Siebentes Kapitel. Pauline, General Leclerc und Fürst Borghese
I.
Die Lebensgeschichte dieser reizenden, aber leichtsinnigen Frau ist nichts weiter als eine lange Kette mehr oder weniger alltäglicher Liebeleien, weiblicher Schwächen und Launen. Die Politik ihres Bruders hat Pauline, solange sie lebte, herzlich wenig berührt und gerührt. Ihre kostbare Person, die Frau in ihr, war stets die Hauptsache, die größte Sorge für sie. Sie schmachtete nicht wie ihre Schwestern nach einem Throne, nach Würden und Ehren. »Ich liebe die Kronen nicht«, pflegte sie zu sagen, »wenn ich eine gewollt hätte, würde ich eine erhalten haben. Ich überlasse das meinen Angehörigen.« Die einzige Herrschaft, auf die sie Anspruch machte, war im Reiche der Liebe und Schönheit. Da aber war sie unumschränkte Königin. Schönheit und Sinnlichkeit waren ihr in hohem Maße eigen. Der vollkommene Mangel an sittlichem Empfinden, das Außerachtlassen allen Anstandes und die geringe Achtung vor der öffentlichen Meinung, ließen Pauline die Genüsse des Lebens bis zur Neige auskosten, ohne daß sie jemals in Zwiespalt mit sich selbst geriet. Sie war eine geborene Venuspriesterin, die Schönste von den Schwestern Napoleons, ja vielleicht die schönste der Frauen in Paris, an denen es zu ihrer Zeit in der Hauptstadt Frankreichs sicher nicht mangelte. Bei alledem hatte sie ein gutes Herz. Ihrem Bruder brachte sie zärtliche Zuneigung, die größte Achtung und Verehrung entgegen. Er wiederum hegte für sie von allen seinen Schwestern die meiste Sympathie und sagte, sie sei bis zu Ende das beste Wesen von der Welt gewesen.
38. Pauline Bonaparte (Jugendbildnis).
Nach einem Gemälde vermutlich von David. Napoleonmuseum, Arenenberg
Als Napoleon sich an die Spitze von Frankreich stellte und Glanz und Ruhm ihren Glorienschein über seine Familie verbreiteten, stand Paulette in der Blüte ihrer Jugend und im höchsten Zauber ihrer unvergleichlichen Schönheit. Sie kam in Ajaccio am 20. Oktober 1780 zur Welt. Als Kind ähnelte sie im Wesen außerordentlich ihrem Bruder Napoleon. Sie war wild und unbändig wie ein Knabe. Nichts war vor ihrem Übermut sicher. Sie kletterte auf Hecken und Bäume, kam mit zerrissenen Kleidern, zerkratzten Armen und Beinen nach Hause, und alle Schläge und Schelte der gestrengen Frau Letizia nützten nichts. Paoletta, so hieß das Kind in der korsischen Heimat, blieb die wilde Hummel. Vor ihrer unwiderstehlichen Spottlust und ihrem Nachahmungstrieb bestand niemand die Probe, nicht einmal die alte Großmutter, die gebeugt und krumm auf ihren Stock gestützt, einherhumpelte. Auch der ehrwürdige, aber geizige Onkel Luciano diente bisweilen als Zielscheibe für die Streiche Paolettas. Er war reich, verbarg jedoch alles Geld in seinem Bett. Paoletta hatte längst beobachtet, daß der Alte seine Schätze ängstlich bewachte. Sie wartete nur auf eine günstige Gelegenheit, die harten Taler und alle die blanken Goldstücke vor aller Augen hervorrollen lassen zu können. Eines Tages, als Letizia wieder einmal über die schreckliche Geldnot klagte, die in ihrem Hause herrsche, der Onkel aber behauptete, er könne ihr nicht einen Pfennig geben, da zog die schlaue Paoletta plötzlich mit einem Ruck die Kissen aus dem Bett des Archidiakons, Und siehe da: ein Goldstück nach dem andern rollte auf den Boden, zum großen Erstaunen der versammelten Familie. Der arme alte Geizhals war starr vor Schrecken, als er sich entdeckt sah. Er beteuerte feierlich, dieses Geld habe ihm seine Gemeinde zum Aufbewahren gegeben; nicht ein Pfennig gehöre ihm! Niemand glaubte ihm das. Die Kinder lachten, aber Letizia ward sehr ernst. Sie schalt den Taugenichts Paoletta tüchtig aus und hob gewissenhaft jedes Geldstück auf, um es dem Onkel wieder zurückzugeben. Darauf steckte sie ihre Kinder zur Türe hinaus, und der Alte war froh, daß nichts von seinem Gelde fehlte.
