Meine Jugendjahre bis 1959
Die Ferien sind vorbei, die Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium in Zabrze ist bestanden, jetzt bin ich ein Gymnasiast, Mutter denkt, ihr Ziel erreicht zu haben. Ich fahre täglich morgens mit der Straßenbahn, vollgestopft mit Schülern, Studenten, alles neue Gesichter, an die ich mich gewöhnen muss. Die Klassen sind gemischt, weiblich und männlich, meine drei Kollegen aus Mikulczyce Josef, Jerzy und Gotthard sind auch im Unterrichtsraum. Der Unterricht ist sehr trocken, Polnisch, polnische Heimatkunde, Geschichte, Erdkunde, Lateinisch, Russisch, Mathematik., bald empfinde ich, nicht das Richtige gewählt zu haben. Die Hoffnung stirbt zuletzt, alle Schüler der ersten Gymnasialklassen werden in die Aula zu einem Vortrag gebeten. Mehrere Herren vom Schulamt und Ministerium für Bauwesen sind anwesend, versuchen uns Gymnasiasten für das neu gegründete Technikum für Bauwesen mit Fachabiturabschluss zu gewinnen, wir brauchen dringend technische Kräfte für den Aufbau zerstörter Städte und Industrieanlagen, der Krieg hat Spuren hinterlassen, so der Aufruf der Herren. Sofort, ohne Absprache mit meinen Eltern, wechsle ich zum Technikum, meine drei Kollegen und viele andere machen das Gleiche, ich verspüre eine innere Zufriedenheit.
Meine Mutter fällt aus allen Wolken, als sie zufällig von der Mutter meines Kollegen erfährt, dass ich zum Technikum gewechselt bin. Sie tobt über mehrere Tage und zeichnet mir Horrorszenarien von meiner beruflichen Zukunft, mit Brille auf einer Baustelle herumlaufen, zynische Bemerkungen fallen, Maurer mit Brille und lacht und lacht. Mein Vater verteidigt mich, was bei Mutter nicht gut ankommt, dann Vater zu mir: "Das ist deine Entscheidung, deine Zukunft, meine Unterstützung hast du." Das gefällt auch nicht der Mutter, die Stimmung im Hause Mosler ist gereizt.
Im ersten Jahr gibt es noch humanistische Fächer aber nicht so ausgeprägt wie im Gymnasium, Gedichte auswendig lernen und rezitieren vor der Klasse, nein, nicht für mich. Naturwissenschaftliche Fächer wie Mathematik, Physik, Chemie sind dabei, alles mit praktischen Beispielen, nicht so trocken. In den weiteren Monaten folgt Statik, Stahlbeton, Stahlkonstruktionen, Projektierung, Kostenangebote, Baunormen, technische Zeichnungen, Vermessungen, alles konkret fachlich. Wir sind 16 bis 18 Personen in einem Raum, Mädels, Jungs, nette Professoren und Dozenten aus Konstruktionsbüros, Institutionen, Hochschulen, das Lernen macht Spaß, der Unterricht erfolgt von 14:00 bis 20:00 Uhr, da die Lehrkörper vormittags berufstätig sind. In den Ferien verbringen wir mehrere Wochen auf Baustellen und praktizieren als Maurer, Zimmerer, Stahlbetonbauer, Vermesser, Fliesenleger oder im Konstruktionsbüro, wir nehmen Einblick in technische Zeichnungen und bei statischen Berechnungen stehen wir dem Statiker zu Seite. Wir besuchen bautechnische Labors, wo Betonfestigkeiten unter schweren Pressen geprüft werden.
1950, im Technikum, links Günter
Meine anstehenden Aufgaben wie technische Zeichnungen, Berechnungen, Leistungsbeschreibungen u. a. mache ich bis zum Morgengrauen, es geht allen so, das letzte Jahr ist besonders stressig.
In dieser Zeit mache ich Bekanntschaft mit einem sympathischen jungen Mädchen. Renate ist drei Jahre jünger, wohnt in Zabrze, es ist reine Freundschaft. Ich folge dem wiederholten Rat meines Vaters: "Junge, binde dich nicht zu früh, erst festen Beruf und feste Anstellung, beim Verliebtsein passe auf, dein junges Leben könnte sich schnell verändern. Trete keiner Partei bei, ich habe das Chaos in den 20er Jahren erlebt, nicht zuletzt die Verhaftungen von Parteimitgliedern aller Couleur durch Nazis."
Es scheint, dass meine Mutter sich damit abfindet, mich auf Baustellen mit Brille herumlaufen zu sehen oder mit Brille die Maurerkelle zu bewegen, betont gelegentlich: "Junge, ich habe mir gewünscht, dich in einem anderen Beruf zu sehen."
"Du meinst als Gottesmann", sage ich und schon folgt ein Seitenhieb: "Lästere nicht." Meine Antwort: "Oma sagt: Der Mensch denkt und Gott lenkt, vielleicht trete ich einmal ins Kloster ein, Mönche haben Berufe und Bauberufe werden gefragt sein, auch im Kloster." Und schon der nächste Hieb: "Für was hältst du mich, du ins Kloster, da müssten alle Mädels von der Straße verschwinden. Du hast schon eine in Zabrze, kommst immer später nach Hause, ich schweige dazu, eine ehrliche Antwort würde nur zur überhitzten Diskussion führen." Am Wochenende pflege ich weiter Freundschaft mit gleichaltrigen Mädchen und Jungs in Mikulczyce, meine Mutter beobachtet mich, findet schnell kritische und abfällige Bemerkungen, besonders über Mädchen, mit denen ich zum wiederholten Mal gesehen werde.
