E s s a y
Walter Krämer
German Angst
S o n d e r s c h w e r p u n k t : L u f t s i c h e r h e i t k o n t r o v e r s
Dieter Wiefelspütz
Bundeswehreinsatz im Innern - Neues aus Karlsruhe - Zum Plenarbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Juli 2012
Robert Chr. van Ooyen
,Luftsicherheit II' als erneuter verfassungspolitischer Tabubruch
Das Bundesverfassungsgericht gibt als Ersatzverfassungsgeber auch den - (noch) beschränkten - Militäreinsatz im Innern frei
S o n d e r s c h w e r p u n k t : R e c h t s t e r r o r i s m u s
Manfred Schneider
Popkultur und Vatermord. Jugendliche Serienmörder in Institutionen
Florian Hartleb
Die Analyse des Falls ,Breivik': Einsamer Wolf-Terrorismus als wichtiges, aber vernachlässigtes Phänomen sui generis innerhalb des Terrorismus
Armin Pfahl-Traughber
Gab es doch eine ,Braune Armee Fraktion'? - Die Besonderheiten des ,Nationalsozialistischen Untergrundes'
Sven Srol
Die ,Verzahnung' von Polizei und Nachrichtendiensten bei der Abwehr
von Gefahren durch Extremismus und Terrorismus: Gemeinsame Zentren,
gemeinsame Verbunddateien und andere Problemfelder
E x t r e m i s m u s / R a d i k a l i s m u s
Samuel Salzborn
Demokratie, Extremismus und Autokratie - Eine konzeptionelle Skizze
Lars Normann
Das Extremismuskonzept - Zum Verhältnis von Idee und Mittel
Armin Pfahl-Traughber
Antisemitismus im Islamismus, Links- und Rechtsextremismus - Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Ideologie, Agitation und Gewalthandlungen
JiriÅL Foral / Miroslav Mares
Integraler Katholizismus aus der Sicht der Extremismusforschung
Christoph Kopke
,Wer von Euch den Knüppel hob gegen deutsche Nationalisten:
An den werden wir uns erinnern, kommt auf unsere schwarze Listen' - Polizei als Gegenstand rechtsextremer Musiktexte
Karsten Dustin Hoffmann
Mythen und Legenden. Einige Richtigstellungen über die ,Rote Flora'
Julia Gerlach
Verbieten oder Nicht-Verbieten? Vom Umgang der streitbaren Demokratie mit extremistischen Vereinen nach 1990
Harald Georgii
Extremismusklausel im Zuwendungsbereich - Verfassungsmäßigkeit des Verlangens eines Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung von Trägern von Projekten des Programms
,Toleranz fördern - Kompetenz stärken'
Ö f f e n t l i c h e S i c h e r h e i t i n D e u t s c h l a n d
Thomas Vormbaum
Die Entwicklung der Strafgesetzgebung im Lichte der juristischen Zeitgeschichte
Michael Wagner-Kern
Legitimationsmängel ausgreifender Vorfeldorientierung im Polizei- und Strafrecht
Markus Thiel
,Entgrenzung' der Gefahrenabwehr - Inflation der Sicherheit und Rückkehr des Polizeistaates? - Zur Weiterentwicklung der Sicherheitsarchitektur in Deutschland
Fredrik Roggan
Polizeiliche Bildaufnahmen zur Einsatzlenkung und -leitung bei Versammlungen - Legislativer Handlungsdruck bei Videografierungen im Gewährleistungsbereich von Art. 8 Abs. 1 GG
Martin H. W. Möllers
,Ein vom Elend der Welt unbeschwertes Gemüt des Bürgers ist kein Belang, zu dessen Schutz der Staat Grundrechtspositionen einschränken darf' - Zur Stärkung des Demonstrationsrechts in Flughäfen und Bahnhöfen durch das Bundesverfassungsgericht
Christian Pundt
Privatisierung des Massregelvollzuges - Urteilsbesprechung zum Bundesverfassungsgerichtsurteil BVerfG, Urt. v. 18. 1. 2012 - 2 BvR 133/10
Martin H. W. Möllers / Robert Chr. van Ooyen
Auf der Suche nach den Polizeiwissenschaften
Hans-Thomas Spohrer
,Burnout' in der Bundespolizei - Kritik und Alternativkonzepte
