In die Lebenswelten spätmittelalterlicher Ehepaare gewähren die meisten Quellen nur unvollständige Einblicke. Wie verhielten sich die Eheleute innerhalb ihrer Paarbeziehung, wie gemeinsam als Ehepaar gegenüber Dritten? Beginnend mit der Eheschließung und endend mit dem Tod eines Ehepartners untersucht Nicole Matter-Bacon auch das Verhalten von Züricher Ehepaaren als Eltern, als solidarische Einheit, im Streit und bei Ehebruch. Dabei stützt sie sich auf die Gerichtsakten der Stadt Zürich aus dem 15. Jahrhundert, denn anders als die formellen Regeln der Ehe, die im Stadtrecht und durch die kanonisch-rechtlichen Bestimmungen festgehalten wurden, findet sich keine Dokumentation der informellen Normen. Diese lassen sich jedoch anhand der Verhaltensmuster der Eheleute vor Gericht rekonstruieren - als Kläger, Angeklagte oder auch als Zeugen. Auf diese Weise liefert die Autorin nie dagewesene Einblicke in die Paarbeziehungen des spätmittelalterlichen Zürich. Ihre aussagekräftigen Befunde schließen Forschungslücken und regen zu Vergleichsstudien mit anderen spätmittelalterlichen Städten an.
1Vgl. Kapitel 1.2.
2Rippmann, Simon-Muscheid und Simon unterstreichen in Bezug auf die Vielschichtigkeit von Gerichtsakten diesen Aspekt, indem sie schreiben, dass "innerhalb der komplexen Beziehungsgeflechte, die immer wieder in den Aussagen [in Gerichtsakten] aufscheinen, [.] eheliche und eheähnliche Beziehungen in ihrer Vielfältigkeit ein besonders eindrückliches Abbild verschiedener Lebensmuster als Zugang zur Alltags- und Geschlechtergeschichte [bieten]»; vgl. Rippmann/Simon-Muscheid/Simon: Arbeit - Liebe - Streit, S. 31-32.
3So in letzter Zeit z.B. Lutz: Ehepaare vor Gericht und Schmugge: Ehen vor Gericht.
4Vgl. Kapitel 7.
5Vgl. Bosshard, Werner: Familie; Weibel: Erbrecht; Wagner: Kinder in den Zürcher Gemächten.
6Eheschliessung, Ehepaare als Eltern, Ehepaare als solidarische Einheit, Ehepaare im Streit, Ehebruch, Tod des Ehepartners.
7Vgl. Kapitel 4.
8Die Rechtsquellen des Kantons Zürich Neue Folge, Erster Teil: Die Stadtrechte von Zürich und Winterthur, 1. Reihe: Stadt und Territorialstaat Zürich, 1. Bd.: Zürcher Richtebrief, bearbeitet von Daniel Bitterli, Basel 2011 (Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, 1. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich).
9Zeller-Werdmüller, Heinirch/Nabholz, Hans (Hg.): Die Zürcher Stadtbücher des 14. und 15. Jh., 3 Bde., Leipzig 1899-1906.
10Nabholz, Hans/Hauser, Edwin (Hg.): Die Steuerbücher von Stadt und Landschaft Zürich des 14. und 15. Jahrhunderts, Bd. 2-8, Zürich 1939-1958.
11StAZH, B II 6-31.
12StAZH, B VI 197-238.
13StAZH, B VI 224; StAZH, B VI 279a.
14StAZH, A 17.1.: Selbstmord und Totschlag; StAZH, A 27.2.: Kundschaften und Nachgänge.
15Vgl. Malamud: Ächtung, S. 55-79; Sutter: Nachbarn, S, 24-37.
16Soziale Beziehungen im Alltag einer spätmittelalterlichen Stadt: Zürich, 15. Jahrhundert. Ich bedanke mich bei meinem Doktorvater Prof. Dr. Hans-Jörg Gilomen für die Zurverfügungstellung der Datenbank.
17Vgl. Wohlmuth (Hg.): Dekrete der ökumenischen Konzilien, Bd. 2, S. 257-259.
18Vgl. Schannat/Hartzheim (Hg.): Concilia Germaniae, Bd. 3-5.
