Aber wegen Schmerzen oder Angst habe ich im Krankenhaus nie geweint. Aber ein Ereignis hat mich fast dazu gebracht: Ich musste einmal niesen. Als ich merkte, wie es in meiner Nase kitzelte, dachte ich wirklich, ich müsste das Fachpersonal rufen, damit mir das Gehirn nicht implodiert. Als ich das Niesen nicht mehr aufhalten konnte, liess ich es einfach zu und zu meinem Erstaunen passierte nichts. Es war, als ob ich nie operiert wurde. Ich hatte keine Schmerzen, keinen Druck im Kopf oder sonstige Beschwerden. Da wusste ich, dass es wirklich gut kommt!
Die Zeit danach
Am siebten Tag war es dann soweit und ich durfte nach Hause gehen.
Der Neurochirurg kam zur vorerst letzten Visite in mein Zimmer und gab mir beim Abschied die Hand mit den Worten: «In einem halben Jahr sehen wir uns wieder.»
Zu Hause ging ich aber erst einmal alles ganz langsam an, denn ich durfte nicht headbangen und auch das Kirschkernweitspucken musste ohne mich stattfinden (Haha!). Doch mit einigen Therapien, wie unter anderem Physio, um meinen Gleichgewichtssinn zu trainieren und Logopädie für die Fazialisparese, ging es in langsamen Schritten Richtung Besserung.
Und während der Physiotherapie konnte ich erst keinen Fuss eng vor den anderen setzen oder gar auf einer Kante laufen. Dies war Teil der Therapie und sollte mir mehr Sicherheit beim Laufen geben.
Am Anfang war es mir ein wenig peinlich, denn ich wusste, wie man es macht, aber die Beine taten es nicht. So stand ich auf der Kante und war wie blockiert. Die Therapeutin war aber sehr nett und nach einigen Wochen wurde es besser und ich bekam wieder mehr Sicherheit beim Laufen.
[Die Fazialisparese hält bis heute an, ist aber um einiges besser geworden. Die beiden Fotos zeigen mich einmal im Dezember 2018 (links) und im März 2019 (rechts), welches nach der Operation aufgenommen wurde.]
Die (erste) Nachuntersuchung
In den nächsten fünf Jahren werde ich zur regelmässigen Kontrolle müssen. Erst werde ich jeweils ein MRT und danach eine Besprechung bei meinem Neurochirurgen haben.
Und am Mittwoch, den 21. August 2019, war es soweit. Ich hatte die erste Nachuntersuchung und ich muss zugeben, dass ich die Nacht zuvor wenig geschlafen habe. Den Termin erhielt ich jedoch recht schnell. Am Montag hatte ich mit der Sekretärin des Neurochirurgen telefoniert und gleich den Termin am Mittwoch bekommen.
Und da mein Mann noch Ferien hatte, fuhr er mich am Morgen ins Krankenhaus. Dort hatte ich erst einmal das MRT, ehe ich danach ins Büro des Neurochirurgen gegangen bin.
Das MRT war wie immer: Laut und platzsparend. Aber nach 30 Minuten bin ich, auch dank der netten Assistentin, lächelnd aus dem Krankenhaus raus und ins Ärztehaus zu meinem Neurochirurgen, der mich schon erwartete.
Es freute ihn zu sehen, dass die Fazialisparese nicht mehr ganz so schlimm war. Er riet mir jedoch, noch weiterhin in die Logopädie zu gehen, da man noch sah, wie sehr sich die Gesichtsmuskeln bei jeder Bewegung anstrengen mussten. Sodann zeigte er mir die neuen Bilder von meinem Kopf und was soll ich sagen? Ich sah ein Gehirn, wie es aussehen sollte und dass ohne störendes Extra. Auch hatten sich das Kleingehirn und der Hirnstamm wieder ausgebreitet und das bekam ich sogar mit. Das Zurückbilden ging zwar sehr langsam vonstatten, aber ich hatte während dieser Zeit starke Kopfschmerzen mit Übelkeit und Erbrechen.
«Allerdings», so fuhr der Neurochirurg fort und ich zuckte schon zusammen, «hat der Radiologe etwas auf einem Bild vermerkt.» Er suchte nach dem Bild und zeigte es mir. In der Nähe meines Gehirns und wo ich operiert wurde, zeichnete sich eine längliche Linie ab, die vom Kontrastmittel eingefärbt wurde. «Das ist das Narbengewebe, da ich dort den Tumor herausgeschnitten habe. Das ist allerdings nicht beunruhigend und es sieht alles sehr gut aus. Auch das Gehirn hat sich wieder schön nach vorne geschoben und der Hirnstamm liegt frei.»
Nach einer kurzen Pause und zwei Röntgenbilder von mir vergleichend, drehte er seinen PC-Bildschirm noch einmal zu mir um. Auf diesem sah ich links mein Gehirn mit dem Tumor und rechts das Bild, wie mein Gehirn jetzt aussieht. Ich strahlte wie ein Honigkuchenpferd: «Jetzt sieht es viel besser aus!» Er nickte und meinte, dass der Tumor schon recht verwachsen war und er wirklich tüfteln musste, um ihn herauszuoperieren. Die Operation dauerte fast sechs Stunden. Doch er freute sich über das Operationsergebnis, «zumal der Tumor auch schon recht gross war.»
