AM ANFANG WAR .
Haben Sie je in Ihrem Vorgarten gesessen, an einem heißen Kaffee genippt, den Sonnenaufgang im Hintergrund und alle Dinge dazwischen??- die Hügel, die Bäume, das Gras, die Vögel und die Ameisen??- betrachtet und sich dabei gefragt, wie alles einst begann, während Sie verzweifelt darauf warteten, dass irgend so ein alter Kerl mit weißem Rauschebart auftaucht und Ihnen die Geheimnisse des Universums verrät? Haben Sie das je getan? Also mir ist das tatsächlich schon passiert, nur dass der Kaffee lauwarm war und der Typ mir einen Staubsauger andrehen wollte. Ich habe ihn trotzdem nach dem Ursprung des Universums gefragt, und zu meiner Überraschung hatte er da eine Theorie. Er lehnte sich nach vorn und der Geruch nach altem Leder und Mottenkugeln vermischte sich mit dem Morgentau. In seinen Augen funkelte der Schalk von jemandem, der weiß, wo die Mafia ihre Opfer verscharrt. "Na gut", fing er an, wobei seine Stimme auf ein verschwörerisches Flüstern herabsank, als ob die Spatzen heimlich lauschen würden. "Sie wollen wirklich wissen, wie alles anfing?"
Er sprach von einer großen Leere, einer perfekten, makellosen kosmischen Leere, die von den Säuberern, göttlichen Wesen der Perfektion, aufrechterhalten wurde. Irgendwann wurden die Säuberer der Monotonie überdrüssig, also sprachen sie das heilige Wort, und siehe, es hallte in der Leere wider: "Es werde Staub!" Und der Staub ward und er war gut. Denn welchen Sinn haben die Säuberer schon ohne Staub? Und so senkte sich der himmlische Staub auf die Leere herab und gab der Formlosigkeit Form, den Müßigen Aufgaben und der Makellosigkeit Unordnung. Die Säuberer sahen den Staub und erkannten, dass er . eine Aufgabe für später war. Doch der Staub war mehr als das, was er auf den ersten Blick schien. Er enthielt die Saat des Lebens selbst, winzige Körnchen voller Möglichkeiten, die sich auf das Grundgerüst des Weltraums legten wie Haustierhaare auf einen Teppich.
Die Körnchen des großen Staubes wirbelten umher und tanzten, kollidierten miteinander, gingen Verbindungen ein und erschufen Sterne, Planeten, Menschen und Eigenheime mit mannigfaltigen Bodenbelägen. Die Säuberer sehnten sich zutiefst nach einer Rückkehr zur ewigen Sauberkeit und trugen diesen Auftrag den wenigen Auserwählten auf, die seitdem die Kunde vom heiligen Gerät verbreiten. Dann hob er seinen Staubsauger auf und wiegte ihn ehrfurchtsvoll in den Armen, bevor er die Rückkehr zur Makellosigkeit prophezeite. Kurz darauf verschwand der Mann wieder und ließ mich mit einer inzwischen kalten Tasse Kaffee und einer Garantieverlängerungsvereinbarung in meinem Vorgarten zurück.
Von den antiken Zivilisationen mit ihren Sagen über weltenschöpfende Titanen bis hin zu heutigen Staubsaugervertretern mit Verkaufsgesprächen, die so ausladend sind wie das Universum selbst??- Menschen haben schon immer versucht, die Leere mit Geschichten zu füllen. Und auch wenn die Erzählung meines Staubsaugerverkäufers absurd modern klingen mochte, deckte sie sich doch in ihrem Kern mit den Mythen vergangener Tage: Götter und Helden, die die Sterne erschaffen, die Erde formen und das Feuer des Lebens entfachen. Jede Zivilisation und jedes Zeitalter spinnen ihr eigenes Garn, um die existenzielle Angst vor dem ungeklärten Ursprung unseres Daseins zu überwinden. Diese Geschichten sind tief in jeder Kultur verwurzelt und ein wichtiger Bestandteil der Realitätsvorstellung jedes einzelnen Menschen. Und während manche von ihnen im Gegenzug ein bescheidenes Opfer zu bieten haben (zum Beispiel ein gratis Steakmesser-Set), sind andere in den Krieg gezogen, um ihre Schöpfungsmythen zu verteidigen.
Diese Geschichten taugen zu weitaus mehr als zum Verkauf von Staubsaugern und wackelköpfigen Heilandsfiguren fürs Armaturenbrett, denn sie verschaffen uns die eine immaterielle Sache, die wir am allermeisten begehren: Kontrolle. Die Kontrolle über unser eigenes Narrativ, unseren Anfang und unser ganz persönliches Schicksal. Mag sein, dass Mythen Trost spenden??- aber durch das Brennglas der Wissenschaft erhaschen wir einen Blick auf die wahre Pracht des Universums. Und auch wenn die Wissenschaft dem Trost vielleicht ein bisschen existenziellen Schrecken entgegenhält, sind die Geschichten, die sie erzählt, das Ganze trotzdem absolut wert.
Alles fing damit an, dass .
Welchen religiösen Text, welchen spirituellen Ratgeber und welche fiktionale Erzählung Sie auch zur Hand nehmen??- Sie werden immer am selben Punkt starten: am Anfang.
