4. Blickverschiebung
Versuch einer Entsorgung ökonomischer Glaubenssätze
Im Sinne der politischen Ökonomie ist der Grundsatz, daß jede Arbeit einen Überschuß hinterlassen muß, nichts anderes, als die Bestätigung des verfassungsmäßigen Rechts, unseren Nächsten zu bestehlen... [H.i.O.]
Pierre-Joseph Proudhon30
Bevor das komplexe Reformpaket in allen seinen Elementen vorgestellt und erklärt wird, hier eine Zusammenstellung der wichtigsten Probleme. Es wurde im 3. Teil dieser Tetralogie dargelegt, dass das kapitalistische Geldsystem auf Selbstzerstörung programmiert ist, da positive (selbstverstärkende) Rückkopplungsprozesse destruktive Wirkungen verstärken. Um einen totalen Zusammenbruch des Systems zu verhindern, müssen die positiven Rückkopplungsprozesse durch negative (selbstregulierende) Regelwerke ersetzt werden.
Die größten Irrtümer, die sich aus überholten Vorstellungen über unser Geldsystem ergeben, sind der Glaube:
- die Geldversorgung der Wirtschaft - die heute durch Geldschöpfung im Zuge von Kreditvergabe erfolgt - müsse durch das Beleihung von Geld- oder Sachvermögen gesichert werden,
- Eigenkapital sei eine sinnvolle und notwendige Voraussetzung für unternehmerische Tätigkeit und ein solides Bankwesen,
- Profit (d.h. Gelderwerb, der nicht dem Konsum, sondern dem Erwerb leistungsloser Einkommen dient) sei eine sinnvolle und notwendige Triebkraft für wirtschaftliches Handeln,
- der Zins sei ein Instrument zur Steuerung der Gesamtgeldmenge und für diesen Zweck auch notwendig,
- das Heiligsprechen JEDER Form von Eigentum sei eine notwendige Voraussetzung für wirtschaftliche Prosperität.
Die Analyse unseres heutigen Geldsystems hat stattdessen gezeigt:
- Da die Geldversorgung im Kapitalismus von der Profiterwartung der Kreditnehmenden abhängt, Profit für die Mehrheit aber nur möglich ist, wenn die Geldmenge unentwegt wächst, ist stetiges Geldmengenwachstum notwendig. Das erzwingt anhaltendes Wirtschaftswachstum.
- Grenzenloses Wachstum der Geldvermögen erfordert ein entsprechend grenzenloses Wachstum der Verschuldung durch Unternehmen, Staat, Privatpersonen sowie Banken.
- Kapitaleigentum ist eine Quelle leistungslosen Einkommens.
- Kreditzinsen sind notwendig, sofern sie der Finanzierung des Geldsystems (Bargeldherstellung, Kontenverwaltung, Kreditbearbeitung,) dienen. Als Betriebseinnahmen der Bank erzeugen sie keinen Wachstumszwang, solange sie vollständig zu Einkommen der Bankangestellten werden.
- Leistungslose Einkommen fördern den Erwerb weiterer renditeträchtiger Vermögenswerte und also zunehmende Eigentumskonzentration.
Das Problem liegt dabei NICHT:
- in der Kreditgeldschöpfung an sich (also der Geldschöpfung aus dem Nichts), sondern lediglich in der Geldschöpfung aus dem Nichts für Nichts,5
- im Sparen an sich, sondern nur in einer unbegrenzten Geldhortung über den individuellen und den gesellschaftlichen Bedarf hinaus,
- im Eigentum an sich, sondern nur im Kapitaleigentum, weil Kapitaleigentum arbeitslose Einkommen ermöglicht, die das Leistungsprinzip verletzen,
- im Zins an sich, sondern nur in Zinseinnahmen, die nicht wieder für Konsum verausgabt werden, aber auch in Kreditzinsen, die fremdfinanzierte Unternehmen gegenüber Unternehmen mit Eigenkapital benachteiligen, da erstere Kreditzinsen zahlen müssen, letztere jedoch nicht; Eigenkapital schafft infolgedessen einen Marktvorteil, während hohe Kreditzinsen eine Marktzugangsbarriere bilden.
Die komplexe Problemlage erfordert eine entsprechend komplexe Lösung. Eine Geldreform kann nur dann nachhaltig wirksam sein, wenn das neue Regelwerk alle Teilprobleme berücksichtigt. Neben der Eigentumsbegrenzung muss jede Falschgeldschöpfung31 (d.h. jede, von realer Wertschöpfung entkoppelte Geldschöpfung, wie z.B. Geldschöpfung für Wertpapierkauf) strukturell unmöglich gemacht werden. Erst dann kann Geld zu dem werden, was es angeblich schon immer ist - ein neutrales und damit faires Tauschmittel für Waren und Dienstleistungen.
Heute erinnert manches an den Vorabend des Ersten Weltkrieges. Carl Fürstenberg (Direktor der Berliner Handelsgesellschaft) sagte rückblickend:
Dieses Verkennen der Situation erklärt sich nicht daraus, daß keine Anzeichen der herannahenden Krise vorhanden waren. Im Gegenteil waren sie seit Jahren so häufig wiedergekehrt, daß sich schließlich die Nerven abgestumpft hatten.32
Auch unsere Nerven sind durch wiederholte Wirtschafts- und Finanzkrisen sowie durch eine anhaltende Coronakrisenpolitik abgestumpft. Doch wir wollen nicht auf den drohenden Zusammenbruch starren, sondern unser Augenmerk auf eine mögliche neue Ordnung richten.