Martin H. W. Möllers
(Un-)Kooperative Sicherheit - Empfehlungen der ,Werthebach-Kommission' zu den Polizeien des Bundes und ihre Verpuffungen
Heinrich Amadeus Wolff / Daniel Mundil
Die Evaluation von Sicherheitsgesetzen
Jonas Grätz
Die Auswirkungen der ,Energiewende' auf die innere Sicherheit
Dirk Freudenberg
Grundsätzliche Anmerkungen zu Problemen der Ressort- und Ebenen übergreifenden Abstimmung im Sinne des Ansatzes Vernetzter Sicherheit
Jürgen Franke
Gesellschaftliche Integration und demokratische Legitimation der ,neuen' Bundeswehr
Thilo Weichert
Facebook, der Datenschutz und die öffentliche Sicherheit
E u r o p ä i s c h e S i c h e r h e i t s a r c h i t e k t u r
Bettina Schöndorf-Haubold
Auf dem Weg zu einem unionalen Einsatzrecht: Sicherheitsgewährleistung in Europa
Rosalie Möllers
Die Befugniserweiterungen der Agentur Europol und deren Kontrollmöglichkeiten
Robert Fischer
Europäisierung von Migration und Sicherheit - Die Schengen Aquis im Spannungsfeld von Rechtsangleichung und Fragmentierung
Daniel Fröhlich
Asylgrundrecht und internationaler Schutz: Zur gewandelten Bedeutung des Art. 16a GG im europäischen Asylsystem
Gerichtshof der Europäischen Union
Pressemitteilung zur Richtlinie über die Rückführung illegaler Einwanderer
Patrizia Robbe / Juliane Hollstein
Kennzeichnungspflicht von Polizeibeamtinnen und -beamten in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union
Thomas Beck
Die ,multivektorale' Außen- und Sicherheitspolitik der Ukraine: Russlandorientierung oder EU Anbindung?
I n t e r n a t i o n a l e S i c h e r h e i t
Dokumentation Vereinte Nationen Generalversammlung
Bericht des Sonderberichterstatters über außergerichtliche, summarische oder willkürliche Hinrichtungen, Philip Alston
Khadija Katja Wöhler-Khalfallah
Tunesien: Demokratischer Wandel unter der Hypothek vergangener Diktaturen und der Förderung des Salafismus und der Muslimbruderschaft aus Gründen des Machterhalts externer regionaler Akteure
Thomas Beck
Die NATO nach 63 Jahren: Bündniszweck und Strategie im Wandel - Der richtige Zeitpunkt für den Vorruhestand?
Emanuel Lohninger
Die Privatisierung des US-Department of Defense am Beispiel Afghanistans
Dirk Freudenberg
Counterinsurgency als Phase zur Überwindung schwacher Staatlichkeit und zur Etablierung einer stabilen Nachkriegsordnung
Stephan Blancke
Private Intelligence
Robert Chr. van Ooyen
Die Kampala-Revisionskonferenz: Internationaler Strafgerichtshof, UN-Sicherheitsrat und das Problem der ,Aggression'
, , . . . d a s L e t z t e ' '
Publius d'Allemagne / Glaukon Rien zu Pupendorff
13. Lübecker Expertengespräch zu Staat und Sicherheit in Theorie und Praxis
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Walter Krämer
German Angst
Das Problem
Es gibt nicht viele Wörter aus der deutschen Sprache, die als Fremdwörter in anderen Sprachen und Kulturen heimisch geworden sind: Kindergarten, Blitzkrieg, Weltschmerz beispielsweise. Und seit zwei-drei Jahrzehnten ein weiteres, das besser als viele Soziologentraktate zusammenfasst, was die deutsche Sicht der Dinge und der Welt von der der übrigen Bewohner dieser schönen Erde unterscheidet: Angst. Anders als unsere Nachbarn lassen wir Deutsche uns systematisch von nicht existierenden Schein-Gefahren in Panik setzen. "Wir sind risikobewußt wie sonst keine Land," so Ex-CSU-Chef Erwin Huber, aber dieses Risikobewusstsein hängt sich an imaginären Scheinproblemen fest.
