II. Sprache und Sozialismus
Inhaltsverzeichnis Sprache und ihr Gebrauch
Das nun aber ist gerade das ungeheure Gaukelspiel der Sprache, daß der Grund und das Zeichen ihrer kläglichen Armut für maßlosen Reichtum gehalten wird, und von den Menschenmassen und Massenmenschen mit Recht dafür gehalten wird: weil die Sprache ein Gebrauchsgegenstand ist, der durch die Ausbreitung des Gebrauchs an Wert gewinnt. Das Wunder ist leicht aufzuklären. Alle anderen Gebrauchsgegenstände werden durch den Gebrauch entweder vernichtet wie die Nahrungsmittel, oder verschlechtert wie Werkzeuge und Maschinen. Wäre die Sprache ein Werkzeug, so würde auch die Sprache verschlechtert und verbraucht werden. Nur Worte werden aber verbraucht, verschlissen, entwertet. Werden aber dadurch erst recht wertvoll für die Masse. Die Sprache ist aber kein Gegenstand des Gebrauchs, auch kein Werkzeug, sie ist überhaupt kein Gegenstand, sie ist gar nichts anderes als ihr Gebrauch. Sprache ist Sprachgebrauch. Da ist es doch kein Wunder mehr, wenn der Gebrauch mit dem Gebrauche sich steigert.
Diese Tatsache, welche ja nicht ganz übersehen werden konnte, hat man seit Hegel so zu verdrehen gesucht, daß man die Sprache mit der Kunst, der Religion und den Staatseinrichtungen zu den Schöpfungen des sogenannten objektiven Geistes rechnete. Eigentlich ist Geist das Subjektive im Menschen; indem man nun dieses Subjektive über den Einzelmenschen hinausschleudert und es objektiv nennt, schafft man sich einen neuen Gott, mit dem sich die Sozialdemokraten abfinden sollten. Denn dieser objektive Geist denkt und will und tut, was die Masse denkt und will und tut. In Wahrheit ist die Tatsache, welche so großwortig als objektiver Geist auftritt, nichts anderes als die Abhängigkeit des Einzelmenschen von der Sprache, die er von den aufeinander folgenden Massen seiner Volksvorfahren geerbt hat, und die nur darum einen Gebrauchswert für ihn besitzt, weil sie Gemeineigentum aller Volksgenossen ist. Gebrauchsgegenstände bleiben unverändert, wenn weder menschlicher Gebrauch noch ihr ungewollter Verbrauch durch die Naturkräfte sie verzehrt. Die Sprache dagegen, weil sie kein Gebrauchsgegenstand, sondern selbst Gebrauch ist, stirbt ohne Gebrauch. Und da ist es nun von ausschlaggebender Wichtigkeit, daß alle Teile der Sprache irgendwo im Volke immer im Gebrauch sind. Der Einzelmensch gebraucht vielleicht jahrelang kaum den zehnten Teil der Worte, die die Sprache ihm zur Verfügung stellt, und nur einen winzigen Bruchteil der Kombinationen dieser Worte. Der Einzelne beherrscht seine Muttersprache nicht - wie gesagt. Anderswo jedoch ist wieder ein anderes Zehntel im Gebrauch, und an das Ohr des Einzelmenschen schlagen von Zeit zu Zeit von den ungebrauchten Zehnteln so viele Assoziationszentren der Sprache, daß schließlich ein weit größerer Teil der Gesamtsprache durch passive Einübung in steter Bereitschaft steht.
Sprache eine Spielregel
Der Kommunismus hat auf dem Gebiete der Sprache Wirklichkeit werden können, weil die Sprache nichts ist, woran Eigentum behauptet werden kann; der gemeinsame Besitz ist ohne Störung möglich, weil die Sprache nichts anderes ist als eben die Gemeinsamkeit oder die Gemeinheit der Welt-anschauuung. Die Menschenmassen und die Massenmenschen freuen sich staunend dieses Besitzes und ahnen nicht, daß er eine Selbsttäuschung ist. Licht und Luft sind auch gemeinsam, aber sie sind etwas, und jeder Wärmestrahl, jedes Luftatom, das der eine verbraucht, wird dem anderen entzogen. Licht und Luft sind noch Werte. Der Städter muß sie teuer bezahlen. Die Sprache ist nur ein Schein wert wie eine Spielregel, die auch umso zwingender wird, je mehr Mitspieler sich ihr unterwerfen, die aber die Wirklichkeitswelt weder ändern noch begreifen will. In dem weltumspannenden und fast majestätischen Gesellschaftsspiel der Sprache erfreut es den einzelnen, wenn er nach der gleichen Spielregel mit Millionen zusammen denkt, wenn er z. B. für alte Rätselfragen die neue Antwort "Entwicklung" nachsprechen gelernt hat, wenn das Wort Naturalismus Mode geworden ist, oder wenn die Worte Freiheit, Fortschritt ihn regimenterweise aufregen. Von starken Naturen, welche den Menschenmassen in diesem Weltgesellschaftsspiel die Worte zurufen, wird Geschichte gemacht, Sie passen in die Welt. Die geistige Geschichte wird von Ausnahmsmenschen gemacht, welche nicht in die Welt passen, welche abseits vom Spiele die Welt anders betrachten, als die Vorgängermassen sie betrachtet haben und als die ererbte Sprache es verlangt, von Menschen, welche, erblos und eigen, die Welt neu zu erkennen glauben und sich's kaum eingestehen dürfen, daß auch sie mit Aufopferung ihres Lebens nichts weiter ersonnen haben als nur kleine Abänderungen der Spielregeln für das Gesellschaftsspiel der Welt. Man kann sie auch betrachten als zufällige Variationen, welche die feste Erblichkeit der Art durchbrechen und vielleicht zu einer leisen Abänderung der Art beitragen werden. Sie wissen wenig anzufangen mit dem Gemeineigentum der Sprache, und die Gesellschaft, die Gemeine, weiß nicht viel mit ihnen anzufangen.