In den drei bereits erschienenen Teilen der Quadratur des Geldes wurde eine umfassende Analyse der Entstehung, Entwicklung und Funktionsweise des heutigen Geldsystems dargelegt. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer umfassenden Neuordnung der ökonomischen und eigentumsrechtlichen Verhältnisse. Das nachfolgende Reformpaket bildet kein Reparaturset, aus dem Einzellösungen entnommen werden können, um das gegenwärtige Geldsystem auszubessern. Teillösungen können die Wirkung einer Maßnahme nicht nur aufheben, sondern sogar ins Gegenteil verkehren. Das vorgestellte visionäre Geldsystem bildet eine Systemlösung, die nur als Gesamtkonzept die beabsichtigten Resultate hervorrufen kann.
Das bedeutet nicht, dass alles im Geld-, Bank- und Kreditsystem, sowie im Eigentumsrecht neu erfunden werden muss. Viele Verwaltungs- oder Kontrollsysteme im Bankbetrieb sowie technische Entwicklungen im Buchungs- und Zahlungsverkehr lassen sich auch für ein reformiertes Geldsystem nutzen.
Die geplanten Geldreformen werden nicht zwingend die Erscheinungsform, in jedem Fall jedoch das Wesen des Geldes verändern. Dazu müssen die destruktiven Mechanismen des gegenwärtigen Geld- und Eigentumsystems aufgelöst werden. Da es sich hierbei um fast mythische Grundprinzipien des heutigen Wirtschaftssystems handelt, nämlich um:
- Eigentum (Geld- oder Sachvermögen) als Kreditbasis,
- Eigenkapital als Unternehmensbasis/Liquiditätsbasis,
- Profit als Entwicklungstriebkraft,
- Zins als Geldmengenregulator,
ist für eine grundlegende Neuordnung der ökonomischen Verhältnisse ein radikales Umdenken notwendig. Dabei ist es wichtig, solche Kreditregeln und Eigentumsgesetze zu schaffen, durch die individuelle und gesamtwirtschaftliche Interessen nicht in Konflikt geraten. Erinnert sei daran, dass primär nicht aus persönlichem Profitstreben, sondern aus betriebswirtschaftlicher Notwendigkeit, Eigenkapital gebildet wird.33 Da Eigenkapital gesamtwirtschaftlich zu Problemen führt und langfristig wirtschafts- und gesellschaftszerstörend wirkt, kommt es zwischen den mikro- und makroökonomischen Interessen zu einem Zielkonflikt, der aufgelöst werden muss. Kernthema der Geldreform ist es daher, den Eigenkapitalbedarf zu beseitigen.
Es liegt eine Logik darin, dass es zum Überwinden des Kapitalismus notwendig ist, den privaten Kapitalbedarf zu überwinden. Eine soziale, wirklich demokratische Gesellschaft kann erst entstehen, wenn insbesondere das Geld als gesellschaftliches Tauschmittel in allen Aspekten demokratischen Regeln unterliegt. Dieses Buch will Grundlagen hierfür aufzeigen.
Um die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen zu beenden, muss Geld strukturell Tauschgerechtigkeit sichern. Tauschgerechtigkeit meint, dass beide Tauschparteien eigene Wünsche befriedigen, ohne einander zu übervorteilen, mehr dazu im Kapitel 7. Die Entwicklung zunehmender Tauschungerechtigkeit gründet in einem Problem, das bereits mit dem Entstehen des Metallgeldes vor etwa 5000 Jahren entstand. Während Verrechnungsmittel (wie Kerbhölzer) jederzeit im Moment des Tausches entstehen, erforderte das Metallgeld einen Geldschöpfungsprozess, der vom Prozess der Warenproduktion entkoppelt wurde. Sobald Geld nicht mehr direkt im Handel entstehen konnte,34 musste es als Voraussetzung für den Warenhandel gehortet werden. Das Tauschmittel Geld wurde dadurch zugleich Handelskapital, das akkumuliert werden musste. Aus dem Zwang zur Kapitalakkumulation hat sich heute eine alles verschlingende Vermögenskrise entwickelt. Dieser Zwang behindert Tauschgerechtigkeit nicht nur, er macht sie gänzlich unmöglich.
Gesell hat erkannt, dass Geld eine Jokerfunktion auf dem Markt besitzt. Um aus Geld ein neutrales Tauschmittel zu machen, muss ihm diese Jokerfunktion genommen werden. Dazu sollte allerdings nicht Gesells Ideen, sondern Keynes' Vorschlag für ein (internationales) Verrechnungssystem gefolgt und so die Geldschöpfung vollständig an den Prozess des Warenaustausches gekoppelt werden. Da Geld dann jederzeit entstehen kann, wenn es gebraucht wird, wird ein Halten von Geld als Vorbedingung für Handel überflüssig. Ein solch universelles Verrechnungsmittel ermöglicht...