Abbildung von: Ein schwules Leben? - Frieling & Huffmann

Ein schwules Leben?

Erinnerungs- und Gedankensplitter
Gottfried Lorenz(Autor*in)
Frieling & Huffmann (Verlag)
1. Auflage
Erschienen im Mai 2022
324 Seiten
E-Book
ePUB mit Wasserzeichen-DRM
978-3-8280-3694-9 (ISBN)
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"Ich wünsche Ihnen kein leichtes Leben, sondern ein Leben, das Sie bestehen können!" Mit diesem Wunsch verabschiedete Gottfried Lorenz seine Abiturienten. In der vorliegenden Autobiographie lässt Lorenz sein Leben Revue passieren und geht der Frage nach, ob er selbst bisher sein Leben hat "bestehen können".
Dieses Leben beginnt 1940 in Niederschlesien. Er und seine jüngere Schwester wachsen mit Mutter und Großmutter ohne Vater auf. Das bildungsbürgerliche Umfeld ist religiös geprägt. Auf der Flucht am Ende des Zweiten Weltkrieges landet die Familie 1945 in Thüringen. Mit der Pubertät erkennt der Verfasser, dass er sich sexuell von Jungen angezogen fühlt. Seine Homosexualität lässt sich weder durch Gebete noch durch zölibatäres Leben beseitigen, also söhnt er sich mit ihr aus. 1955 flieht die Familie erneut, diesmal nach West-Berlin und von dort in den Kreis Wesermünde. Dort macht er an der Niedersächsischen Heimschule Bederkesa Abitur. Seine Studien- und Lehrjahre (auch in sexueller Hinsicht) beginnen. Wie lebte es sich in seiner Jugend und in seinem Erwachsenenalter als Schwuler in Deutschland? Die Erfahrungen sind zwiespältig, denn homosexuelle Handlungen stehen unter Strafe; Schwulen drohen strafrechtliche Ahndung, universitäre und berufsständische Strafmaßnahmen, gesellschaftliche Diskriminierung. Der Verfasser findet jedoch ein erfülltes Berufsleben als Lehrer und Autor und entwickelt sich zu einem selbstbewussten schwulen Mann, der sich seit vielen Jahren für die Rechte queerer Menschen engagiert.
Gottfried Lorenz wurde 1940 in Niederschlesien geboren. Nach dem Abitur in Bederkesa studierte er in Göttingen und vor allem Saarbrücken Geschichte, Germanistik, Soziologie und Skandinavistik; 1968 wurde er im Fach Neuere Geschichte promoviert. Anschließend war er wissenschaftlicher Mitarbeiter in Bonn und danach bis 2005 Gymnasiallehrer in Glinde (Schleswig-Holstein). Seither arbeitet er in Hamburg schwulenhistorisch. Als Autor veröffentlichte Lorenz Bücher und Aufsätze zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges und zur Homosexuellenverfolgung in Hamburg sowie zu skandinavischen Themen.

Die ständige Berufung der dänischen Medien (inklusive Flensborg Avis) sowie der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein auf die besondere skandinavische Art zu leben, auf den "nordischen Geist" und das "Nordische Menschenbild", das sich fundamental von der deutschen Lebensart unterscheide und das geprägt sei von freundlichem Miteinander und demokratischer Gesinnung, steht im Widerspruch zu dem, was deutsche Flüchtlinge 1945 bis 1949 in Dänemark erlebt haben und was seit 1999 von der Kopenhagener Ärztin Kirsten Lylloff aufgearbeitet worden ist: Am Ende des Zweiten Weltkriegs kamen rund 250.000 deutsche Flüchtlinge nach Dänemark. 7000 Kinder unter fünf Jahren, darunter 80% der 3000 Säuglinge, starben - oder besser gesagt - verreckten allein 1945, weil ihnen Nahrung und ärztliche Behandlung laut Beschluss der dänischen Ärztekammer und des dänischen Roten Kreuzes verweigert wurden. (Dass es vereinzelt auch Ärzte wie Bent Andersen in Aarhus gab, die sich dem hippokratischen Eid verpflichtet fühlten, sei ausdrücklich erwähnt.) Von insgesamt 10.000 unbegleiteten Flüchtlingskindern starben zwischen 1945 und 1949 zweitausenddreihundert.