Wo war auf dem Höhepunkt der BSE-Krise der Rückgang des Rindfleischkonsums am höchsten? In dem Land, das am wenigsten befallen war, in Deutschland. Bisher ist in Deutschland noch kein einziger Mensch an den Spätfolgen der Creutzfeld-Jacob-Krankheitgestorben, verglichen mit fast 100 in England, aber die Furcht vor BSE war bei uns weit größer, von Hysterie zu sprechen ist hier eher untertrieben. Wo steht bei einigen Billionstel Gramm Dioxin in Hühnereiern einen Monat lang das öffentliche Leben still, wo riefen nach dem letzten Atomunfall in Japan die meisten Verzweifelten bei den Radiostationen an, ob sie noch Fischstäbchen essen dürfen? Oder weigerten sich Taxifahrer am Flughafen, Gäste aus Japan in die Stadt zu fahren, aus Furcht, sie könnten nuklear vergiftet werden? Oder wo nahm die ohnehin schon schwache Unterstützung für die friedliche Nutzung der Atomkraft am stärksten ab? Wiederum bei uns. In Frankreich, mit über 50 aktiven Reaktoren, wird weiter in diese vergleichsweise umweltfreundliche und dazu preiswerte Energieerzeugungstechnik investiert, und in Deutschland schaltet man perfekt funktionierende Atomkraftwerke ab.
Dito die völlig überzogene Angst vor der Vogelgrippe und anderen Virusinfektionen. "Zwei Reiher aus Porzellan haben in einer Frankfurter Kleingartenanlage einen Vogelgrippe-Fehlalarm ausgelöst", war dazu in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung nachzulesen. "Wie die Polizei am Freitag mitteilte, hatte sich ein besorgter Bürger auf der Wache gemeldet und von einem Vogel berichtet, der in einer Parzelle regungslos und völlig steif stehe. Aus Angst, der Vogel könne möglicherweise mit der Vogelgrippe infiziert sein, ging der Mann zur Polizei, die daraufhin das Ordnungsamt um Hilfe bat."
Dergleichen Panikreaktionen sind in Italien oder Frankreich nur sehr schwer vorzustellen. Oder kann man sich eine Meldung wie die folgende in Le Monde oder im Figaro vorstellen? "Die steigende Zahl der Schweinegrippefälle beschäftigt auch die Kirchen. Am Donnerstag veröffentlichte die Deutsche Bischofskonferenz in Bonn erstmalig allgemeine Handlungsempfehlungen für den Infektionsschutz in Gottesdiensten. Dennoch herrscht Verunsicherung. Abendmahl, Weihwasser, Mundkommunion, Friedensgruß - wie gefährlich sind diese Riten in Zeiten der Schweinegrippe? Jens Peter Iven, Pressesprecher der Evangelischen Kirche im Rheinland, verzeichnet eine steigende Zahl von Anfragen: 'Meistens ging es um die Vorkehrungen beim gemeinsamen Abendmahl.' In den meisten Gemeinden einigte man sich schon recht bald auf das Abendmahl 'Intinctio': Dabei wird nicht mehr wie üblich aus einem gemeinsamen Kelch getrunken, sondern die Abendmahlsoblate wird nur in den Kelch eingetaucht. Die 'Intinctio' ist unbedenklicher als das traditionelle Abendmahl, bestätigt eine Sprecherin des nordrhein-westfälischen Gesundheitsministeriums. 'Und theologisch gesehen ist auch das Abendmahl Intinctio ein vollwertiges Abendmahl', versichert Pfarrer Ernst Schmidt aus der Gemeinde Mettmann."
Ich jedenfalls kann mir eine solche Meldung in einer französischen Zeitung nicht vorstellen. Allenfalls am 1. April.
Der Rest der Welt fragt sich: Was ist nur mit den Deutschen los? Und betrachtet diesen Haufen aufgeregter Hühner mit - nicht gerade Verachtung, aber was ist das Gegenteil von Respekt? Meine Schwiegertochter ist Japanerin. Ich habe auf dem Höhepunkt der letzten Atomkrise mit ihrem Vater in Tokio telefoniert. Ihr Bruder war übrigens zu dieser Zeit beruflich in Sendai, dem Mittelpunkt des Katastrophengebietes - keinerlei Anzeichen von Panik, dafür hat man schließlich ja geübt. Solche Desaster kommen eben immer wieder vor; das große Erdbeben 1923 kostete allein in Tokio über 100.000 Menschenleben. Dann wird aufgeräumt, und ein neues Spiel beginnt.
Und in Deutschland deckten sich die Menschen massenhaft mit Dosenfutter ein.
Die Ursache I
Ein ganz offensichtlicher erster Grund für die auffällige Panikanfälligkeit der Deutschen sind die deutschen Medien. Dazu habe ich einmal für die Jahre 2000 bis 2010 den redaktionellen Gehalt ausgewählter deutscher, italienischer, französischer, englischer und spanischer Zeitungen nach Panikmeldungen durchsucht. Für die deutschen Tageszeitungen stand mir dafür die Genios-Datenbank mit allen Volltexten dieser Jahre, für die meisten ausländischen Zeitungen nur das Archiv der Online-Netzausgaben zur Verfügung. Wie sich aber für die deutschen Zeitungen durch einen Vergleich von Genios und Online leicht überprüfen lässt, macht das für die reinen Mengen an Angstberichten keinen Unterschied.
