Abbildung von: Kubinke - e-artnow

Kubinke

Georg Hermann(Autor*in)
e-artnow (Verlag)
1. Auflage
Erschienen am 12. Mai 2023
218 Seiten
E-Book
ePUB mit Wasserzeichen-DRM
4066339509085 (EAN)
0,99 €inkl. 7% MwSt.
Systemvoraussetzungen
für ePUB mit Wasserzeichen-DRM
E-Book Einzellizenz
Als Download verfügbar
In 'Kubinke' hat der Autor den einfachen Arbeiter als tragische Figur dargestellt. In seinem Scheitern gleicht er Falladas 'Kleinem Mann', in der Höhe seines Falles Döblins 'Franz Biberkopf'. In diesem Roman kommt Emil Kubinke als Friseurgeselle aus der Provinz in die wachsende Großstadt. Kubinke ist schüchtern und naiv, aber voller Tatendrang. Aber er ist nicht an das Leben in der Großstadt angepasst, und so fällt es ihm schwer, mit großen Problemen umzugehen.

Georg Hermann (Georg Hermann Borchardt) (1871 - 1943) war ein deutscher Schriftsteller und ein jüdisches Opfer des Holocaust. Er war im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts ein vielgelesener Schriftsteller. Sein literarisches Vorbild war Theodor Fontane, was ihm auch die Bezeichnung 'jüdischer Fontane' eintrug. Die Romane 'Jettchen Gebert' und 'Henriette Jacoby', die im Berlin der Jahre 1839/40 spielen und ein Bild des liberalen Geistes dieser Zeit in einer jüdischen Familie zeichnen, waren seinerzeit Bestseller und konnten zusammen mehr als 260 Auflagen aufweisen. Georg Hermann war 1909 Mitgründer und 1910-1913 erster Vorsitzender des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller, dem bald fast alle prominenten Schriftsteller deutscher Sprache beitraten.
Sprache
Deutsch
Dateigröße
0,56 MB
EAN
4066339509085
Schweitzer Klassifikation
DNB DDC Sachgruppen
BISAC Klassifikation
Warengruppensystematik 2.0

Hedwig


Inhaltsverzeichnis

Jeder wird mir - denke ich - nun zugeben, daß der erste April ein Schicksalstag ist, ein Tag, der Fäden knüpft und löst, Menschen bindet und trennt. Emil Kubinke trat seine neue Stellung an, und die drei Grazien Hedwig, Emma und Pauline lachten ihm entgegen und begannen, Blumen auf seinen Lebensweg zu streuen.

Und auch Herr Max Löwenberg fand am ersten April zum erstenmal den Weg hier hinaus, und er wechselte Grüße mit Herrn Ziedorn. Vornehmes Viertel, in dem selbst Friseure Zylinder tragen. In der Neuen Roßstraße hatte er das nie gesehen. Der >gemütliche Schlesier< aber war keine Stunde bevor der neue Vizewirt, Herr Piesecke, in Erscheinung trat, bevor er sich aus dem unendlichen Menschengewirr der Großstadt ablöste, um hier Fuß zu fassen, den Laubenkolonien nachgezogen. So waren sich zwei Männer aus dem Wege gegangen, die sicherlich dazu bestimmt gewesen wären, innige Freunde zu werden. Und doch hatte es der schicksalsschwangere erste April wie absichtlich vermieden, sie zusammenzuführen. Mit Rat und Tat hätte Herr Piesecke dem >gemütlichen Schlesier< zur Seite stehen können, denn er war selbst früher einmal Wirt am Wedding gewesen, bekannt drei Straßen in der Runde. Jetzt oder nie hätten sie sich finden müssen. Und nun sah Piesecke nichts von dem >gemütlichen Schlesier< mehr als die schmutzigen Scheiben, die Flecke an den Wänden, die anderen Residuen und die achtzehn leeren Flaschen, die Piesecke sorgfältig, eine nach der anderen, gegen das Licht hielt.

Aber was der erste April schlecht gemacht hat, das wird der zweite nicht gutmachen, denn der ist eben kein Schicksalstag mehr. Der ist einfach ein Tag wie alle Tage, ein Tag der gleichförmigen Arbeit, ein Tag der Mühe, des Erwerbs; und vielleicht birgt er auch etwas von jenem Tropfen von Lust, den nun einmal der müdeste Strom noch mit sich führt. Aber das, was am ersten April leicht, Spiel und Freude war, wird am zweiten wieder Qual und Beruf. Und als Emil Kubinke aufwachte, da lag erst so eine frühe, trübe, mattblaue Helligkeit über dem schrägen Fenster, aber Herr Tesch stand schon in dem grauen Raum mit entblößtem Oberkörper vor seinem Waschständer und beugte plantschend seinen Kopf über die Schüssel. Emil Kubinke jedoch kam es plötzlich zu Bewußtsein, daß er diese Nacht über hier oben unter dem Dach doch recht gefroren hatte.

