1. Besiegt! Besetzt! Befreit! - Die alliierten Siegermächte in Deutschland
Kriegsende
Der Zweite Weltkrieg hätte in Europa schon im Winter 1944/45 zu Ende sein können. Aber statt aufgrund der verheerenden militärischen Lage zu kapitulieren, verschloss sich der »Führer und Reichskanzler« Adolf Hitler den Realitäten, ließ den »Totalen Krieg« ausrufen und schickte alles, was verfügbar war, in die letzten Gefechte: Waffen und Menschen. Alte Männer wurden zum »Volkssturm« eingezogen; Kinder der Hitlerjugend wurden mit Panzerfäusten bewaffnet und auf die Straßen geschickt. Wer sich weigerte, wurde kurzerhand von spontan gebildeten Standgerichten der Wehrmacht und Waffen-SS als Verräter hingerichtet.
Am 27. Januar 1945 erreichte die Sowjetarmee deutschen Boden und konnte die Häftlinge des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz befreien. Am 21. April 1945 stand die »Rote Armee« an der Stadtgrenze von Berlin und am Abend des 29. April 1945 am Brandenburger Tor. Erst am 2. Mai war mit dem russischen »Kampf um den Reichstag« auch der Kampf um Deutschland zu Ende.
Hitler hatte sich seiner Verantwortung am 30. April 1945 durch Selbstmord entzogen. Sein Nachfolger, Großadmiral Karl Dönitz, beauftragte Generaloberst Alfred Jodl, die Kapitulationsverhandlungen im Hauptquartier des Oberbefehlshabers der alliierten Streitkräfte in Europa, Dwight D. Eisenhower, im französischen Reims zu führen. Er unterzeichnete am 7. Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht. Sie trat am 8. Mai 1945 um 23 Uhr in Kraft.
Kurz nach Mitternacht des 9. Mai unterzeichnete Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, der Chef des Oberkommandos der deutschen Wehrmacht, die Kapitulationsurkunde im Hauptquartier der sowjetischen Armee in Berlin-Karlshorst. In Moskau feiert man seitdem den 9. Mai als »Tag des Sieges« über Deutschland.
Der Zweite Weltkrieg war zunächst nur in Europa zu Ende. Der Krieg im Pazifik, der am 7. Dezember 1941 mit dem japanischen Überfall auf den amerikanischen Militärstützpunkt Pearl Harbor begonnen hatte, erreichte mit den amerikanischen Atombombenabwürfen auf die Städte Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945 seinen traurigen Tiefpunkt. Mit der Kapitulation Japans am 2. September 1945 endete der Zweite Weltkrieg auch im pazifischen Raum.
Deutschland war 1945 politisch, militärisch, ökonomisch und moralisch zerstört und hatte zugleich die ganze Welt in den Abgrund gestürzt.
Weltweit hatte der Krieg 60 Millionen Menschenleben gekostet, darunter waren 6 Millionen Juden und Hunderttausende Sinti und Roma, die zivilen Opfer in den Bombennächten und schließlich die an Hunger, Kälte und Gewalt auf der großen und beispiellosen Fluchtbewegung Verstorbenen. Circa 17 Millionen Menschen galten 1945 als verschollen.
Rund 14 Millionen Deutsche waren in den ehemaligen Ostgebieten des Deutschen Reiches auf der Flucht oder vertrieben worden. Geschätzt 5,7 Millionen Soldaten der Roten Armee starben während der Kriegsgefangenschaft. Nur 2 Millionen der insgesamt 3,2 Millionen deutschen Kriegsgefangenen kehrten aus der Sowjetunion nach Deutschland zurück - die letzten im Januar 1956. Bis heute ist das Schicksal von 1,3 Millionen deutschen Militärangehörigen ungeklärt.
Die Paradoxie des 8. Mai 1945
Noch im Parlamentarischen Rat, vier Jahre nach der Kapitulation, am 8. Mai 1949, formulierte der FDP-Fraktionsvorsitzende und spätere Präsident der Bundesrepublik Deutschland Theodor Heuss treffsicher:
»Im Grunde genommen bleibt dieser 8. Mai 1945 die tragischste und fragwürdigste Paradoxie für jeden von uns. Warum denn? Weil wir erlöst und vernichtet in einem gewesen sind.«
Die Paradoxie des 8. Mai trat im Laufe der Jahrzehnte zusehends in den Hintergrund. Es wurde verdrängt, dass der Tag für den Beginn von Vertreibungsterror und erneuter Unterdrückung im Osten Deutschlands stand sowie für den Beginn der deutschen Teilung. Diese historischen Ereignisse wurden mit der Begehung des »8. Mai« als »Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus«, insbesondere in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ), beziehungsweise der späteren DDR, ausgeblendet und relativiert.
Insbesondere Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat in seiner viel beachteten Rede zur Wiederkehr des Kriegsendes am 8. Mai 1985 an die Worte von Theodor Heuss angeknüpft. Weizsäcker war der erste Politiker in der Bundesrepublik Deutschland, der die Befreiung vom Nationalsozialismus in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen rückte. Gleichwohl hatte er auch betont:
»Niemand wird um dieser Befreiung willen vergessen, welche schweren Leiden für viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen und danach folgten. Aber wir dürfen nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit sehen. Sie liegt vielmehr in seinem Anfang und im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Krieg führte.«
Mit zunehmender Geschichtsvergessenheit und/oder der Übernahme sozialistischer Geschichtsbilder wurde der 8. Mai 1945 in der 1990 vereinigten Bundesrepublik Deutschland schrittweise nur noch als »Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus« bezeichnet, nämlich seit 2002 in Mecklenburg-Vorpommern, seit 2005 in Berlin, seit 2015 in Brandenburg und seit 2020 in Schleswig-Holstein.