39. General Leclerc.
Zeitgenössischer Stich. Porträtsammlung der Nationalbibliothek in Wien
Paoletta war dreizehn Jahre alt, als sie mit ihrer Familie an jenem sonnigen Junitag des Jahres 1793 arm und flüchtend in Toulon landete. Es war das erstemal, daß sie französischen Boden betrat. Vielleicht hatte sie sich ihr erstes Auftreten in Frankreich anders vorgestellt, aber ihre sorglose Jugend half ihr gar bald über alle Not hinweg. Sie litt nicht wie Elisa, das ehemalige Fräulein von Saint-Cyr, unter den Erniedrigungen und unter der Armut der korsischen Flüchtlinge in Toulon und Marseille. Paoletta hatte in Korsika keinen Reichtum gekannt. Ihre Erziehung war nicht auf vornehme Lebensgewohnheiten zugeschnitten worden. In ungezwungener Natürlichkeit hatte Letizia das Mädchen aufwachsen lassen und im übrigen seine Bildung ziemlich vernachlässigt. Paoletta hatte gerade so viel gelernt, daß sie notdürftig lesen und schreiben konnte. Mehr brauchte sie auch nicht. In ihrem ganzen Leben war sie nie darauf bedacht, durch Geist und Wissen zu glänzen. Die Natur hatte sie äußerlich so verschwenderisch mit Reizen ausgestattet, daß sie sich Klugheit und Kenntnisse ersparen konnte. Ihr ganzes Interesse ging auf Vergnügungen und Putzsucht. Sie war viel zu jung und viel zu leichtfertig, als daß sie sich über die traurige Lage der Ihrigen hätte Rechenschaft ablegen können.
Bereits als Vierzehnjährige war sie eine Schönheit. Jung, hübsch, frühreif und lebenslustig, von einer allzu vertrauensvollen Mutter unbewacht, zögerte Paoletta nicht, sich mit jungen Leuten in kleine Liebeshändel einzulassen, die sie sehr bald in aller Mund brachten. Ihr Lachen, ihr Übermut, ihre unbändige Jugendlust rissen alles mit sich fort. Wenn aber auch leichtfertig, so war sie doch damals noch nicht verdorben. Die zeitgenössischen Flugschriften sprechen Paoletta zwar bereits den ersten Geliebten mit vierzehn Jahren zu, aber diese Behauptung ist unwahr. Noch ungereimter ist das Gerücht, daß sie um jene Zeit mit dem General Cervoni gelebt habe. Paoletta hat später unzählige Liebhaber besessen und kein Hehl daraus gemacht: als Vierzehn- und Fünfzehnjährige aber war sie nur ein leichtsinniges, flatterhaftes, unbedachtes Geschöpf, das ihren ersten heißen Liebesrausch mit dem stutzerhaften Kriegskommissar Stanislas Fréron im Jahre 1796 durchlebte.
