Abbildung von: Tränen um Modesta Zamboni - e-artnow

Tränen um Modesta Zamboni

Georg Hermann(Autor*in)
e-artnow (Verlag)
1. Auflage
Erschienen am 13. Mai 2023
177 Seiten
E-Book
ePUB mit Wasserzeichen-DRM
4066339509139 (EAN)
0,99 €inkl. 7% MwSt.
Systemvoraussetzungen
für ePUB mit Wasserzeichen-DRM
E-Book Einzellizenz
Als Download verfügbar
'Tränen um Modesta Zamboni' erzählt die Geschichte von Wilhelm Schmidt, einem Künstler und Kunsthistoriker. Georg Hermann war ein deutscher Schriftsteller und ein jüdisches Opfer des Holocaust. Er war im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts ein vielgelesener Schriftsteller. Aus dem Buch: 'Man wird gewiß schon erraten haben, daß Doktor Robert Ludwig (Schmidt) Kunsthistoriker war und über die Vorbilder von Israel von Meckenem mit großem Fleiß promoviert hatte und daß er ferner sich bestrebte, an einer kleinen, aber berühmten Universität Dozent zu werden, Privatdozent mit dem Lehrgebiet der deutschen Gotik. Auch blickte er schon auf einige Jahre musealer Tätigkeit zurück an einem Provinzmuseum, in das sich selten ein Fremder verirrte, und hatte an der Katalogisierung der Kirchenschätze und Hausmadonnen des unteren Enzkreises reichlich Anteil genommen.'

Georg Hermann (Georg Hermann Borchardt) (1871 - 1943) war ein deutscher Schriftsteller und ein jüdisches Opfer des Holocaust. Er war im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts ein vielgelesener Schriftsteller. Sein literarisches Vorbild war Theodor Fontane, was ihm auch die Bezeichnung 'jüdischer Fontane' eintrug. Die Romane 'Jettchen Gebert' und 'Henriette Jacoby', die im Berlin der Jahre 1839/40 spielen und ein Bild des liberalen Geistes dieser Zeit in einer jüdischen Familie zeichnen, waren seinerzeit Bestseller und konnten zusammen mehr als 260 Auflagen aufweisen. Georg Hermann war 1909 Mitgründer und 1910-1913 erster Vorsitzender des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller, dem bald fast alle prominenten Schriftsteller deutscher Sprache beitraten.
Sprache
Deutsch
Dateigröße
Dateigröße: 0,52 MB
EAN
4066339509139
Schweitzer Klassifikation
DNB DDC Sachgruppen
BISAC Klassifikation
Warengruppensystematik 2.0

Und dann waren sie die in der zunehmenden Dämmerung sich langsam verändernden Wege des Gartens entlanggeschritten. Erst den ganzen dunklen Zypressengang hinab, zwischen den beiden Reihen riesiger, uralter, den Berg emporklimmender Trappisten dahin, die einer wie der andere die Kapuze hoch über den Kopf gezogen hatten und, ihrem Gebote getreu, stumm den Rosenkranz beteten. Wie sie aber von unten, von jener kleinen, halbverwachsenen Tür mit den verrosteten und vermorschten Riegeln, die auf den Feldweg hinaus mündete, wieder zu dem Gartentempel in der Höhe am Ende der Zypressenallee hinaufblickten, zu dem Apollo von Belvedere, den der Urahne sich einst von einem Lieblingsschüler Canovas hatte kopieren lassen, da war alles Süßliche, das wie einen Zuckerguß Canovas Lieblingsschüler einst vor hundert und etlichen Jahren über ihn gegossen hatte, von ihm gewichen. Es blieb nur der alte, stolze Heidengott, der Gott der Sonne, der Pest, der Schlachten und der Lieder, der einst in seiner lichten Bronze, selbst wie eine Sonne, aus der erdenen Form stieg, schön, jung und sieghaft, ja vielleicht ganz nackt auch, ohne den flatternden Mantel um die Schultern, den Rom ihm erst umhing, als man Jahrhunderte später die Bronze in die Kühle des Marmors umdachte. Jetzt aber, auf die Weite von hundert Metern hin, angeglänzt von einem allerletzten magisch-goldigen Licht, das sein Zuckerweiß tief und schweflig verfärbte, da waren Jahrtausende weggewischt, und er war wieder in feuriger Bronze der alte Gott aus Delos, hoch, übermütig, unverwundbar selbst, der in die Reihen der armen Sterblichen seine nie fehlenden Pfeile hinabsandte, die Pest, Glut der erbarmungslosen Sonne und Tod in den Schlachten zugleich waren.

