Die vorliegende Publikation behandelt erstmals umfassend den Vermögensentzug, die Rolle der Profiteure und der Praxis der Rückstellungen im Bereich der Diözese St. Pölten. In der seit 1785 bestehenden Diözese St. Pölten waren im Jahre 1938 von 369.665 Einwohnern 97,7% römisch katholisch getauft; in 396 Pfarren waren 385 Welt- und 170 Ordenspriester tätig; in den 8 großen Stiften, 14 Niederlassungen von Männerorden und 92 Niederlassungen von Frauenorden wirkten darüber hinaus weitere 316 männliche Ordensangehörige und 1.608 Schwestern. Daneben existierten etwa 800 kirchliche Vereine und Stiftungen. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben im Bereich der Bildung, Erziehung, Krankenpflege, Sozialfürsorge und Seelsorge verfügten Pfarren, Klöster, Orden, Stiftungen und Bistum über ein Vermögen zumeist in Form von Gebäuden und Liegenschaften. So waren etwa die Profiteure der beiden größten Enteignungsfälle in der Diözese St. Pölten, Stift Göttweig und Stift Altenburg, die Stadt Krems und der Reichsgau Niederdonau. Weitere Profiteure der Göttweiger Besitzungen waren die Wehrmacht, die dadurch zahlreiche Liegenschaften insbesondere in Markerdorf und Umgebung als Ersatzland gewinnen konnte, weiters Bauern, die durch den Zukauf von Äckern ihre wirtschaftliche Basis erweitern konnten, und der Reichsgau Niederdonau sowie die großen Wiener Museen, die sich wertvolle Göttweiger Möbel und Sammlungen einverleiben konnten. Im Falle von Stift Altenburg blieben die Besitzungen, abgesehen von den Kunstsammlungen, weitgehend zusammen, und zwar in der Hand des Reichsgaues. Im Falle Göttweigs bestand ein besonderer Finanzierungsbedarf hinsichtlich der neuen Gauhauptstadt Krems. Jahre zurückliegende sexuelle Vergehen, volks- und staatsfeindliches Verhalten sowie Misswirtschaft wurden als offizielle Gründe der Enteignung angeführt. Neben den Enteignungen spielten Beschlagnahmungen von Kloster-, in selteneren Fällen auch Pfarrgebäuden zum Zwecke der Einquartierung von staatlichen Schulen, Militär und so genannten "Volksdeutschen" eine wichtige Rolle. Die volksdeutsche Mittelstelle hatte im Reichsgau Niederdonau bis zu 18.000 Umsiedler unterzubringen und zog dazu in erster Linie kirchliche Gebäude heran. Nach Ende der nationalsozialistischen Herrschaft gab es eine rasche und unbürokratische Rückstellung dort, wo sich klösterlicher Besitz in treuhändiger Verwaltung des Landes Niederösterreich befand. Schwieriger gestalteten sich die Restitutionen der in der Zeit der Enteignung aufgelaufenen Erträgnisse. Die Entschädigungszahlungen der Republik Österreich erfolgten ab 1958 jährlich an die österreichische Bischofskonferenz, die wiederum einen Teil davon an einen Topf der österreichischen Superiorenkonferenz weiterreichte. Bei der Höhe der jährlichen Überweisungen der Superiorenkonferenz an die einzelnen Stifte und Ordensgemeinschaften fanden die bis 1959 nicht entschädigten Verluste der Klöster Berücksichtigung. Zum Autor: Stefan Spevak, Mag. phil., geb. 1968 in St. Pölten,., M.A.S.; Studium der Geschichte u. Philosophie in Wien u. Paris; Lehrgang am Institut f. Österr. Geschichtsforschung (IfÖG), derzeit dort wissenschaftlicher Mitarbeiter, ebenso AHS-Lehrer. Bisherige Forschungsgebiete zu: mittelalterliches Handwerk; Klosterkultur des Barock; Balkanländer u. Türkenkriege/17. Jh.; NS-Herrschaft und Zweite Republik. Aktuelles Forschungsprojekt: Völkische Mittelalterrezeption in Österr. nach 1945. Publikationen, u.a.: Das Jubiläum "950 Jahre Österreich". Eine Aktion zur Stärkung eines österreichischen Kultur- und Staatsbewusstseins im Jahr 1946, Wien/ München 2003, 320 S.