Wir werden wahrscheinlich nie erfahren, welches die erste Schöpfungsgeschichte war. Zeugnisse wie Höhlenmalereien lassen vermuten, dass die urzeitlichen Menschen ein komplexes spirituelles Leben besaßen, wodurch es naheliegt, dass sie auch ihre eigenen Schöpfungsgeschichten hatten. Doch sofern wir nicht die archäologische Entdeckung des Jahrhunderts machen, ist es genauso wahrscheinlich, dass die Details der Zeit zum Opfer gefallen sind. Es gibt allerdings ein paar richtig alte Geschichten, also fangen wir einfach mal mit denen an.
Die Schöpfungsgeschichte des Gunditjmara-Stamms in Südaustralien erzählt von einem Ahnenwesen namens Budj Bim, das sich an Land als Vulkan zu erkennen gab. Die Lava und die Felsen waren sein Blut und seine Zähne, welche es speiend über die Erde verteilte, damit sie ins Meer flossen und so neues Land erschufen, das die Menschen nähren sollte. Und obwohl es den Anschein hat, dass viele Schöpfungsgeschichten von Ereignissen in der realen Welt entkoppelt sind, beruht diese Geschichte hier offensichtlich auf einer wahren Begebenheit: Budj Bim ist tatsächlich ein erloschener Vulkan, der den sogenannten Tyrendarra-Lavastrom hervorbrachte, durch den die Landschaft in jener Region verändert und ein Gebiet geschaffen wurde, das auf einzigartige Weise bewohnbar ist. Aber jetzt kommt's: Der Budj Bim ist zum letzten Mal vor 37.000 Jahren ausgebrochen. Halten Sie einen Augenblick inne und überlegen Sie sich, was das bedeutet. Diese Entstehungsgeschichte wurde über 1000 Generationen hinweg gewissenhaft weitergegeben??- und ist damit wahrscheinlich die älteste Überlieferung, die man sich bis heute erzählt.
Natürlich handelt es sich hierbei nicht um die einzige indigene Schöpfungsgeschichte Australiens, nicht mal nur mit Blick auf diejenigen, die bis heute überlebt haben. Vor der europäischen Kolonisierung gaben Hunderte verschiedene Gemeinschaften ihre eigenen ganz einzigartigen Erzählungen an die nachfolgenden Generationen weiter??- anders als der eine heute auf dem Kontinent dominierende kulturelle Mythos, nach dem alle Dinge aus der Fermentation von Hopfen und Malz hervorgegangen sind, was anscheinend die Notwendigkeit rituellen Trinkens am helllichten Tag bedingt. Wie auch immer. Typische Themen der ursprünglichen australischen Geschichten sind jedenfalls neben anderen Dingen auch lokale geologische Gegebenheiten sowie einheimische Pflanzen und Tiere.
Natürlich beheimatet auch der afrikanische Kontinent, der immerhin der Geburtsort der Menschheit ist, unzählige Schöpfungsgeschichten. In diesen Geschichten tauchen oft menschenähnliche Schöpfungsgötter auf, die an irdischen Ritualen teilnehmen, welche die materielle Welt aus einem vorherigen formlosen Dasein hervorbringen. Demgegenüber handeln die Schöpfungsgeschichten der indigenen Bevölkerungen Amerikas auf der anderen Seite des Atlantiks oft davon, dass unsere Welt aus einer zuvor existierenden hervorgegangen war, wie etwa jene, nach der ein Himmelsgott den Rücken einer Riesenschildkröte mit Schlamm bestrich, um die Erde zu erschaffen.
Mündliche Überlieferungen sind häufig den Kulturen und Gemeinschaften vorbehalten, die sie sich erzählen, was auch der Grund dafür ist, dass sie??- selbst, wenn sie überleben??- nicht weit verbreitet sind. Abgesehen davon gibt es da natürlich noch ein anderes offensichtliches Problem. Bei dem Kinderspiel "Stille Post" flüstert man der Person neben sich ein Wort oder einen Satz ins Ohr und die Nachricht wird von einer zur anderen weitergegeben, bis sie alle gehört haben. Am Ende sagt die letzte Person laut, was sie gehört hat, was meistens (vor allem wenn Jungs mitspielen) irgendwas mit Penis zu tun hat. Zum Glück greifen erwachsene Menschen nicht auf derart jugendlichen Humor zurück. Im Gegensatz dazu haben schriftliche Überlieferungen die einzigartige Eigenschaft, ohne ein lebendiges Medium auszukommen, sodass sie besser gegen Scherzkekse gewappnet sind.
Von kosmischen Omeletts
Der sogenannte Enuma-Elis-Mythos, der als die älteste schriftliche Schöpfungsgeschichte gilt, stammt aus dem alten Babylon und wurde lange vor der Erfindung von Löschtaste und Autokorrektur in Tontafeln gekratzt. Das Ganze ist ein Familiendrama von sowohl kosmischem Ausmaß als auch extremer Belanglosigkeit??- als hätte jemand Kanye West seine eigene Reality-Show gegeben. Im Prinzip geht es darum, dass eine Seite der Familie einen Champion??- Marduk??- ernennt, der sich im Laufe der Geschichte als richtiges Arschloch erweist, indem er alle anderen erst betrunken macht und ihnen dann die Zustimmung abringt, ihn zum Herrscher zu machen, wenn er die Urgöttin Tiamat vom anderen Zweig der Familie abschlachtet. Das tut er letztendlich auch und benutzt ihren Körper, um die Welt zu erschaffen. Ihren Ehemann Kingu opfert er, um die Menschen zu erschaffen, und sie lebten glücklich und zufrieden . Uff!
Die alten Ägypter verewigten mehrere Schöpfungsmythen, die man meistens in die steinernen...