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Justin Kraft und Alina Ruprecht
31. Juli 2022: Im Wembley-Stadion läuft gerade die 79. Minute des Endspiels der Europameisterschaft zwischen England und Deutschland. Vieles lief bisher für die Gastgeberinnen, die mit 1:0 führen. Dann aber kommt Sydney Lohmann mit all ihrer Power und dribbelt von außen nach innen, während sich Tabea Waßmuth klug nach außen bewegt. Waßmuth bekommt den Ball, schaltet schnell und bedient die mitgelaufene Lina Magull: Tor! Pure Ekstase bei den deutschen Fans im Stadion und in der Heimat. Schweigen im Großteil des ikonischen britischen Nationalstadions. Ein Gänsehautmoment in der Geschichte des deutschen Fußballs der Frauen - auch wenn es zum Titelgewinn nicht reichen sollte.
18 Millionen Menschen verfolgten dieses Spiel in Deutschland live vor dem TV. Es war das meistgesehene Fußballspiel des Jahres. Rund 87.000 Fans waren im Stadion. Ein Jahr der Rekorde, ein Jahr des Anstoßes für den Fußball der Frauen in Deutschland und auf der Welt.
Um zu verstehen, welche Kraft der Fußball hat, genügt oftmals schon ein Blick in Kinderaugen, wenn junge Menschen auf ihre Idole treffen und plötzlich strahlen. Kinder sind die Zukunft, die Basis - in der Gesellschaft insgesamt wie auch im Fußball. Doch in vielen Bereichen sind es überwiegend Männer, die die großen Bühnen besetzen. Repräsentanz in der Gesellschaft erfahren deshalb oft nur Jungen. Im Fußball war und ist das nicht anders. Wie wichtig Diversität im Spitzensport aber ist, zeigte das Jahr 2022 eindrucksvoll. Die Europameisterschaft der Frauen in England präsentierte der Welt unter anderem strahlende Kinderaugen - nicht nur jene von Jungen, sondern auch von Mädchen. Mädchen, die den Fußball lieben und die sich mit Spielerinnen auf der größten aller Bühnen identifizieren. Die wahrnehmen, dass sie die Chance haben, es selbst eines Tages weit zu bringen. Männer spielen seit vielen Jahrzehnten erfolgreich Fußball. Frauen auch. Jetzt aber bekommen sie eine Sichtbarkeit, die es in dieser Form noch nie gab.
Der Fußball der Frauen hat sich in den vergangenen Jahren auf der ganzen Welt rasant entwickelt. Vorreiternationen wie die USA, oder in jüngerer Zeit England und auch Spanien, haben in verschiedenen Bereichen gezeigt, dass die historischen Missstände durch gesellschaftliche und strukturelle Unterdrückung ebenso riesig sind wie das Potenzial, das sich nun für die kommenden Jahrzehnte aufgetan hat. In diesem Buch werden viele Autorinnen und Autoren sowie Expertinnen und Experten ein differenziertes Bild zum Status quo des Fußballs der Frauen zeichnen und teilweise auch die Zukunft des Fußballs skizzieren. Immer mit dem Blick über den Tellerrand und weit über die deutschen Grenzen hinaus. Ein wesentlicher Schwerpunkt wird dennoch auf Deutschland und der Bundesliga liegen. Auch Deutschland zählte einst zu den Vorreiternationen. Zahlreiche Titel auf Verbandsund Klubebene, etliche Top-Spielerinnen und prägende Persönlichkeiten - Deutschland war das Maß aller Dinge im europäischen Fußball der Frauen. War.
Denn das gilt heute längst nicht mehr. Nach der Weltmeisterschaft 2011 im eigenen Land stagnierte die Entwicklung, bis andere Nationen den DFB überholt hatten. Volle Stadien, große Titel, die ersten großen Fernsehverträge, eine faire Bezahlung der Spielerinnen, Professionalisierung der Top-Ligen - all das erreichten andere Nationen früher als Deutschland. Manches davon ist bis heute ein großes Thema. Wenn es um Professionalisierung geht, hat die Bundesliga noch viel Arbeit vor sich.
Die Spielerinnen des VfL Wolfsburg und des FC Bayern München bekommen ausreichend Gehalt, um sich auf den Sport konzentrieren zu können. Eintracht Frankfurt holt dahingehend auf. Bei allen anderen Klubs gibt es zahlreiche Spielerinnen, die einerseits den Anforderungen einer Profisportlerin gerecht werden und andererseits in einem Nebenjob arbeiten müssen. Mehrere Erhebungen haben gezeigt, dass eine Spielerin in der Bundesliga durchschnittlich rund 40.000 Euro pro Jahr verdient. Beachtet werden muss dabei, dass vor allem die Wolfsburgerinnen und die Münchnerinnen diesen Durchschnitt weit nach oben heben. Die meisten Spielerinnen liegen also deutlich unterhalb des Mittelwerts. Das führt zu ungleichen Bedingungen und Wettbewerbsverzerrung. Spielerinnen, die nicht bei den drei großen Klubs spielen, haben nicht die Rahmenbedingungen, um sich optimal entwickeln zu können. Nicht selten wird mit Wirtschaftlichkeit argumentiert. Ignoriert wird in dieser Argumentation allerdings, dass der Fußball der Männer und seine Protagonisten bei Klubs und Verbänden eine große Verantwortung dafür tragen, dass sich der Fußball der Frauen nie professionalisieren oder entwickeln konnte. Im Gegenteil: Er hat dazu beigetragen, dass positive Entwicklungen rückgängig gemacht wurden. Volle Stadien gab es auch in der Vergangenheit. Bei der WM 1971 besuchten mehr als 110.000 Zuschauer*innen das Finale zwischen Dänemark und Gastgeber Mexiko im Aztekenstadion von Mexiko-City.