Wir verabschiedeten uns mit Handschlag und den Worten: «In einem Jahr sehen wir uns zur nächsten Kontrolle.»
Freudestrahlend bin ich dann nach Hause gefahren und für die Zukunft kann man sich bei mir auf eines verlassen: Ich werde auf jeden Fall meinem Optimismus nicht verlieren und weiterhin optimistisch in die Zukunft blicken!
4. Drei wichtige Dinge, die ich gelernt habe
Ich kann nicht in Worte fassen, wie dankbar ich bin, dass ich weiterhin am Leben teilnehmen darf. Aber da man im Leben immer etwas lernt, habe auch ich durch diese Erfahrung unter anderem diese drei wichtigen Lektionen gelernt:
Ich weiss, auf wen ich mich verlassen kann
Es gehörte zum Prozess dazu: Das Lernen, auf wen man sich in solch einer schwierigen Zeit verlassen kann.
So liess ich nicht nur den jungen Arzt aus der Gemeinschaftspraxis hinter mir, sondern auch Menschen, die mir vor, während und nach der Diagnose gezeigt haben, dass ich mich nicht auf sie verlassen konnte.
Mir ist natürlich bewusst, dass solch eine Krankheit viel von einem abverlangt. Jedoch ist es weder für den Betroffenen noch für die Angehörigen einfach und viele sind während solch einer Zeit überfordert. Ich denke, es ist hier wichtig, auf die Gefühle der jeweils anderen einzugehen. Doch ich merkte schnell, wie kräfteraubend dies auch für mich war. Vor allem, es allen recht machen zu wollen. Das kann man im Übrigen gar nicht.
So habe ich gelernt, die Menschen hinter mir zu lassen, die nicht für mich da waren, aber das ohne Groll. Ich habe ihnen vergeben und das habe ich vor allem für mich gemacht. Dadurch erlangte ich innere Ruhe und ist auch einfach besser für das seelische Wohlbefinden.
Ich konzentriere mich auch grundsätzlich vermehrt auf die Gegenwart und lasse die Vergangenheit ebenfalls hinter mir. Letztlich würde ich mich damit nur selber immer wieder mit unnötigen Gedanken quälen. Und: Jemandem zu verzeihen zeigt Stärke. Dabei muss man mit dem Menschen nichts mehr zu tun haben, denn ein Verzeihen kann man auch mit sich selber ausmachen.
Auf der anderen Seite hat mir August aber auch wieder Menschen nähergebracht, von denen ich nicht gedacht hätte, dass ich ihnen derart wichtig wäre. Sie schenkten mir aber so viel Aufmerksamkeit und Liebe, dass es mich sehr berührt hat. Es hat mir gezeigt, dass ich ihnen nicht gleichgültig bin.
Auch das beweist, auf wen man sich in solchen Zeiten verlassen kann. Und manchmal sind es gerade Menschen, von denen man es am wenigsten erwartet hätte.
Ich höre nun vermehrt auf meinen Körper
Was ich die letzten Jahre sicherlich vernachlässigt habe, ist meine physische wie psychische Gesundheit.
Ist der Körper krank, so kann es der Geist auch irgendwann werden und umgekehrt. So habe ich gelernt, mehr auf mich und meinen Körper zu achten. Damit meine ich nicht, dass ich wegen jedem Ziepen zum Arzt renne, aber wenn mein Körper Anzeichen zeigt, wie damals das ständige Fieber, so werde ich mit Nachdruck jemanden suchen, der mir nicht nur glaubt, sondern mir auch hilft. Und genauso sehe ich es auch mit meiner mentalen Gesundheit.
Wir haben nun einmal nur diesen einen Körper. Da ist es wichtig, achtsam zu sein.
Ich bin dankbar, dass ich mein Kind aufwachsen sehen darf
Der letzte Punkt ist sehr emotional für mich und kann vielleicht nur von jenen nachempfunden werden, die selber Kinder haben.
Aber der 23. Januar, der Tag, an dem ich operiert wurde, sehe ich als Geschenk an. Ich wusste, dass ich einen (noch) gutartigen Tumor hatte, doch hätte ich trotzdem sterben können. Und ohne, dass ich mir dies jeden Tag vor Augen führe, halte ich den Operationstag als den Tag in Erinnerung, der mir das Leben rettete.
Ich darf weiterhin am Leben teilhaben.
Weiterhin alle vier Jahreszeiten geniessen.
Weiterhin meine Familie und Freunde in die Armen nehmen.
Und so auch weiterhin mein Kind aufwachsen sehen.
Und dafür bin ich sehr dankbar!
Bevor ich ins Krankenhaus kam, war mir diesbezüglich recht mulmig zumute. Zwar nahm mir der Neurochirurg die Angst, dass etwas Schlimmes passieren würde, doch ein Restrisiko hat man immer. Vor allem bei Operationen und dann noch am offenen Kopf.
Ich dachte daran wie es für mein Kind wäre, wenn ihre Mutter nicht mehr nach Hause kommen würde.
Wie würde sie reagieren?
Was würde sie machen?
Was würde aus ihr werden?
Ich glaube fest daran, dass es jedes Kind beeinflusst, wenn ein oder sogar beide Elternteile krank sind oder sogar sterben. Es ist ein grosser Einschnitt in ihrem Leben und deshalb weinte ich auch im Vorbereitungszimmer. Denn ich...