Die folgende Tabelle zeigt, wie oft in den elf Jahren zwischen Januar 2000 und Dezember 2010 im redaktionellen Teil ausgewählter deutscher und internationaler Tageszeitungen gewisse Angstvokabeln wie BSE oder dioxinbelastet vorkommen. Dabei habe ich bei "dioxinbelastet" auch nach "Dioxin", "Dioxinbelastung", "Dioxinvergiftung" "dioxinverseucht" usw. gesucht. Dito bei Asbest: "Asbestbelastung", "asbestbelastet" usw.". Und analog auf Französisch, Spanisch, Englisch oder Italienisch: asbestos-related, asbestos hazard, risk/danger/contamination of asbestos. Nur die Suchwörter BSE und Schweinegrippe gingen ohne weitere Zusätze in die Recherche ein. Hier ist das Ergebnis:
Häufigkeit ausgewählter Angstvokabeln in deutschen und internationalen Tageszeitungen 2000-2010
Das Ergebnis ist schon verblüffend: Die Süddeutsche Zeitung und die Frankfurter Rundschau publizieren rund viermal mehr Angstmeldungen als El Pais in Spanien, Le Figaro in Frankreich oder La Repubblica in Italien.
Jetzt könnte man natürlich einwenden: das ist ja unfair, dann wird ja eine Meldung wie "Halleluja! Ein Jahr lang kein Dioxin in deutschen Lebensmitteln!" als Panikmeldung mitgezählt. Ich habe deshalb für die beiden Spitzenreiter, die Süddeutsche Zeitung und die Frankfurter Rundschau, jedes Jahr zufällig eine Angstmeldung zu den Themen Asbest und Dioxin ausgewählt und von Anfang bis Ende durchgelesen, ob es wirklich um Panikmache geht. Die erste zufällig ausgewählte Meldung zu Dioxin aus der Frankfurter Rundschau ist vom 25. Mai 2000 und hat die Titelzeile "Wieder verseuchtes Futter in Belgien entdeckt". Man sorgt sich also nicht nur um die deutschen Leser. "Die verseuchten Produkte seien mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit nicht ins Ausland exportiert worden, sagte eine Sprecherin der EU-Kommission in Brüssel."
Die nächste Zufallsmeldung ist vom 10. Juli 2001, Titel: "Der Dioxin Unfall von Seveso vor 25 Jahren war der Anfang einer Reihe von Skandalen." Dann werden nochmals alle Vorfälle um Dioxin der letzten 25 Jahre aufgerollt. Dann eine Meldung vom 4. Juni 2002, tatsächlich einmal eine - wenn auch die einzige in meiner ganzen Zufallssammlung - ohne Angstgehalt: "Dioxinbelastung in zehn Jahren mehr als halbiert." Allerdings war diese Meldung aber auch, als wäre diese Chronistenpflicht der Redaktion eher unangenehm, die vom Umfang kleinste von allen.
Auf die gewohnte Weise weiter geht es dann am 12. August 2003: "Drei Jahrzehnte nach dem Krieg ist in Regionen Vietnams die Dioxinbelastung fast genauso hoch wie in den Tagen des Einsatzes des Entlaubungsmittels 'Agent Orange' durch die US Armee." Am 5. November 2004 geht es dann um Dioxin in Kartoffeln und um die Tonerde, die man in Wasserbädern als billiges Trennmittel benutzt, um Kartoffelknollen, bevor sie zu Pommes Frites verarbeitet werden, nach Größe zu sortieren. "Das wäre an sich nicht schlimm, wüsste man nicht längst, dass Tonerde mit Dioxin verseucht und folglich der Produktionsabfall - vulgo: die Kartoffelschale - giftig sein kann." Am 29. Januar 2005 kommt dann ein Artikel mit dem Titel "Henkersmahlzeit: Das Problem bei den Eiern freilaufender Hühner sind die Dioxinrückstände im Boden, die die Hühner beim Scharren und Picken aufnehmen."
Aber siehe da, einige Zeilen tiefer: "Schauergeschichten über Essen und Trinken ziehen immer, denn davon ist wirklich jeder betroffen. Und damit lässt sich prima Angst...