Die deutsche Nachkriegsordnung
Über eine deutsche Nachkriegsordnung berieten die alliierten Mächte, die USA, Großbritannien und die Sowjetunion, vom 4. bis 11. Februar 1945 erstmals auf der Konferenz in Jalta, einem idyllischen Badeort auf der Halbinsel Krim. Hier wurden die ersten Pläne für die Annektierung der deutschen Ostgebiete und für die Einteilung Deutschlands in Besatzungszonen vereinbart.
War die Kapitulation zum 8. Mai zunächst eine rein militärische Unterwerfung, übernahmen die - mit Frankreich inzwischen vier - Siegermächte auf der Konferenz von Potsdam am 5. Juni 1945 formal bis in die Kommunen hinein die Regierungsgewalt in Deutschland.
Was vom Deutschen Reich nicht ohnehin schon annektiert worden war, wurde in vier Besatzungszonen und die bisherige Reichshauptstadt Berlin aus Prestigegründen in vier Sektoren aufgeteilt. Während die Briten ein gemeinsames wirtschaftliches, politisches und administratives Vorgehen in allen vier Besatzungszonen vorschlugen, entschied die Potsdamer Konferenz, dass jede Siegermacht in ihrer Zone beziehungsweise ihrem Sektor die wirtschaftliche und politische Entwicklung nach eigenem Ermessen bestimmen durfte. Mit dem Alliierten Kontrollrat schufen die Siegermächte aber ein gemeinsames Gremium, um die in Potsdam vereinbarten Maßnahmen zu koordinieren.
Doch statt auf »Einheit« drängte der Kontrollrat auf »Einheitlichkeit« (W. Benz). Beides wurde aber durch Alleingänge der Sowjets wiederholt konterkariert. So hatten die sowjetischen Militärbehörden schon vor der Potsdamer Konferenz im Juni 1945 die Gründung von Parteien und Gewerkschaften in ihrer Zone und im Ost-Berliner Sektor zugelassen. Unterschiedliche Maßstäbe wurden auch bei der »Entnazifizierung« angesetzt; in der Sowjetischen Besatzungszone wurde sie schon 1946 gänzlich eingestellt.
Aufgrund der bürokratischen Schwerfälligkeit des Kontrollrats und der gegensätzlichen politischen Ziele seiner Mitglieder blieb die Auflösung Preußens vom 20. Februar 1947 die letzte gemeinsame Entscheidung der vier Siegermächte. Danach kam es im Sommer 1947 zu wirtschaftspolitischen Weichenstellungen, die dem Alliierten Kontrollrat die politische Geschäftsgrundlage entzogen. Mit der Verkündung des Marshallplans sowie der Errichtung des Wirtschaftsrates, einem parlamentsähnlichen Gremium für die amerikanische und britische Besatzungszone (die sogenannte »Bizone«), rückte auch ein formaler Friedensvertrag zur Beendigung des Zweiten Weltkrieges in weite Ferne.
Erste demokratische Strukturen
Bei all ihren Bemühungen, gesellschaftliches und politisches Leben wiederaufzubauen, blieben die vier Siegermächte in ihren Besatzungszonen konservativ und traditionell. Im Prinzip wollten sie den Stand von 1933 wiederherstellen.
Die alten Parteien wurden wieder zugelassen, wenn ihnen keine Mitschuld an den nationalsozialistischen Verbrechen nachgewiesen werden konnte. Auf Weisung der sowjetischen Besatzungsmacht wurden im Juni 1945 die KPD, SPD und CDU sowie im Juli die Liberal-Demokratische Partei (LDP) gegründet. Die anderen Besatzungsmächte zogen bis Ende des Jahres 1945 nach. Erst mit Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 fusionierten die Parteien bundesweit, und ein autonomes Parteiensystem wurde etabliert.
Die SPD war die erste Partei, die in allen vier Besatzungszonen wieder errichtet worden war. Sie knüpfte bewusst an die Zeit vor 1933 an. Schon im Mai 1945 eröffnete Kurt Schumacher, der nach seiner Entlassung aus dem Konzentrationslager 1943 vom englischen Exil aus gewirkt hatte, in Hannover sein Büro als »Parteizentrale«. Von hier aus hielt Schumacher gemeinsam mit Erich Ollenhauer auch während der Arbeit am Grundgesetz im Bonner Parlamentarischen Rat für die SPD die Fäden in der Hand.
Die Gründung der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU) war in der deutschen Parteienlandschaft nach dem Zweiten Weltkrieg die einzige wirkliche Innovation. Eine katholische Zentrumspartei wollten viele nicht mehr, auch Konrad Adenauer hatte sich bald nach Auflösung der Zentrumspartei 1933 wiederholt entsprechend positioniert. So war die CDU vielfach den konservativen und christlichen Parteien ähnlich, hatte aber auch liberale, soziale und sogar sozialistische Ideen angenommen, wie das »Ahlener...