Kapitel 2
Traurig sieht sie aus, wie sie auf die perfekte Schaumkrone ihres Cappuccinos starrt. Keine Ahnung, warum das Mädel, mutmaßlich in meinem Alter, meine Aufmerksamkeit mehr auf sich zieht als die übrigen Gäste, überwiegend Shopping-Jünger mit vielen bunten Tüten. Vielleicht ist es gerade das, denke ich. Es ist, als habe sich um die junge Frau eine Blase der Stille gelegt, während um sie herum geschwatzt und gelacht, in Einkaufstüten gewühlt und auf Handydisplays getippt wird.
Sie sitzt nur da und glotzt weiterhin auf ihre Tasse, als wisse sie nicht, was sie damit anstellen solle. "Kann ich dir vielleicht mit einem Stück Kuchen eine Freude machen? Unser Käsekuchen ist legendär", sage ich, nachdem ich an ihren Tisch getreten bin.
Sie sieht auf, und es wirkt, als hätte ich sie geweckt. Ihr Blick klärt sich, dann sagt sie: "Käsekuchen hört sich toll an. Danke."
"Gerne." Ich freue mich, ihr ein Lächeln entlocken zu können. Als ich ihr den Kuchen serviere, flüstere ich: "Der geht aufs Haus." Und zwinkere ihr verschwörerisch zu, um mich im gleichen Moment zu maßregeln, dass ich nicht jedem Gast, der mir leidtut, Kuchen schenken kann.
Ein erneutes Lächeln, breiter und irgendwie ehrlicher als das zuvor, zeigt mir, dass ich richtig gehandelt habe. "Vielen Dank." Das kommt von ganz tief innen, als würde sie sich für viel mehr bedanken als ein Stück Kuchen.
Das rührt mich, gerne würde ich mich weiter mit ihr unterhalten. Ihre Augen werden von den dicken Gläsern der großen Brille, die ihr Gesicht nach unten zu drücken scheint, vergrößert und geben ihr, gepaart mit den roten Pausbacken, eine kindliche Erscheinung.
"Soziales Projekt?", empfängt mich Terry bei meiner Rückkehr zum Tresen.
"Tut mir irgendwie leid", antworte ich mit Blick auf unseren stillen Gast, der sich über den Käsekuchen hermacht. Obwohl ihr der zu schmecken scheint, weicht die Melancholie, die ihr gesamtes Wesen durchdringt, nicht von ihr.
"Liebeskummer?", mutmaßt Terry.
Ich zucke mit den Schultern, aber eine Ahnung sagt mir, dass dies nicht der Fall ist. Liebeskummer, und ich weiß schließlich, wovon ich spreche, erscheint mir zu profan. Dieser Frau zieht eine Traurigkeit Mundwinkel und Blick gen Boden, die tiefer wurzelt.
Viel Zeit bleibt mir nicht, unseren Gast weiter zu studieren, denn die Shopping-Willigen wollen alle zur gleichen Zeit weiter und somit zahlen, was Terry und mich auf Trab hält. Als ich das nächste Mal zum Tisch schaue, an dem sie saß, ist sie verschwunden. "Hast du sie abkassiert?", frage ich Terry und deute auf den Tisch, auf dem Tasse und leerer Teller noch von der Anwesenheit der Frau künden.
"Die Eule?", fragt Terry, und ich benötige einen Moment, um den Spitznamen zuzuordnen. Ich muss zugeben, dass die Frau, mit ihren durch die Brille vergrößerten Augen, mich ebenfalls an einen solchen Vogel erinnert.
"Nö", antwortet Terry und hält das Kännchen mit Milch unter die Aufschäumdüse der Kaffeemaschine. "Die wird doch nicht die Zeche geprellt haben?"
Ich schüttele den Kopf. "Das kann ich mir nicht vorstellen."
"Das schließt es nicht aus."
Stimmt. Somit gehe ich an den Tisch, den ich ohnehin abräumen und abwischen muss. Unter der Untertasse klemmt etwas. Ein Zettel und eine Zehnpfundnote, eine fürstliche Entlohnung für einen Cappuccino, denn den Kuchen habe ich ihr ja geschenkt. Und selbst wenn ich das nicht getan hätte, würden zehn Pfund für Kuchen, Cappuccino und ein wenig Trinkgeld reichen.
Ich falte den Zettel auseinander und lese:
Dankeschön für den Kuchen, der sehr gut geschmeckt hat. Das hat mir gutgetan.
"Und?" Terry sieht mich erwartungsvoll an, als ich mit Geld und Zettel in der Hand zum Tresen zurückkehre.
"Wie ich sagte, keine Zechprellerin", entgegne ich, nicht ohne einen gewissen Stolz, dass ich richtig lag.
"Fanpost?" Terry deutet auf das Papier in meiner Hand, den ich ihr daraufhin reiche. Terry liest die zwei Sätze. "Das ist süß", sagt sie dann.
"Jetzt tut sie mir fast noch mehr leid."
"Wir können nicht die Welt retten, Linny. Selbst du nicht."
"Schon klar." Ich spreche nicht aus, was ich denke, dass die Reaktion der Frau und die Notiz für mich wirken, als würde sie um Hilfe rufen oder zumindest Kontakt suchen.
"Übernimmst du die Bestellung?" Terry nickt in Richtung des Tisches, an dem zuvor die Eule saß und der sogleich wieder von einem Pärchen eingenommen wird.
"Klar doch."
Das Pärchen entpuppt sich als schwerer Fall, insbesondere sie. Brünett und Kaugummi kauend lässt sie sich von mir sämtliche Allergene runterbeten, die in unseren Backwerken vorhanden sein könnten. Um nach, gefühlt, Stunden abzuwinken und zu sagen: "Ich will doch nur einen Kaffee." Das entlässt mich jedoch nicht aus der Verantwortung, ihr nun unser Milch- und Milchgetränkeangebot vorzustellen.