Sprache kein Kunstwerk
Man hat die Sprache so oft ein bewunderungswürdiges Kunstwerk genannt, daß die meisten Menschen diese schwebende Nebelmasse in einem verfließenden Begriffe wirklich für ein Kunstwerk halten. Nur daß der eine dieselbe Bildung für eine Wiesenfläche, der zweite sie für einen alten Tempel und der dritte sie für das Porträt seines Großvaters hält.
Ein Kunstwerk kann die Sprache schon darum nicht sein, weil sie nicht die Schöpfung eines Einzigen ist. Ich kann es mir (wie gesagt) nicht eigentlich vorstellen, aber ich kann es mit Worten denken, daß die Menschheit wortlos und begriff los jahrtausendelang dahin gelebt hätte, zweifellos und lügenlos wie die Tierwelt, und dann einmal plötzlich ein Riesenmensch entstanden wäre, ein Klaftermensch unter Ellenmenschen. Und der wäre ein Dichter gewesen. Weil die Sprache nie ein Kunstwerk war, aber immer das Kunstmittel der Poesie. Er hätte sich, er für sich ganz allein, als ob er in einem Donner die Spannung hätte entladen wollen, die Sprache ersehnt, erfunden und ausgebaut. Das wäre dann ein Kunstwerk geworden. Das Werk Eines. Aber auch ein Monolog. Die Ellenmenschen hätten ihn nicht verstanden. Die Sprache aus dem Donnerbedürfnis hätte ein Kunstwerk werden können. Die Sprache aus dem gemeinen Mitteilungstrieb ist schlechte Fabrikarbeit, zusammengestoppelt von Milliarden von Tagelöhnern.
Wie aber die Sprache kein Kunstwerk sein kann, weil nicht ein einziger sie geschaffen hat, so ist sie auch kein Kunstwerk, weil sie nicht gemacht ist für das große Bedürfnis der Klaftermenschen, sondern für die kleinen Bedürfnisse aller. Die Sprache ist geworden wie eine große Stadt. Kammer an Kammer, Fenster an Fenster, Wohnung an Wohnung, Haus an Haus, Straße an Straße, Viertel an Viertel, und das alles ist ineinander geschachtelt, miteinander verbunden, durcheinander geschmiert, durch Röhren und Gräben, und wenn man einen Botokuden davorstellt und ihm sagt, das sei ein Kunstwerk, so glaubt es der Esel und hat doch zu Hause die eigene Hütte, rund und frei.
Gemeinheit der Sprache
Ist die Sprache aber kein Kunstwerk, so ist sie dafür bis heute die einzige Einrichtung der Gesellschaft, die wirklich schon auf sozialistischer Grundlage beruht. Zwar hat auch die Stadt wie die Sprache ihre Gasröhren, die ein vergiftetes Licht in alle Kammern treiben, die Bleiröhren, die ein verseuchtes Wasser in alle Küchen liefern, die Kanäle, die den Unrat der Million in schöner Symmetrie zu dem oberirdischen Leben munter unter der Erde weiterplätschern lassen nach neuen Gebieten der kommenden Menschheit, den Rieselfeldern. Aber Kohlendunst, Sumpfwasser und Dünger sind noch nicht überall Gemeingut. Der Steuerexekutor steht am Hahn und verlangt Geld. Da ist die Sprache eine weit lustigere Sache. Um es grell auszudrücken: In ihren verrosteten Röhren fließt durcheinander Licht und Gift, Wasser und Seuche und spritzt umsonst überall aus den Fugen, mitten unter den Menschen; die ganze Gesellschaft ist nichts als eine ungeheure Gratiswasserkunst für dieses Gemengsei, jeder einzelne ist ein Wasserspeier, und von Mund zu Mund speit sich der trübe Quell entgegen und vermischt sich trächtig und ansteckend, aber unfruchtbar und niederträchtig, und da gibt es kein Eigentum und kein Recht und keine Macht. Die Sprache ist Gemeineigentum. Alles gehört allen, alle baden darin, alle saufen es, und alle geben es von sich.
Utopisten hoffen und lehren, die ganze Natur werde einmal so gemein werden wie die Sprache, wenn erst alles Eigentum gemeinsam und wohlfeil sein wird wie die Sprache.
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Organismus
Man hat viel Mißbrauch getrieben mit dem Bilde, die Sprache sei ein Organismus. Sie kann gar nicht ein Organismus sein, denn wenn dieses Wort überhaupt einen Sinn haben soll, so müßte doch, was ein Organismus sein will, eine Einheit sein, die durch sich selbst, die allein leben kann.
Die Sprache existiert aber niemals für sich allein, sondern immer nur zwischen den Menschen. Sie ist für die Menschen, was der sagenhafte Äther für die gravitierenden, elektrischen oder leuchtenden Körper. Etwas, was die Schwingungen schwingen läßt, die Gehirnschwingungen von einem zum anderen.
Da zur Sprache immer mindestens zwei gehören, so könnte man daran denken, daß sie die Menschen verbinde, wie die Begattung, und daß sie so wenigstens die Verbindung zweier Organismen, den Akt der geistigen Zeugung, darstelle.
Der Organismus ist fruchtbar, fortzeugend. Die Sprache aber ist unfruchtbar. Sie trägt...