19Gemeint sind damit beispielsweise Prozesse wegen falscher Eheansprache, Eheschliessung gegen den Willen der Eltern oder Bigamie.
20Simon-Muscheid: Gerichtsquellen, S. 36. Vgl. dazu auch Rippmann/Simon-Muscheid/Simon: Arbeit - Liebe - Streit, S. 21.
21Malamud: Ächtung, S. 97.
22Ebd., S. 98.
23Foucault/Farge: Familiäre Konflikte, S. 32. Die Autoren analysieren Anträge auf Verhaftungen aus dem 18. Jahrhundert. Bei ihren Quellen handelt es sich ebenfalls um Gerichtsakten.
24Der Begriff wird verwendet von Pedersen: Did the Medieval Laity Know?, S. 150. Er arbeitet zwar mit geistlichen Gerichtsakten und verfolgt eine völlig andere Fragestellung, geht methodisch aber ähnlich vor.
25Vgl. Dinzelbacher: Theorie und Praxis, S. XXV; Butler: Marital Disputes, S. 294-296; Sarasin: Diskursanalyse, S. 207.
26Vgl. Dinges: Maurermeister, S. 30-32; Sarasin: Diskursanalyse, S. 213. Zur Konstitution von Wirklichkeit vgl. auch Kapitel 1.3.
27Malamud: Ächtung, S. 99.
28Vgl. Foucault/Farge: Familiäre Konflikte, S 27; Butler: Marital Disputes, S. 295-296.
29Methodisch reiht sich diese Arbeit demnach in das Vorgehen zweier wichtiger Vorgängerarbeiten ein, die dasselbe Quellenmaterial untersuchten. Bei Malamud ist die qualitative Methode schon ansatzweise fassbar; vgl. Malamud: Ächtung, S. 50-53. Sutter ging bei der Auswertung der Quellen fast ausschliesslich qualitativ vor; vgl. Sutter: Nachbarn, S. 37-44.
30Rippmann/Simon-Muscheid/Simon: Arbeit - Liebe - Streit, S. 18.
31Ebd., S. 19.
32Zur Forschungsdebatte über "Realität" und "Fiktion" vgl. Daniel: Kompendium Kulturgeschichte, S. 430-442.
33Vgl. Kapitel 1.3. Vgl. Auch Malamud: Ächtung des "Bösen", S. 52; Burghartz: Leib, Ehre, Gut, S. 126; Gilomen: Soziale Beziehungen, S. 14-15; Sutter: Von guten und bösen Nachbarn, S. 26-27; McSheffrey: Place, S. 963: "Naturally some witnesses lied or stretched the truth, but this does not necessarily diminish the value of the evicence their testimony provides; in many ways the plausible lie - that is, a story calculated to strike the medieval audience as credible, even if it had little relationship to what 'really' happened - is one of the most revealing kinds of sources we have about the expectations and practices of the past."
34Vgl. Graus: Mentalität, S. 13; Duby: Frau ohne Stimme, S. 9; Dinzelbacher: Theorie und Praxis, S. XXXIV.
35Zur Diskrepanz zwischen normativen Bestimmungen und der Realität vgl. Gilomen: Soziale Beziehungen, S. 13.
36Zum Sinn oder Unsinn solcher Statistiken vgl. Malamud: Ächtung, S. 47-50.
37Vgl. ebd., S. 53. Vgl. auch Kapitel 1.3.
38Vgl. Die Steuerbücher von Stadt und Landschaft; vgl. auch Malamud: "Und von sölichs ir ere swarlich berürt", S. 35.
39Schon 1974 sprach Leisching von einem Boom in der mittelalterlichen Ehegeschichtsforschung; vgl. Leisching: Wege zur kirchlichen Trauung im mittelalterlichen Tirol, 1974.
40Vgl. Hof: Entwicklung der Gender Studies, 1995; Habermas: Frauen- und Geschlechtergeschichte, 2002.
41Vgl. Goody: Entwicklung von Ehe und Familie in Europa, 1986; Brundage: Law, Sex and Christian Society in Medieval Europe, 1987; Gaudemet: Le mariage en Occident, 1987; Brooke: The Medieval Ideal of Marriage, 1989.
