkirchen.
Hingegen deutet der Baustil des heutigen Münsters in Mittelzell auf eine spätere Erbauung im hohen Mittelalter:
Friedrich Adler, der zuerst (1869) die Kirche einer ernsthaften kunstgeschichtlichen Untersuchung unterzog, bezeichnet die Seitenschiffmauern und die Säule am Westeingang des südlichen Seitenschiffs als die ältesten Teile des Baues und verlegt sie in die Zeit Wittigowos (986-997). Den Westchor samt dem Querschiff und den äußeren Vorhallen hält er für einen Rest der nach Hermann dem Lahmen unter Abt Berno 1048 geweihten Markuskirche. Die Pfeilerarkaden des Mittelschiffs aber gehören nach seiner Meinung einem 1172 unter Diethelm von Krenkingen (1169-1206) begonnenen (nur durch Bruschius bezeugten) Neubau, wofür die Ornamentik der Kapitäle (Zickzackstab) spreche. [Gröber 1922 S.22]
Die heutige Bausubstanz des Münsters dürfte somit größtenteils aus der Mitte des 11. Jahrhunderts stammen, errichtet vom Abt Berno, oder Teile davon errichtet vom bauwütigen Abt Wittigo kurz vor dem Jahr 1000, denn der romanische Baustil lässt eine frühere Datierung nicht zu, während ein späterer Bau im 12. Jahrhundert wegen der geistigen und finanziellen Not eigentlich ausgeschlossen werden kann. [Gröber 1922 S.71]
Trotzdem scheinen zumindest die erwähnten Pfeilerarkaden, dem Stile nach, erst am Ende der Romanik entstanden zu sein, also eben wohl doch in der Zeit des Diethelm von Krenkingen um 1180, als das Kloster schon längst im Verfall begriffen war.
Die Kirche in Niederzell ist die jüngste der drei Reichenauer Kirchen und deren heutige Bausubstanz stammt aus den Jahren nach 1080:
Nach zwei Bränden wurde der Gründungsbau von Niederzell um 1080 abgebrochen, und auf den alten Fundamenten wurde unter Beibehaltung der ursprünglichen Maße die heutige querhauslose Säulenbasilika erstellt7
Wegen einem Brand ist also der erst etwa 100 Jahre alte Gründungsbau abgebrochen worden. Es scheint früher viele Brände gegeben haben, denen seltsamerweise auch steinerne Kirchen zum Opfer fielen.
Die hauptsächlichen heutigen Bausubstanzen der drei Kirchen stammen also frühestens aus den Jahren grob um 970 für Oberzell; teils um 990 (Abt Wittigo), teils kurz vor 1048 (Abt Bern) für Mittelzell, und nach 1080 für Niederzell. Die erste steinerne Kirche in Mittelzell dürfte um 940 gebaut worden sein.
Der Name der Insel im frühen Mittelalter war "Au", das bedeutet Wiese oder fruchtbare Niederung. Mit Sicherheit war die Insel schon seit dem Ende der Antike dauerhaft bewohnt, denn das milde Klima begünstigte das dortige Leben und die Landwirtschaft sehr. Bis heute hat man auf der Insel jedoch keine Siedlungsreste aus frühmittelalterlicher Zeit gefunden. Das will aber nichts heißen. "Angesichts der klimatisch begünstigten Lage der Insel ist diese Tatsache [der Nichtbesiedelung] erklärungsbedürftig", schreibt Michael Richter hierzu. [Richter S.4]
Es gibt eine ganze Anzahl später geschriebener, erfundener und erdichteter Geschichten und Urkunden über die Frühzeit der Reichenau. Beim Studium der Reichenauer Geschichte eröffnet sich ein ganzer Reigen von Fälschungen und Legenden, wo es einem schwerfallen kann, den Wald vor lauter Bäumen noch zu sehen. Oftmals ist es nicht einfach, die Fiktion der erdichteten Ereignisse, Personen und Jahreszahlen von der Wirklichkeit zu unterscheiden.
Weist man diesen Geschichten keinerlei historischen Wert zu, dann beginnt die Geschichte des Klosters im frühen 10. Jahrhundert. Denkbar und sinngebend wäre die Gründung des Klosters in Zusammenhang mit dem nahen Bischofssitz Konstanz, oder von dort veranlasst, aber darüber gibt es keine Aufzeichnungen.