Während Kirsten Lylloff in diesem Zusammenhang von der "größten humanitären Katastrophe der Neuzeit in Dänemark" spricht, wundern sich Historiker und Historikerinnen wie Svend Bach, Sofie Lene Bak und Arne Gammelgaard, dass man über derartige Zahlen, die sie nicht bezweifeln, ein Aufheben mache, obwohl sie betyder, at der i 1945 døde flere tyske flygtningebørn end det samlede andel danskere, der døde som følge af fem års besættelse (vgl. Bak; die Zahlen bedeuten, dass 1945 mehr deutsche Flüchtlingskinder starben als Dänen infolge der fünfjährigen Besetzung Dänemarks). Die Schlussfolgerung der zuständigen Behörde nach Abschiebung der Flüchtlinge nach Deutschland lautete im Jahr 1950: den retningslinje, som har været grundlæggende for hele flygtningsforsorgen, nemlig at forsorgen skulle være nødtørftig, men forsvarlig (die Richtschnur, die Basis der gesamten Flüchtlingsfürsorge gewesen ist, nämlich dass sie auf das Notwendigste reduziert, aber vertretbar sein solle), habe in Einklang gestanden mit den humanitären und demokratischen Traditionen Dänemarks.

Der Vater des Autors Svend Bach, ein dänischer Funktionär, der für deutsche Flüchtlingskinder zuständig war, bezeichnete diese als "Individuen, die angespült" worden seien; Arne Gammelgaard (*1928) nannte sie 1993 "drivtømmer" (Treibholz), was bei aller negativen Konnotation noch freundlich klingt im Vergleich mit den während der dänischen Anti-Mitleid-Kampagne benutzten Begriffen "rotter" (Ratten) und "Parasiten". Welche Rolle die dänische Minderheit in Schleswig-Holstein, der SSV/ SSW, Karl-Otto Meyer und Flensborg Avis in dieser Angelegenheit gespielt haben, ist meines Wissens bisher nicht Gegenstand der Forschung gewesen.

Der Planung eines Museums in Oksbøl (nordwestlich von Esbjerg und westlich von Varde) mit dem Namen "FLUGT" kann ich nichts abgewinnen. Es steht zu befürchten, dass es bestenfalls - wie es das Danevirke-Museum bei Schleswig tut - mit zweierlei Texten arbeitet: mit nationalistischen und antideutschen auf Dänisch und in der Tonlage freundlicher formulierten deutschsprachigen. Man sollte die toten deutschen Flüchtlinge in Frieden ruhen lassen43.

Es geht mir in dieser Polemik nicht darum, Dänemark und den Dänen vorzuwerfen, dass sie am Ende des Krieges und der deutschen Besetzung von Rachegedanken gegen Deutschland, die Deutschen und alles Deutsche beseelt gewesen waren. Das war und ist nur allzu verständlich und nachvollziehbar. Und es geht auch nicht darum, dass viele Dänen die Flüchtlinge als ungebetene Gäste, als Eindringlinge betrachteten, wie das auch viele einheimische Deutsche westlich von Oder und Neiße und Böhmerwald taten, als immer mehr Flüchtlinge in ihr Gebiet strömten, sondern um die Selbstgerechtigkeit, den mangelnden Aufklärungswillen und die Behauptung einer generellen skandinavischen Immunität gegen die "Deutschenseuche", die aus der stereotypen Betonung des über alle Zweifel erhabenen "nordischen Menschenbildes" und "nordischen Geistes" gegenüber dem deutschen Ungeist sprechen. Nicht nur der Geist, sondern auch der Ungeist weht, wo er will.

Dänemark hat in Deutschland einen guten Ruf: bis zur Flüchtlingskrise im Jahr 2015 insbesondere bei den Linken aufgrund angeblich liberalerer Verhältnisse als in der Bundesrepublik Deutschland und wegen der Existenz von Fristad Christiania in Kopenhagen; seit 2015 bei den extremen Rechten wegen der restriktiven Flüchtlingspolitik der sozialdemokratischen Regierung und der Einschränkung der Meinungsfreiheit/ Pressefreiheit/Redefreiheit in allen Veröffentlichungen/Verlautbarungen/Predigten, die nicht die Staatssprache Dänisch verwenden.