»Na nu mal raus aus de Posen, Kolleje!« rief Herr Tesch. »Es is höchste Zeit. Der Olle macht Ihnen sonst Krach!«

Und Emil Kubinke kroch fröstelnd aus dem Bett. Ach, gestern war ihm alles hier so freundlich entgegengekommen, und heute war es so grau und trist.

Als sie die Treppen herunterstolperten, kamen ihnen in der Dämmerung die Zeitungsfrauen und die Milchausträgerinnen entgegen, nicht frisch und derb und rot, sondern welk und keuchend. Und auf dem Hofe wirbelte schon Frau Pieseckes Besen. Frau Ziedorn ballerte immer noch Türen und stellte den jungen Leuten den Kaffee hin, so wie man einem Hund das Futter vorschiebt. Aber Herrn Ziedorns scharf geschnittener Männerkopf war zu interessanter Blässe vergeistigt. Und kaum daß Emil Kubinke die Schrippe halb aufgegessen, da ging auch schon die Schelle an der Ladentür. Und Emil Kubinke wischte sich mit den immer noch klammen Fingern die Krümel vom Mund und ging vor, bedienen. Aber die Kunden jetzt am Morgen hatten keine Zylinder und keine Brillantringe und keine breit gesteppten Paletots, und sie sagten ganz tief »Mahlzeit«, wenn sie eintraten, und noch tiefer »Mahlzeit«, wenn sie gingen. Und sie ließen sich nur einmal überrasieren, legten keinen Wert auf Pudern oder Spritzen, wuschen sich schnell noch den Seifenschaum von den Ohren und den Schläfen ab und machten, daß sie weiterkamen, auf den Bau oder ins Geschäft, zu ihren Packen, Wagen und Dreirädern. Und Herr Ziedorn schwang selbst das Messer. Hier hieß es nämlich die Kunden schnell abfertigen - denn, wenn sie einmal warten mußten, kamen sie nicht wieder, - das wußte er. Und Herr Ziedorn hatte, wie wir schon sahen, kein Vorurteil. Jeder war ihm gleich, der ihm Geld brachte, arm oder reich. - Verdienen wurde bei ihm groß geschrieben. Leben und leben lassen - war sein Wahlspruch. In Wahrheit aber kam es ihm mehr aufs Leben, als aufs Lebenlassen an. Plötzlich gegen acht Uhr jedoch schien dieser eine Strom versiegt. Nicht ein einziger mehr mit Mütze, im Sporthemd, ohne Kragen, in blauem Leinenkittel! Und schon kam langsam wieder der erste Zylinder, langsam der erste englische Hut, die ersten blitzenden Brillantringe, während jetzt Emil Kubinke seinen Autoschal um den Hals warf, seine Messer noch einmal prüfte und seinen Gang zur Kundschaft begann. Die merkwürdige Zaubermacht des Autoschals bewährte sich auch dieses Mal: Emil Kubinke war ein ganz anderer, als er ihn um die Schultern fühlte, und da zudem soeben die Sonne durch einen grauen Himmel brach und die Straße hell, farbig und lustig machte, so begann Emil Kubinke wieder mit den schönsten Trillern, während er die Hausglocke zog, um Herrn Max Löwenberg seine Aufwartung zu machen.

Aber Emil Kubinke hatte noch nicht zwei Schritte auf dem roten Teppich des Vestibüls zurückgelegt, als aus der Luke der Portierloge ein Kopf herausschoß wie ein bläffender Hofhund aus seiner Hundehütte: »Wo wollen Se'n hin?«

»Löwenberg«, sagte Emil Kubinke bescheiden.

»Denn jehn Se ma jefälligst über de Hintertreppe! Det war ja det Neuste, wenn mit eenmal de Babiere über de Vordertreppe jehn wollten! Det wird ja alle Tage schöner! Und 'n andermal jehn Se durch 'n Nebeneinjang, - hab'n Se mich verstanden?«

Und wie Emil Kubinke schon auf der Hintertreppe war, da brüllte der neue Vizewirt, Herr Piesecke, immer noch hinter ihm her.

Man möge deswegen nicht schlecht von Herrn Piesecke denken. Er war, wie wir noch sehen werden, von Hause her ein ganz gemütlicher Mann. Aber er war nun zu lange schon Vizewirt in vornehmen Häusern gewesen, um nicht in Harnisch zu geraten, wenn jemand die Vordertreppe benutzen wollte, den er für die Hintertreppe reif hielt.