Einem so kindischen, zugleich aber äußerst sinnlich veranlagten Mädchen wie Paoletta mußte ein Mann wie Fréron gefallen. Man sah es ihm an, daß er die Frauen und das Leben kannte, daß er beide bis zur Übersättigung genossen hatte. Das übte auf die Frauen der Provinz eine ungeheure Anziehung aus; in den Gesellschaften riß man sich um Fréron. Er war 42 Jahre alt. Obgleich er mit seiner breiten Nase, der fliehenden Stirn und den dünnen, verlebten Lippen nicht gerade wie ein Apollo aussah, hatte man ihn in Paris den »schönsten der Muscadins« genannt. Die vornehme Jugend nahm sich ihn lange Zeit zum Vorbild in der Kleidung und in den Gewohnheiten.
Zu jener Zeit, als Fréron die Bekanntschaft der jungen Paoletta Bonaparte machte, war er arm, dennoch sehr verschwenderisch. Noch immer kleidete er sich mit der höchsten Eleganz, bewohnte eins der vornehmsten Häuser in Marseille und besuchte alle Festlichkeiten, Theater und Bälle. Dazu war er ein hinreißender Gesellschafter. Seine Sprache war die der Gecken seiner Zeit. Er unterdrückte geziert das >r< und sagte sup'ême anstatt suprême, pa'ole d'honneu statt parole d'honneur, inc'oyable für incroyable; anstatt >je vous jure< hörte man ihn lispeln >ze vous zue<. Das gehörte zum guten Ton. Dazu kleidete er sich wie der überspannteste aller Incroyables. Sein Rockkragen war 9 Zoll hoch und so weit, daß der Kopf vollkommen darin verschwand. Die kurzen, mit Schleifen gehaltenen Kniehosen umschlossen seine Beine so knapp, daß man sich wunderte, wie er aus dieser engen Umhüllung wieder herausschlüpfen konnte, nachdem er erst alle Mühe gehabt hatte, hineinzukriechen. Ein solcher Anzug und das stutzerhafte Gebaren hoben ungemein das Ansehen, das Fréron bereits als Don Juan genoß. Er aber, der Liebe und Leidenschaft bis zur Neige ausgekostet hatte, er sehnte sich jetzt nach dem beständigeren Glück des Ehestandes.
Dieser Fant war der Sohn Elie Frérons, des berühmten und scharfzüngigen Kritikers Voltaires. Unter der Schreckensherrschaft hatte sich Stanislas einen Namen gemacht. Er war der Herausgeber des heftigsten revolutionären Blattes »L'orateur du Peuple« und wurde am 23. Juli 1791 im Gefängnis »La Force« in Paris eingekerkert, bald aber wieder freigelassen. Er wurde Abgeordneter des Konvents und hatte seinen Sitz in der Montagne, wo er erbittert gegen die Gironde kämpfte. Im Jahre 1793 schickte man ihn als Volksvertreter nach Marseille und Toulon. Dort zeigte er sich in Gemeinschaft Barras' äußerst tyrannisch und unerbittlich. Sein Grundsatz hieß: »Alles erschießen, solange es noch Verräter gibt!« Die Ereignisse des 9. Thermidor bereitete er mit Tallien vor und ward schließlich darauf halb aus Ungnade vom Direktorium aufs neue als Kommissar nach dem Süden gesandt.
In Toulon hatte Fréron die Brüder Joseph und Napoleon Bonaparte kennen gelernt. Später, in Marseille, schloß er sich dem jungen Lucien an, der ihn in das Haus seiner Mutter einführte. Man betrachtete den Kriegskommissar als nützlichen Hausfreund, denn er und Barras waren es, die den korsischen Flüchtlingen die ersehnte Unterstützung von der Regierung verschafften. Vielleicht sah Frau Letizia auch in Fréron einen Freier für Paoletta. Sie war ihm dankbar, daß er sich in Toulon ihres Napoleon angenommen hatte, als dieser sich in Ungnade befand. Noch aber zögerte sie, ihn vollkommen als Verlobten ihrer Tochter zu betrachten. Sie hoffte, noch eine bessere...