Vorwort . 9
Einleitung . 13
Was erwartet Sie in diesem Buch? . 19
Gewaltfreie Kommunikation . 23
Die vier Elemente . 29
1. Beobachtung . 30
Beobachtung und Bewertungen im Umgang mit Menschen mit geistiger Behinderung . 33
Gedanken und Worte prägen meine Haltung . 35
Moralische und lebensdienliche Bewertungen . 36
2. Gefühle . 39
"Gefühl" im Unterschied zum "Gedanken" . 40
Gefühle im Umgang mit Menschen mit Intelligenzminderung . 43
3. Bedürfnisse . 48
Bedürfnisse und Strategien . 49
Bedürfnisse im Umgang mit Menschen mit Intelligenzminderung . 50
4. Bitten . 52
Unterscheidung zwischen Bitte und Forderung . 52
Beziehungsbitte . 54
Handlungsbitte . 55
Verständnisbitte . 57
Bedürfnisse bei Menschen mit Intelligenzminderung . 61
Die sozio-emotionale Entwicklung . 64
Primärer Zustand (0 - 4/6 Wochen) . 64
Symbiotische Phase (4 Wochen - 4/5 Monate) . 65
Differenzierungsphase (4/5 - 10/11 Monate) . 66
Übungsphase (10/11 - 17/18 Monate) . 68
Wiederannäherungsphase (17/18 - 24 Monate) . 68
Befestigungsphase (2 - 3 Jahre) . 69
Ödipale Phase (3 - 5 Jahre) . 70
Latenzzeit (6 - 10 Jahre) . 71
Pubertät, Adoleszenz und Erwachsenenalter (ab 11 Jahren) . 72
Übersicht emotionale Phasen und wesentliche Bedürfnisse . 73
Die Chancen einer bedürfnisorientierten Sprache . 77
Bedürfnisse im Fokus der pädagogischen Arbeit . 79
Selbstempathie als Form der Selbstfürsorge . 87
Emotionale Kompetenz . 91
Bedürfnisse kennen als Verständnis-Brücke . 94
Verhaltensweisen besser verstehen . 96
Die Chancen der Empathie . 101
Empathie und das Vier-Ohren-Modell . 107
Schuldohren innen und außen . 110
Verständnisohren innen und außen . 111
Beschützende und bestrafende Macht . 117
"Macht mit" und "Macht über" . 125
Gewaltfreie Kommunikation im Team . 135
Begegnung auf Bedürfnis-Ebene . 137
Sich aufrichtig mitteilen und Störungen ansprechen . 141
Konkrete Bitten für eine klare Kommunikation . 143
Eigenverantwortung als Beitrag zu entspannter Arbeitsatmosphäre . 144
Vorwürfe und Kritik . 145
Wertschätzung ausdrücken . 148
Selbstfürsorge . 149
Im Gespräch mit Angehörigen . 150
Resümee . 153
Haben sich dann ab jetzt alle lieb? . 154
Die Herausforderung im Arbeitsalltag . 157
Danksagung . 162
Bedürfnisliste . 164
Übungsblatt Wolfsohren - Giraffenohren . 166
Literaturverzeichnis . 167
Leo schlägt in seiner Wohngruppe immer wieder andere Klientinnen.
Maya möchte sich seit Tagen nicht waschen.
Ahmed redet ohne Pause beim Essen und unterbricht andere, wenn sie etwas erzählen.
Simone wirft regelmäßig beim Mittagessen in der Schule mit Geschirr.
Alltag in einer Wohngruppe und in der Schule. Und wir als Mitarbeiterinnen schreiten selbstverständlich ein. Aber wie schreiten wir ein? Wie gehen wir mit solchen Verhaltensweisen um? Weisen wir Leo, Ahmed und Simone zurecht? Sind wir so autoritär, dass Maya trotzdem duscht, oder lassen wir sie ungeduscht? Schimpfen wir?
Gewaltfreie Kommunikation (GFK) ist hier ein Weg, der sehr hilfreich und bereichernd sein kann. GFK ist aber nicht nur förderlich beim Umgang mit solchen Verhaltensweisen, sondern sie bietet uns in vielen anderen Bereichen unserer Arbeit, zum Beispiel in der Dokumentation, in Arbeitsaufträgen, aber auch im Umgang mit unseren Teamkolleginnen, viele Chancen. Einige dieser Chancen werden Sie in diesem Buch kennenlernen.
Gewaltfreie Kommunikation mit (geistig) behinderten Menschen?
Kann das gehen und wenn ja, wie?
Hat die Gewaltfreie Kommunikation Grenzen?