Etwa für das Jahr 920, oder etwas früher, müssen wir deshalb den ersten Bau und somit die Gründung des Klosters annehmen.
Das Kloster gab sich den Namen: Sintleozes-Au, das bedeutet die sündlose Au oder die Sündlos-Au. Aufgrund verschiedener Schreibweisen dieses Namens wäre vielleicht auch die folgende Bedeutung denkbar: Sünd-Lass-Au; lassen im Sinne von weg-lassen, ab-lassen, fallen-lassen, oder Sünden erlassen (gegen Geld).
Schon der religiös deutbare Sinn dieses Klosternamens macht klar, dass es keine Person Sintlas gegeben haben kann, von der spätere Legenden berichten.
Einige Jahrzehnte später, als das Kloster schon vor dem Jahr 1000 sehr reich geworden war, war es ihm ganz offensichtlich peinlich einen Namen zu tragen, der mit Sünde in Zusammenhang gebracht wurde, und das vermutlich darum, weil sich dessen Bewohner alles andere als sündlos verhielten. Schon vor dem Jahr 1000 änderte das Kloster deswegen seinen Namen in Au oder Aue, lateinisiert Augia. Die lateinischen Quellen schreiben von Augia regalis = königliche Au, Augia maioris = Groß-Au und Augia dives = reiche Au; von letzterem hat dann auch der Volksmund die Insel und das Kloster benannt: Reichenau, die reiche Au.
Aber auch nach dem Jahr 1000 liest man in den Urkunden noch die Bezeichnung Sintleozesau. Das liegt daran, dass diese in der Regel gefälschten Urkunden sich vordatierten in eine vermeintliche Frühzeit der Reichenau, in der der Name Sintleozesau noch gebräuchlich war. Hätten die Fälscher, z.B. im 12. Jahrhundert in ihren Urkunden den neuen Namen Augia dives verwendet, so wäre die Fälschung wegen der Verwendung des zu neuzeitlichen Namens einem Wissenden natürlich sofort offenbar geworden, die Fälschung leicht aufgedeckt worden.
Dabei muss man alle Urkunden immer einzeln bewerten: wann wurden sie tatsächlich geschrieben, und auf welche frühere Zeit sind sie datiert bzw. sollen sie hindeuten.
Historiker sehen die Anfänge des Klosters im Jahr 724 und berufen sich auf die Vita Pirmini, die Lebensgeschichte des ersten Abtes. Aber schon Karl Brandi sah klar:
Es liegt auf der Hand, dass alle diese verschiedenen Fassungen der Vita Pirmini nach Ort und Zeit ihrer Entstehung für die Reichenauer Geschichte absolut wertlos sind. [Brandi I S.103 ]
Das Urkundenarchiv der Reichenau enthält aus der Zeit vor 1200 sehr viele Fälschungen. [Brandi I S.V]
Erst eine umfangreiche Prüfung dieser gefälschten Urkunden würde die Historiker in die Lage bringen, die Geschichte der Reichenau aufzuhellen. Und dann Brandis bemerkenswerte Aussage:
Ohne diese Arbeit ist von der Gründung der Reichenau bis etwa 1200 kein fester Boden zu gewinnen, eine Geschichte der Reichenau in dieser Zeit unmöglich. [Brandi I S.V]
Michael Richter hingegen zweifelt nicht am angeblichen Gründungsdatum 724, sieht die Forschung sich aber auf dünnem Eis bewegen, - was wie ein Widerspruch erscheint:
Mangels einer echten Gründungsurkunde beruft man sich für das Jahr 724 als Beginn des Klosters auf das ein Jahrhundert später verfasste Gedicht der Visio Wettini von Walafried Strabo; ich habe keinen triftigen Grund, an diesem Datum für die Gründung zu zweifeln, möchte nur darauf verweisen, auf welch dünnem Eis wir uns bewegen, sofern es um die Anfänge des Inselklosters Reichenau geht. [Richter S.3]
Gibt man erdichteten Geschichten historische Bedeutung, so wird der Blick für das wirkliche Geschehen vernebelt. Auch Michael Richter gesteht zu, dass das Wissen um die Anfangszeit der...
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