Editorische Notiz (Auszug)
Das vorliegende Besondere Heft dokumentiert die Freundschaft, die Elazar Benyoëtz und seine Gattin Metavel seit Jahrzehnten mit Paul Rutz, em. Dompfarrer und Domherr in Solothurn, verbindet (vgl. S. 92-100). Darüber hinaus ergab sich im Blick auf die abschließende Lesung an den Solothurner Literaturtagen 2003 eine rege, bisher nur ausschnittweise publizierte Korrespondenz mit Silja Walter. Daraus ging die S. 35-60 wiedergegebene »Moderne Vesper« hervor.
Silja Walter (1919-2011), hierzulande einer breiten Leserschaft vertraut und von vielen als bedeutende Schriftstellerin geschätzt, verbrachte über sechzig Jahre in der Klostergemeinschaft im Fahr/AG. Was es ihr bedeutete, dem Gottesdienst nichts vorzuziehen (RB 43), im geregelten Rhythmus von Beten und Arbeiten das Ohr des Herzens zum Ruf des Ewigen zu neigen und im Stundengebet den Lobpreis erklingen zu lassen - darüber äußert sie sich in ihrem mittlerweile auf elf Bände angewachsenen Gesamtwerk.
Elazar Benyoëtz, wurde auf seinem »Weg als Jude und Israeli ins Deutsche« vom jungen Dichter in hebräischer Sprache zu einem der bedeutendsten Erneuerer des deutschsprachigen Aphorismus seit Lichtenberg, Kafka, Nietzsche, Karl Kraus u.a. Ausgehend von den biblischen Weisheitsschriften und im Dialog mit jüdischen und christlichen Autoren fasst er die Ursprungssituationen des Glaubens für Deutschsprachige in Wort- und Satzblitze, die zünden und das Feuer der Liebe zum Wort beleben.
In dieser einmaligen Konstellation bewegten sich die beiden Geistesverwandten, trotz völlig unterschiedlicher Herkunft und Biographie, aufeinander zu und lernten, sich mit hohem Respekt tiefer kennen und schätzen. Davon zeugt nicht nur das Ergebnis ihres Austausches, die dialogisch komponierte, fein aufeinander abgestimmte Moderne Vesper - als aufmerksam Lauschender nenne ich sie Poetische Vesper, sondern auch die daraufhin ausgerichtete Korrespondenz. Diese geht weit über den sachbezogenen Informationsaustausch und die notwendige Planung hinaus. Elazar Benyoëtz fand dazu passende Worte: ». bin eben fertig mit der Brieflektüre, ich muss gestehen, am Ende war ich ziemlich ergriffen, es ist eine wirkliche Geschichte um eine Lesung herum, und sie klingt ganz unmerklich zart als Liebesgeschichte aus - und nichts war geschehen, man tastete sich ans Gespräch heran: ein weiter Weg, wie man sieht, und kein vergeblicher, wie man erfährt. Und alles ums Wort, von dem wiederum auch alles abhängt: Glauben, Unglauben, Vertrauen, Misstrauen.«
Zum 90. Geburtstag am 31.1.2009 widmete Elazar Benyoëtz »seiner Schwester« (sic!) einen bewegenden Brief und einige Tagebuchblätter von 2003 und 2008.
Als spätes Echo erschien 2012, ein Jahr nach dem Tod von Silja Walter, die Collage Janusgesichter, eine persönliche Reflexion, oder doch vielmehr ein poetischer Nach-Ruf des Kollegen, ein Echo zu einer kleinen Textauswahl aus: Silja Walter, Die Fähre legt sich hin zum Strand.