Wie sieht es aus, wenn Verhaltensweisen physiologische oder psychiatrische Ursachen haben oder liegt auch in diesem Fall immer ein Bedürfnis zugrunde?
Beziehungsweise: Kann und sollte dieses Bedürfnis erfüllt werden?
Hinter den Verhaltensweisen einer Zwangsstörung können zum Beispiel Bedürfnisse wie Sicherheit oder Ordnung stecken. Gibt es aber überhaupt bei einer Zwangsstörung eine Möglichkeit, die Bedürfnisse auf andere Art und Weise zu erfüllen, sodass es Zwänge nicht braucht?
Wie ist es beispielsweise bei einem Menschen mit Pica-Syndrom, der vieles isst, was allgemein als ungenießbar gilt? Sicher können hinter dem Verzehr von Erde, Plastikdeckeln oder Kot möglicherweise Bedürfnisse wie Ordnung und Struktur stecken. Aber werden wir jemals vergleichbare Strategien für diesen Menschen finden, sodass er nicht mehr auf ein Verhalten angewiesen ist, mit dem er sich gegebenenfalls auch in Gefahr bringt? Oder ist es meine Aufgabe als Heilerziehungspflegerin, den Aufenthaltsort so zu gestalten, dass die Klientin keine Möglichkeit mehr hat, solche Dinge zu essen? Nehmen wir ihr aber damit nicht ihr Recht auf Selbstbestimmung und Autonomie? Wäre sie eventuell sogar froh, wenn sie mit dieser Strategie, solche Dinge zu essen, aufhören könnte? Oder ist es meine Aufgabe, einfach zu akzeptieren, dass es ihre Strategie ist, auch wenn diese für sie gefährlich sein kann?
Und dann ergibt sich die Frage: Ist Gewaltfreie Kommunikation für Menschen mit einer kognitiven Behinderung nicht zu komplex?
Ja, wenn Gewaltfreie Kommunikation als Methode angewendet wird, ist dies vermutlich für viele Menschen mit Lernschwierigkeiten zu komplex. Gewaltfreie Kommunikation ist jedoch eine Grundhaltung: Es ist eine Art, wie ich andere Menschen, mich selbst und meine Umwelt sehe. Und in dieser Haltung, in dem ständigen Versuch, mit mir und meinem Gegenüber in Verbindung und im stetigen Kontakt mit meinen Gefühlen und Bedürfnissen zu sein, geht es nicht um Komplexität und ob Menschen mit geistiger Behinderung dies kognitiv verstehen. Sie bekommen davon vielleicht zunächst gar nichts mit.
Es ist daher vielmehr eine Arbeit an uns, an mir, an Ihnen. Eine innere Arbeit, die Ihnen hilft, mit sich selbst in Kontakt zu sein, Empathie und Verständnis zu entwickeln und mit den Menschen um Sie herum, seien es Klientinnen, Kolleginnen oder Angehörige, in Verbindung zu sein.
Entstanden ist das vorliegende Buch aus der Facharbeit meiner Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin und viele der Beispiele kommen aus dem Wohngruppen-Alltag. Es ist jedoch für alle Menschen gedacht, die Menschen mit Behinderung begleiten - seien es Lehrkräfte, Heilerziehungspflegerinnen, Erzieherinnen, Werkstattmitarbeiterinnen, gesetzliche Betreuungen, Assistenzen oder Angehörige.
In diesem Buch werden die Begriffe Intelligenzminderung, geistige und kognitive Behinderung sowie Lernschwierigkeiten synonym verwendet. Der allgemein gehaltene Titel "Gewaltfreie Kommunikation (GFK) bei Menschen mit Behinderung" kommt daher, dass ich während des Schreibens auch an autistische Menschen und Menschen mit psychischen oder seelischen Behinderungen gedacht habe.
Wenn man sich mit Gewaltfreier Kommunikation beschäftigt, tun sich viele Themen auf. Sie können hier jedoch nicht alle angesprochen werden, da das sonst den Rahmen eines Buches sprengen würde. Auch das Thema Inklusion kommt in diesem Buch nicht vor, was ich sehr bedauere. Es könnte jedoch ein eigenes Buch füllen.
Mir ist wichtig, dass dieses Buch überschaubar bleibt. Es soll einen Einblick in dieses Thema geben und einem ersten Innehalten dienen. So bietet es eine Auswahl an Aspekten, die ich momentan für besonders zentral halte.
Ich hoffe, Sie haben viel Freude beim Lesen und Ausprobieren, und wünsche Ihnen viele Begegnungen voller Wohlwollen, Wertschätzung und Verbindung - mit Ihnen selbst, Ihren Klientinnen und Kolleginnen, sowie mit allen anderen Menschen, die Ihre Wege kreuzen.
Karen Nimrich