»Oh, sehen Sie, Signor Roberto, wie schön er ist, mein Gott, denn eigentlich sind wir hier doch alle noch Heiden!« meinte Modesta Zamboni. »Aber kommen Sie, wir wollen hinaufgehen, von der Ebene zieht eine leichte Feuchtigkeit bis hier herauf. Ich fürchte das Umido sehr. Man bekommt leicht Fieber; vor allem«, setzte sie mit ihrem stets ganz plötzlich aufzuckenden grünen Blitz in den Augenwinkeln hinzu, »wenn man ein Inglese ist.«

Und langsam gingen beide wieder durch die Parkdämmerung, die schweigend duftete - sonst lärmte sie gerade zur Nacht vom Zirpen und Schrillen der Insekten! -, zu dem bronzeleuchtenden Gotte und dem Bau da oben mit seinen überhöhten Flügeln hinauf, der immer noch schweflig von seiner Terrasse ins Land winkte. Eine kurze Weile blieben sie bei Windlichtern in ihrer Halle sitzen, und dann verabschiedete sich Roberto Luigi, wollte sich sogar über Modestas Hand beugen, um sie zu küssen; aber sie entzog sie ihm, nicht unfreundlich und mit jener plötzlichen Härte und Unnahbarkeit wie früher, immerhin doch so, daß er nicht wagte, es zu tun. Trotzdem lächelte sie dabei ihm zu. Und durch das nur matt erleuchtete riesige Treppenhaus ging er hinauf, um noch etwas zu lesen - er hatte sich in den letzten Tagen sogar an Dante gewagt - und um vielleicht jenen Brief an Antonie mit der kleinen Notlüge nun endlich einmal zu beginnen. >Schreiben<, sagte er sich, >bedeutete noch nicht: absenden.< Die Fenster hatte er weit geöffnet (die Zanzaren blieben unten mehr in der Ebene), und einen der Sessel mit den großen geschnitzten braunen Widderköpfen an den Lehnen, mit ihren streifigen, etwas zerschlissenen Seidenbezügen - es waren ja noch die ersten, und wer von uns könnte sich rühmen, selbst in halber Dauer weniger vom Schicksal ramponiert, abgenutzt und zermürbt zu sein? -, den hatte er neben den Schreibtisch mit seinen kleinen geschnitzten braunen Widderköpfen sich gerückt. Gewiß, für Dante hätte es ein alter Florentiner Klappsessel sein müssen, der hier wäre für Stendhal gut gewesen. Aber wie schön es sich doch in einem solchen alten Empiresessel saß, nicht zu hoch, nicht zu tief, nicht so weich, daß man faul wurde, nicht hart, daß man müde wurde. Man konnte die Beine von sich strecken und flegelte sich doch nicht wie ein Amerikaner in einem Klubsessel, saß gerade so, daß man es gar nicht eigentlich merkte und sich doch angenehm entspannte. Wundervolle Zeit, da die besseren Menschen selbst von einem heute so gleichgültigen Ding wie einem Stuhl noch forderten, daß er seinem doppelten Zweck entspräche, ein hübsches Ding für das Zimmer und ein bequemes und angenehmes für seinen Besitzer zu sein. Und wie Roberto Luigi eine Weile gelesen hatte - er wußte nicht, war er durch die Verse so erregt, durch diesen singenden Fluß ineinandergleitender Ottaverimen, oder lag eine unerträgliche elektrische Spannung in der Luft, die ihn so unruhig machte -, da blickte er zufällig vom Buch zum Fenster hinaus und sah, daß über ihm, wie ein Fledermausflügel, eine schwere, schwarze Nacht hing, in der auch nichts mehr zu unterscheiden war. Die dunkle Wolke, die vor einer Stunde noch ganz unbeweglich war und nicht größer, nicht kleiner wurde, war plötzlich da oben wie ein See aus ihren Ufern getreten und hatte mit ihren Fluten von chinesischer Tusche den ganzen Himmel oben, so weit er reicht, überschwemmt und in vollste Finsternis begraben. Aber merkwürdig genug, ganz unten am Horizont schienen in Abständen von halben Minuten, schnell wie Schlangen, Eisenbahnzüge entlangzugleiten, die alle in allen Fenstern erleuchtet waren, sie fuhren nach Bergamo und Brescia, nach Mailand und nach Pavia, zehn Züge zugleich immer wieder auftauchend in einer wilden Hast. Das hatte Roberto Luigi noch nie von hier aus gesehen, sooft er auch des Nachts aus dem Fenster geblickt hatte. Manchmal warf einer von seiner Ecke aus wie ein Notsignal einen hellen, zuckenden Feuerschein über den Himmel fort. Und auch das Dröhnen der Züge begann man jetzt deutlich zu hören; die Erde brummte und bebte nur so davon.