Ein kleiner historischer Exkurs, der beweist, dass der Fußball der Frauen in der Moderne nicht einfach aus dem Boden gestampft wird. Die gesellschaftlichen Bedingungen sind in vielen Ländern nur andere als damals und Frauen haben sich in großen Teilen der Gesellschaft emanzipiert. Und tatsächlich gibt es mittlerweile einen wachsenden Druck auf die großen Verbände, der aus dem eigenen Handeln in der Vergangenheit entstandenen Verantwortung gerecht zu werden. Auch in Deutschland hat sich so in den letzten Jahren etwas bewegt. Zwar langsamer als in anderen Ländern, aber immerhin in die richtige Richtung.
Klubs, die in der Bundesliga der Männer spielen, haben nach unterschiedlichen Wegen gesucht, sich bei den Frauen ebenfalls zu etablieren. Borussia Dortmund und der FC Schalke 04 treten beispielsweise den langen Weg aus der Kreisliga bis in die Bundesliga an. Der BVB will dabei auf ein natürliches Wachstum ohne Vorschüsse setzen, bei Schalke wird sich das ähnlich verhalten. Einerseits gab es Lob für dieses Vorgehen, das auf die eigene Strahlkraft setzt, andererseits wird kritisiert, dass Dortmund damit nicht aktiv genug zur jetzt dringend benötigten Weiterentwicklung beiträgt. Auch RB Leipzig startete 2016 in der Landesliga und spielt mittlerweile in der 2. Bundesliga. Aufsehen erregte zudem der Einstieg einer Gruppe von Investorinnen und Investoren bei Viktoria Berlin, die den Klub zeitnah in die Bundesliga bringen möchte und mit progressiven sowie zukunftsorientierten Ideen lockt.
Anders hat es Eintracht Frankfurt gemacht. Die SGE hat 2020 den sehr erfolgreichen Traditionsklub 1. FFC Frankfurt übernommen - offiziell war von einer Fusion der beiden Frauenabteilungen die Rede. Auch der 1. FSV Mainz 05 ging diesen Weg. Die Mainzer kooperieren zunächst mit dem TSV SCHOTT Mainz, den sie anschließend übernehmen werden.
Beim Blick auf das Schicksal von Turbine Potsdam scheinen Übernahmen wohl alternativlos zu sein. Die Potsdamerinnen waren jahrelang das Pendant zu Frankfurt im deutschen Spitzenfußball. Beide lieferten sich packende Duelle, gewannen jeweils die Champions League und bildeten zahlreiche Weltklassespielerinnen aus. Sie waren das Herz des deutschen Fußballs der Frauen. Für Potsdam scheint diese Ära gerade zu enden. Einer von zahlreichen Gründen ist, dass sich Klubs ohne eine finanzstarke Männerabteilung nicht mehr halten können. Ein nahezu irreparabler Zustand, der zugleich ziemlich paradox ist.
Denn einerseits ist das große Thema dieses Buchs, wie Frauen den Fußball revolutionieren. Auf der anderen Seite wird häufig sichtbar, wie abhängig Männer diesen Sport von sich gemacht haben. An Turbine Potsdam oder auch der SGS Essen wird das besonders deutlich, weil diese Klubs im Oberhaus auf Dauer nicht überlebensfähig sind. Die strukturell und finanziell besten Bedingungen haben Klubs, die im Fußball der Männer erfolgreich sind. Es ist zweifelsohne eine Kehrseite der Medaille, dass Traditionsklubs auseinanderfallen - weil sie jahrelang nicht von jenen unterstützt wurden, die im Fußball das Sagen hatten.
Damit verbunden ist ein weiteres Thema, das durchaus kritisch gesehen werden kann, vielleicht sogar muss: Wer revolutioniert diesen Sport tatsächlich? Sind es wirklich Frauen, die ihren Sport in die aus ihrer Perspektive richtigen Bahnen lenken, oder sind es doch wieder Männer, die das Wachstum kontrollieren und nach eigenen Interessen steuern? Die FIFA, die UEFA und auch der DFB als Beispiel für viele Verbände sind in den letzten Jahrzehnten nicht gerade als besonders progressiv aufgefallen, wenn es um Diversität ging. Unter diesen Dächern befinden sich aber zahlreiche Klubs, Organisationen und Persönlichkeiten, die im Fußball der Frauen etwas bewegen wollen.
Zweifelsohne wurden...
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