Emil Kubinke war nicht stolz, und er legte kein sonderliches Gewicht auf Vordertreppe oder Hintertreppe. Aber er war doch im Augenblick verwirrt, daß sein neuer Autoschal so gar keine Wirkung auf Herrn Piesecke ausübte. Dann jedoch dachte er, daß er vielleicht in der Küche einen Augenblick unbemerkt mit Pauline sprechen könnte. Und Pauline gefiel ihm nun mal durch ihre Vornehmheit am allerbesten. Und als Emil Kubinke jetzt klingelte, da war es nicht vom Treppensteigen, daß ihm das Herz klopfte. Aber heute war nun einmal keineswegs mehr der erste April, und als Emil Kubinke sein freundlichstes Lächeln aufsetzte, um schon damit Paulines harten Sinn zu erweichen, da blickte er mit einmal in ein altes, gelbes, kleines, runzliges Gesicht einer großen, stockdürren Person, sah ein paar verschleierte Augen und eine rote Himmelfahrtsnase, und eine Stimme im reinsten Ostpreußisch, wie das Quarren einer rostigen Türangel fragte ganz hoch: »Äh, was wollen Se denn, junger Mann?«

»Ich bin der Barbier.«

»Da missen Se noch lauern; der jnädige Herr sitzt jrade in de Badewanne«, sagte die Köchin und ließ Emil Kubinke in die Küche eintreten, die in ihrer Unordnung nicht viel anders als gestern abend ausschaute. Dann ging die Köchin selbst zur Badestube und hieb mit ihren harten Fäusten gegen die Tür.

»Kommen Se raus, Herr Löwenberch, der Barbier is da.«

Und drinnen brüllte etwas: »Warten!«

Hinten aber am Ende des Korridors steckte Pauline ihren rotblonden Kopf durch eine Türspalte. Und patsch, patsch kam es auf ganz kleinen Füßen den Korridor entlang gewackelt. Und eine Frauenstimme rief: »Aber unser Goldhänschen soll doch nicht immer zu der Anna in die Küche gehen!«

Das Goldhänschen jedoch ließ sich nicht beirren und machte, daß es weiterkam, nahm in der Küche mit seinen O-Beinen vor Emil Kubinke Aufstellung, steckte den einen Finger in die Nase und sagte: »Mann - Mann.« Denn trotzdem Goldhänschen - es war schwarz wie ein Rabe - bald zwei Jahre alt war, verfügte es doch über einen sehr geringen Wortschatz, den es aber dadurch zu vergrößern strebte, daß es alles zweimal sagte. Und eine alte Dame kam Goldhänschen nachgestürzt, riß es mit der Gewalt eines Wirbelwindes vom Boden hoch, küßte Goldhänschen auf sämtliche Backen, wo sie gerade hintraf, und knudelte es herum wie ein Bündel Wäsche, während sie zwischendurch in der halbblödsinnigen Art der Großmütter mit lallender Stimme behauptete, daß sie hier aber auch alle zu dem Kind schlecht wären.

Und Herr Löwenberg ging im Bademantel, wie ein Araber mit flatterndem Burnus, den Korridor entlang. Und als Herr Löwenberg dann vorn im romanischen Herrenzimmer fest auf dem Schreibtischstuhl saß, den Kopf im Genick, als er ganz unter Seifenschaum stand und sich nicht wehren konnte, da kam die alte Dame, die immer noch Goldhänschen auf ihrem Arm einer Massagekur unterwarf, und erzählte, wie himmlisch der Junge gestern wieder bei ihr gewesen wäre. Als das >Leisch< auf den Tisch gekommen wäre, hätte er ganz deutlich >Leisch< gesagt, und von allem hätte er haben wollen. Diese frühe geistige und körperliche Reife aber erinnere sie zu sehr an ihre Tochter Betty, der er ja auch wie aus dem Gesicht geschnitten sei. Denn die hätte auch einmal, als sie noch ganz, ganz klein war, mit fünf Monaten bei ihrer eigenen Schwiegermutter - die nebenbei ein Aas war - als sie dazukam, mit bei Tisch gesessen und frische Wurst gegessen. Man denke: mit fünf Monaten! - Und nicht wahr, Goldhänschen würde das auch fertig bekommen?

Aber Herr Löwenberg, der gerade...

Dateiformat: ePUB
Kopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)

Systemvoraussetzungen:

  • Computer (Windows; MacOS X; Linux): Verwenden Sie eine Lese-Software, die das Dateiformat ePUB verarbeiten kann: z.B. Adobe Digital Editions oder FBReader – beide kostenlos (siehe E-Book Hilfe).
  • Tablet/Smartphone (Android; iOS): Installieren Sie die App Adobe Digital Editions oder eine andere Leseapp für E-Books, z.B. PocketBook (siehe E-Book Hilfe).
  • E-Book-Reader: Bookeen, Kobo, Pocketbook, Sony, Tolino u.v.a.m. (nicht Kindle)

Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an.
Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann. 

Weitere Informationen finden Sie in unserer  E-Book Hilfe.