Allen denjenigen, die in den dänischen Sommerhäusern Urlaub machen, erscheint (zumeist mangels Sprachkenntnisse) Dänemark als Idylle. Aber das ist dieses Land nicht, wie ein Blick auf Brennpunkte in Aarhus oder im Großraum Kopenhagen und die täglichen Berichte hierüber in den dänischen Medien (Danmarks Radio, Politiken, Jyllands Posten) belegen. Die berühmte dänische "Hygge" ist in Wirklichkeit für Menschen, die nicht Janteloven (dem "Gesetz des Jante") entsprechen, die "Gemütlichkeit" , die von dem als Großmutter verkleideten Wolf im Märchen "Rotkäppchen" (Den lille Rødhætte) ausgeht. Wer das nicht nachvollziehen kann oder wer darüber mehr erfahren will, greife zu dem 1933 erschienenen Roman "En flyktning krosser sitt spor". Geschrieben worden ist er von Aksel Sandemose, dessen Geburtsname Axel Nielsen gelautet hatte und der Däne war, bis er 1929 nach Norwegen auswanderte, seinen Namen wechselte und kurz darauf in norwegischer Sprache publizierte.

In Erinnerung geblieben ist mir im Zusammenhang mit der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein eine Veranstaltung während der 1980er-Jahre am Gymnasium Glinde. Der damalige sozialdemokratische Schulleiter hatte den Vertreter der dänischen Minderheitenpartei SSV/SSW (Sydslesvigs Vælgerforening/Südschleswigscher Wählerverband) im Kieler Landtag, Karl Otto Meyer, in den südlichsten Zipfel Holsteins eingeladen. Meyer, ein wortgewaltiger Mann, lehnte das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland pauschal als undemokratisch, ja als geradezu faschistisch ab, weil es keine Volksbefragungen und Volksabstimmungen zulasse. Dass die Mütter und Väter des Grundgesetzes nach den Erfahrungen der Weimarer Republik und der NS-Zeit mit Plebisziten bewusst auf diese Verfassungsinstrumente verzichtet hatten, zog er ins Lächerliche - die Deutschen seien eben nicht demokratiefähig. In dieser Tonart ging es über zwei Schulstunden im Seminarraum des Gymnasiums Glinde in Anwesenheit des Schulleiters, zahlreicher Lehrkräfte und aller Oberstufenschüler/-schülerinnen weiter.

Nun ist Kritik an der politischen Entwicklung in Deutschland kein Sakrileg, aber Karl Otto Meyer war nicht der "lupenreine" Demokrat, als der er sich ausgab, sondern er hatte Dansk Samling angehört. Dansk Samling aber war eine politisch rechte dänische Gruppierung. Und Meyer musste sich von Lesern der Zeitung Flensborg Avis vorwerfen lassen, homophob zu sein.

Seine Position zu Plebisziten wird nach den Erfolgen populistischer Parteien und Gruppierungen in Deutschland und in Europa inzwischen kritischer gesehen als zur Jahrtausendwende. Die Vorsicht und Weitsicht der Väter und Mütter des deutschen Grundgesetzes scheint mehr als berechtigt gewesen zu sein.

Meyers strikte Ablehnung der Bundeswehr und der Wiederbewaffnung Deutschlands schlug nach der Vereinigung Deutschlands plötzlich um in scharfe Kritik an der Schließung von Bundeswehrstandorten im Landesteil Schleswig - weil dort auch Mitglieder der dänischen Minderheit arbeiteten und dänisch orientierte Geschäftsleute von den stationierten deutschen Soldaten profitierten.

Nach wie vor bin ich gerne in Dänemark, insbesondere auf Sjælland, kann eintauchen in das dortige Leben, wie mir das auch in Tschechien, Schweden, Norwegen oder Österreich möglich ist. Je mehr ich mich mit der Geschichte dieser Länder und deren gegenwärtiger politischer Situation befasse, desto interessanter werden sie für mich. Gleichzeitig aber enthüllt die Beschäftigung mit ihnen Untiefen, Phasen und Ereignisse, über die deren Einwohner nicht gerne sprechen. Eine schrundige Geschichte, zu der man steht und mit der man sich kritisch auseinandersetzt, z. B. in der Výstava Nasi Nemci in Ústi nad Labem, sowie die wahrheitsgemäße Analyse zeitgenössischer Probleme überzeugen mich mehr als ein hagiographisches Bild der eigenen Geschichte und Gegenwart.

Von Flensburg aus schloss ich mich der dänischen Schwulenorganisation...

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