42Vgl. Maschke: Familie in der deutschen Stadt des späten Mittelalters, 1980; Weibel: Erbrecht und Familie, 1988; Head: Haushalt und Familie in Landschaft und Stadt Zürich, nach Steuerbüchern des 15. Jahrhunderts, 1992.
43Vgl. Klapisch-Zuber: Die Frau und die Familie, 1989; Opitz: Frauenalltag im Spätmittelalter, 1993.
44Vgl. Uitz: Die Frau in der mittelalterlichen Stadt, 1988; Kuhn/Pitzen (Hg.): Stadt der Frauen, 1994; Kustatscher: Frauen in der Stadt, 2007.
45Vgl. Rippmann/Simon-Muscheid/Simon: Arbeit - Liebe - Streit, 1996.
46Vgl. Schulte: Handbuch des katholischen Eherechts nach dem gemeinen katholischen Kirchenrechte und dem österreichischen, preussischen, französischen Particularrechte, mit Rücksichtnahme auf noch andere Civilgesetzgebungen, 1855; Esmein: Mariage en droit canonique, 1891; Sohm: Recht der Eheschliessung, 1953; Reicke: Geschichtliche Grundlagen des Deutschen Eheschliessungsrechts, 1953; Donahue: The Canon Law on the Formation of Marriage, 1983; Gaudemet: La formation de la théorie canonique du mariage, 1982; ders.: Le mariage en Occident, 1987.
47Vgl. Weigand: Die Rechtsprechung des Regensburger Gerichts in Ehesachen unter besonderer Berücksichtigung der bedingten Eheschliessung nach Gerichtsbüchern aus dem Ende des 15. Jh., 1968; ders.: Zur mittelalterlichen kirchlichen Ehegerichtsbarkeit, 1981; ders.: Ehe- und Familienrecht in der mittelalterlichen Stadt, 1984; ders.: Wer führte aus welchen Gründen Eheprozesse im Spätmittelalter?, 1996. Weigand verwendet für seine Studien meist dasselbe Quellenkorpus und präsentiert daher stets ähnliche Resultate.
48Vgl. Deutsch: Konsensehe oder Zwangsheirat, 2005; Lutz: Ehepaare vor Gericht, 2006; Schmugge: Ehen vor Gericht, 2008.
49Vgl. Schröter: «Wo zwei zusammenkommen in rechter Ehe...», Sozio- und psychogenetische Studien über Eheschliessungsvorgänge vom 12. bis 15. Jahrhundert, 1985.
50Vgl. Donahue: The Canon Law on the Formation of Marriage and Social Practice in the later Middle Ages, 1983; Finch: Parental Authority and the Problem of Clandestine Marriage in the Later Middle Ages, 1990; Pedersen: Did the Medieval Laity Know the Canon Law Rules on Marriage?, 1994; ders.: Marriage Disputes in Medieval England, 2000; Butler: "I Will Never Consent to Be Wedded With You!" Coerced Marriage in the Courts of Medieval England, 2004; McDougall: Bigamy. A Male Crime in Medieval Europe?, 2010.
51Vgl. Falzone: Entre droit canonique et pratiques laïques. Les couples en difficulté devant l'officialité de Cambrai (1438-1453), 2007; Avignon: Marché matrimonial clandestin et officines de clandestiné à la fin du Moyen Age. L'exemple du diocèse de Rouen, 2010; Ostinelli: Wege zur richtigen Ehe. Suppliken in Ehesachen aus dem lombardischen Raum, 2010.
52Vgl. Dubuis: Les vifs, les morts et le temps qui court, 1995.
53Vgl. Klapisch-Zuber: Zacharie, ou le père évincé. Les rites nuptiaux toscans entre Giotto et le concile de Trente, 1979; D'Avray: Marriage Ceremonies and the Church in Italy after 1215, 1998; Kuehn: Contracting Marriage in Renaissance Florence, 2007.
54Vgl. Beer, Mathias: Eltern und Kinder des späten Mittelalters in ihren Briefen, 1990.
55Vgl. Schwarz: Die Bedeutung der Sippe für die Öffentlichkeit der Eheschliessung im 15. und 16. Jahrhundert, 1959.
56Vgl. Roper: Going to Church and Street. Weddings in Reformation Augsburg, 1985.
57Vgl. McSheffrey: Place, Space, and Situation, 2004.
58Vgl. Greilsammer: L'envers du...