"Du hast nicht zufällig einen Prototypen eures Bombenkuchens gebacken?", frage ich Terry, die gerade einen Kuchen aus unserer Kuchenvitrine genommen hat, um ein Stück davon abzuschneiden.
Terry grinst. "Du meinst den Konfettikuchen?"
"Anstatt Konfetti könnte der doch mit Lebensmittelfarbe gefüllt sein?", überlege ich laut.
Terry macht große Augen. "Muss ich mir Sorgen machen?"
"Die Tussi da drüben ist eine Zumutung. Erst wollte sie sämtliche Allergene aufgezählt haben und nimmt dann gar keinen Kuchen."
"Hat sie wahrscheinlich genervt, dass ihr Kerl dich interessiert angeglotzt hat."
"Mach keinen Quatsch!" Ich winke ab.
"Wenn mir das von hier auffällt", Terry führt den Satz nicht zu Ende.
Ist Terrys Beobachtung zutreffend? Irgendwie habe ich mich daran gewöhnt, nicht das sexyeste Chick im Raum zu sein, muss aber zugeben, dass ich seit der Pinguin-Geschichte wieder regelmäßig ins Fitnessstudio gehe und außerdem wieder mehr auf Haar und Make-Up achte. Unterschätze ich meine Wirkung auf die Männerwelt?
Ich beschließe, mich auch mal aufreizend zu geben und achte beim Gang mit der Bestellung zum Tisch von Miss Allergen und ihrem Lover auf eine besonders aufrechte Körperhaltung und Hüftschwung und schenke ihm beim Servieren einen gekonnten Augenaufschlag. Tatsächlich sehe ich aus dem Augenwinkel, dass Miss Allergen die Luft anhält.
"Miss Fleet. Du verkommenes kleines Flittchen", flüstert Terry, die absichtlich meinen Weg kreuzt, als ich mich umdrehe, um den Tisch zu verlassen.
Das Leben geht manchmal sparsam mit den guten Augenblicken um oder begrenzt deren Dauer gnadenlos. So auch heute. Denn während ich mich noch darüber freue, mal für sexy gehalten worden zu sein, sogar einer hübschen Tussi Konkurrenz zu machen, geht die Tür auf, und er tritt ein.
Die braunen Augen tasten sich durch den Gastraum und treffen dann auf meine. Ein kurzes Lächeln, das in meinem Magen explodiert. Ich überlege, ob ich den positiven Schub der soeben gemachten Erfahrung nutzen kann, um auch Bruce in meinen Bann zu schlagen, da tritt sie ein: Blondes, langes Haar, Wespentaille und Schmollmund.
Mein kurzes Aufatmen, dass sie nicht zusammen gehören müssen, wird von der nächsten Szene torpediert. Bruce dreht sich zu der Dame um, während er auf die Theke zugeht, um ihr etwas zu zuraunen, woraufhin ihr Gesicht durch ein äußerst charmantes Lächeln aufblüht. Die beiden kennen einander nicht nur, das ist echte Sympathie.
"Das ist eine Überraschung", gehe ich in die Offensive, als Bruce und die Blonde an Tresen eintreffen.
"Ich wollte Lindsey mein Lieblingscafé zeigen sowie die Spürnase, die entscheidend zur Lösung des Woodsborough-Falls beigetragen hat", sagt Bruce.
Ich öffne den Mund, um dieses Kompliment sogleich wieder zu entkräften, doch Terry kommt mir zuvor. "Gestern erst habe ich Linn gesagt, wie stolz sie auf sich sein kann, dass sie die entscheidende Information beitragen konnte."
Lindsey nickt mir anerkennend zu, und mir schießt die Hitze in den Kopf.
"Wir können bei der Polizei gute Mitarbeiterinnen gebrauchen", sagt Lindsey.
"Danke für das Angebot." Ich versuche mich an einem Lächeln. "Aber ich liebe meinen Job."
"Das weiß ich." Bruce wirft mir einen Blick zu, den ich nicht deuten kann. Liegt darin anerkennende Begeisterung, wie mein kribbelnder Bauch mir weismachen will?
"Ein schönes Café." Lindsey lässt ihren Blick durch den Gastraum schweifen.
"Dankeschön." Ich bin an die Kaffeemaschine getreten und klopfe den Siebträger aus. "Was darf ich Ihnen anbieten. Cappuccino, Latte macchiato, Milchkaffee?"
"Milchkaffee."
"Kommt gleich und ein doppelter Espresso." Bei den letzten Worten sehe ich Bruce an, der freudig nickt.
Das Café bleibt gut besucht, und so bleibt nur wenig Zeit, um mich mit Bruce und Lindsey auszutauschen. Ich erfahre, dass sie von Brighton nach London zog, da ihr Brighton zu provinziell gewesen sei. Lindsey wurde in London geboren und wuchs in der City auf, verließ die dann, der Liebe wegen, wie sie es ausdrückt, um in Brighton ihre Ausbildung abzuschließen. Auch sie arbeitet bei der Polizei.
Als Bruce und sie gehen, sehe ich ihnen nach und frage mich, ob sie vertrauter miteinander umgehen, als es eine kollegiale Verbindung vermuten lässt? Ob Bruce nach wie vor Interesse an mir hat und ich seinen Blick richtig deute?
"Ich glaube nicht, dass da was läuft." Terry legt mir von hinten eine Hand auf die Schulter.
"Lindsey ist freundlich und sehr hübsch."
"Und doch muss sie nicht sein Typ sein."
Das möchte ich gerne glauben,...