Plötzlich jedoch, wie Roberto Luigi sich noch überlegte, was das für ein Wettfahren der Züge unten und hinten und rechts und links eigentlich wäre, kam eine Windwucht, eine heiße Welle von unten aus dem Lande herauf, daß durch den ganzen Park ein einziges Knarren und Schreien der gequälten Bäume ging. Im gleichen Augenblick schon riß der Himmel auseinander und brannte über und über hinter dem gespaltenen Wolkenvorhang, und alle Bäume im Garten duckten, bis in das Herz erschrocken, ihre Köpfe in dem grellen Licht dreier Sekunden. Und dann riß der Himmel wieder links und rechts und oben zugleich in schwefligen Fetzen auseinander, und zugleich prasselte auch eine Regenwucht hernieder - man hatte sie einen Augenblick oben in der Luft vorher sausen gehört, mit dem Ton zerplatzender Schrapnells, den Roberto Luigi gut kannte -, eine Regenwucht prasselte dann nicht wie von Gießkannen, sondern als ob der Himmel da oben selbst tausend Feuerspritzen aufgefahren hätte, um seine Brände allein zu löschen. Aber auch der Himmel mit seinen tausend Feuerspritzen war machtlos dagegen, und je mehr er hineinschüttete, desto wilder schossen nur die Funkengarben hervor und zerrissen brüllend die Wolken. Wenn ein Donnerschlag noch nicht vertobt war, überschrie ihn schon der andere von drüben her. Und wenn der schon schwächer wurde (und ein dritter begann), hörte man immer noch das Echo des ersten hinter sich aus den Bergen nachgrollen. Aufruhr gab's da oben! Revolution! Kein kleiner Putsch etwa, nein, ein richtiges 1790: die Aristokraten an die Laterne ... an die Laterne! Laterne!! Laterne!!! Und immer noch war es drückend, glühend heiß, es war Atem eines Hochofens um Roberto Luigi, trotz der stürzenden Regenmassen. Der Gesang des Inferno, den er eben gelesen hatte, war mit dreihundert Versen in die Wirklichkeit gesprungen. Aber wie Roberto Luigi den Kopf etwas drehte, da durchzuckte es ihn weit mehr als alle Blitze da draußen, denn er war nicht mehr allein. Modesta Zamboni stand neben ihm und griff angstvoll nach seinen Schultern, um sich an ihn zu klammern: »Signor, o Signor«, sagte Modesta ganz leise und sehr verschüchtert, »ich habe Lionella wecken wollen ... sie hört nicht ... Es ist also doch zu etwas gut, wenn man taub ist.« Sie hatte ihr Haar schon halb geöffnet, nur noch einmal wieder hochgesteckt, aber trotzdem hing es noch über eine weiße, ärmellose seidene Jacke - ein peitschender Roßschweif von Schwarz. Und die Schultern, Brust und Arme, rosig und lichtbraun, waren breit und bloß und von der Unerhörtheit jener Antike, die der Archäologe verachtet, weil in ihr alle Sinnlichkeit Form geworden ist und weil sie seine Begriffe sprengt, aber die ihn bis in seine tiefsten Träume verfolgt und der er immer, wie zur Strafe, weil er sie lästerte, hoffnungslos und unerwidert verfallen ist. »Oh, ich habe Angst, Signor Inglese ... alle Toten kommen wieder, Mario und Casandrino ... Liebster, wir dürfen kein Licht brennen. Sie werden uns finden und mit Blitzen erschlagen ...«

Wirklich, Modesta war wie von Sinnen und ihre Augen voller Tränen. Und draußen brüllten Regen und Wind und Donner, als ob sie sich stritten, wer den längeren Atem hätte, immerzu, immerzu. Und die Blitze zischten dazwischen: lauter, viel lauter, noch lauter! Wirklich, es war schon ein Unwetter, wie es der Norden nicht kannte, von einer fast tropischen Wut. Und man begriff, warum in diesem Lande der Blitz das Machtsymbol des Höchsten der Götter einmal werden konnte, gewaltiger noch als der der Erde und des Meeres mit seinen Wellentürmen, ja als die Sonne, die tötende und lebenspendende, als Nacht und Tag, die Zeit, die Weisheit und die große Mutter Fruchtbarkeit. - >Casandrino? Ein Vetter, eine Jugendliebe? Wer kann es wissen?< schoß es durch den Kopf Roberto Luigis. Und dann standen beide eng aneinandergepreßt im Dunkeln, das nur alle zehn, zwanzig Sekunden von dem blauen Licht der Blitze augenschmerzend zerrissen wurde. Und alles, was Luigi in vier Wochen an Beteuerungen und...

Dateiformat: ePUB
Kopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)

Systemvoraussetzungen:

  • Computer (Windows; MacOS X; Linux): Verwenden Sie eine Lese-Software, die das Dateiformat ePUB verarbeiten kann: z.B. Adobe Digital Editions oder FBReader – beide kostenlos (siehe E-Book Hilfe).
  • Tablet/Smartphone (Android; iOS): Installieren Sie die App Adobe Digital Editions oder eine andere Leseapp für E-Books, z.B. PocketBook (siehe E-Book Hilfe).
  • E-Book-Reader: Bookeen, Kobo, Pocketbook, Sony, Tolino u.v.a.m. (nicht Kindle)

Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an.
Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann. 

Weitere Informationen finden Sie in unserer  E-Book Hilfe.