Mit meinem Freundeskreis kann ich nicht mithalten, sie gehen in die Bergbau-Berufsschule, arbeiten einige Tage in der Woche unter Tage, bekommen schönes Geld, von dem ich nur träumen kann. Ich werde gefoppt, geneckt: "Lasse dein Technikum fallen, komm zu uns, da bekommst du Geld, kannst mit uns ins Kino, zum Tanzen gehen, ein Fahrrad, Radio oder was anderes Schönes kaufen, aber wenn du den Krawattenträger anstrebst, da musst du brav die Hand ausstrecken bei Mama, Tante oder Oma." Alle lachen. Ich habe kein Taschengeld und kann keine Sprünge machen, meine Eltern zahlen für die Straßenbahn, Bücher, Schreib- und Zeichnenutensilien, meine Bekleidung, aber ins Kino oder ausgehen, was trinken, mal was naschen möchte ich auch. Bei guter Laune gibt Mutter was, Vater etwas mehr. Ich nutze die Möglichkeit, am Wochenende eine oder zwei Schichten je acht Stunden unter Tage im Bergwerk zu arbeiten. Mit einem Bergmann fahren wir, vier bis sechs junge Männer, in den Schacht hinein, werden weite Strecken geführt, es sind Abschnitte, wo wir auf allen vieren krabbeln oder über Transportbänder steigen müssen. Unsere Aufgabe ist, Transportwege von herabfallenden Kohlebrocken freizuhalten, die Kohle aufs Transportband hieven, die Schaufel ständig bewegen, das Transportband darf keiner Reibung ausgesetzt werden, oft in gebückter Lage. In anderen Abschnitten müssen Loren mit der ungewöhnlich großen Schaufel schnell mit Kohlen beladen werden, es ist eine sehr schwere Arbeit. Hier gehen mir die Augen auf, wie schwer mein Vater arbeiten muss, um angemessen leben zu können. Für eine Schicht bekomme ich 60 bis 80, manchmal 100 Zloty, nach Feierabend bin ich völlig geschafft, im Laufe der Woche spüre ich immer noch Schmerzen in meinen zarten Knochen.
Ich interessiere mich für Langstreckenlauf, lasse mich inspirieren von den Erfolgen Emil Zatopeks, die tschechische Lokomotive genannt. 1948 war er schon Olympiasieger über 10.000 Meter (29:59,6 min) und Zweiter über 5000 Meter (14:17,8 min) geworden, außerdem wurde er 1950 und später 1954 dreimal Europameister, ich bewundere diesen Athleten. Meine begrenzte freie Zeit verbringe ich mit dem Laufen in freier Natur am Rande unserer Ortschaft, manchmal auch am Stadion, wo ich meine Laufzeit messe. Beim Laufen bin ich ungehindert, denke nach über meinen Lehrstoff und Persönliches, es macht mir einfach Spaß.
1951, beim Laufen
Der 25. Juni 1952 ist ein glücklicher Tag, ich habe das Technikum-Abitur geschafft, bin Bautechniker und habe eine Arbeitsvermittlung in der Tasche, ein großer Schritt ins Leben.
1952, Abiturklasse
1952
Schon im Juli melde ich mich beim Arbeitgeber, einem Baubetrieb beim Bergwerk "Bobrek", ich werde freundlich aufgenommen, alles ältere nette Kollegen, die im Krieg waren, in Gefangenschaft oder im Nazi-Knast gesessen haben, es gibt viel zu erzählen. Von meiner Mutter werde ich angehalten, monatlich für Kost und Logis zu zahlen, dem folge ich zu Recht. Es ist ein Glücksfall, dass ich im Bauwesen für den Bergbau tätig bin, diese Erfahrungen kommen mir in späteren Jahren in weiten Ländern zugute.
Der Baubetrieb hat mehrere Baustellen am Bergbaugelände, auch außerhalb, in Begleitung erfahrener Bauleiter bietet sich die Möglichkeit, Arbeitsplätze zu besichtigen, meine Begleitung steht mir zur Seite mit Antworten zum fachlichen und technologischen Bau- und Montageablauf. Mir fällt auf, dass in ausgehobenen Baugruben für ein Bauobjekt eine Menge Sand-Kies eingebaut und verdichtet wird, als wolle man die Baugrube erneut verfüllen. Mein Begleiter erklärt: "Zu jedem Bergbaugelände gehört auch eine Stadt oder Ortschaft, wenn sich Gruben im Umkreis befinden, muss jedes Bauvorhaben von der Bergbaubehörde genehmigt werden, ohne Genehmigung macht man sich strafbar. Der Planer richtet sich nach Vorgaben der Bergbaubehörde, aus täglichen Aufzeichnungen und Beobachtungen wissen sie, ob Hohlräume unterm Bauwerk sind, ob Erschütterungen auf dem Gelände auftreten können. Demzufolge praktiziert man es so, auf einem Bergbaugelände die Baugrube mit einem Kies-Sand-Polster 60 bis 80 cm hoch zu versehen, darauf wird eine 30 bis 40 cm starke Stahlbetonplatte gegossen. Auf diesem Kies-Sand-Polster und einer Stahlbetonplatte steht das Bauwerk, es wird so geschützt vor Schäden, die durch Geländebewegungen entstehen."
Ich werde zur Personalabteilung gerufen, dort wird mir ein Einberufungsschein zum dreimonatigen "Dienst für Polen" ausgehändigt, erfreut darüber bin ich nicht, meine lieben Mitarbeiter trösten mich, in drei Monaten bin ich ja wieder da.
An der Ostsee in einer Ortschaft bei Kolberg melde ich mich beim Stab "Dienst für Polen", wo mehrere Jugendliche in meinem Alter warten. Nach Registrierung und kurzer Begrüßungsansprache nehmen wir unsere Uniform in Empfang und marschieren zu...