Abbildung von: Die Kette - e-artnow

Die Kette

Georg Hermann(Autor*in)
e-artnow (Verlag)
1. Auflage
Erschienen am 12. Mai 2023
1330 Seiten
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4066339509061 (EAN)
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Die Kette, 1917-1934 (fünfbändige Darstellung jüdischen Lebens des Deutschland von 1899-1923). Georg Herrmann erzählt das Leben und Schicksal seines gleichgesinnten Kollegen Fritz Eisner. Beide sind erfolgreiche Schriftsteller, Angehörige der gebildeten Gesellschaft und prominente Persönlichkeiten im Berlin des frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Eisner wird von seinen eigenen persönlichen Problemen überwältigt. Aus dem Buch: 'Der Mann, der in ihr Leben getreten war, hatte die ersten drei Jahrzehnte oder richtiger die ersten zweidreiviertel Jahrzehnte seines Lebens damit verbracht, es zu nichts zu bringen. Er konnte kaum sich selbst erhalten, geschweige denn hatte er die Aussicht, noch einen oder mehrere Passagiere jemals auf seinen Lebenskahn mitnehmen zu können. Er hieß nebenbei: Fritz Eisner. Fritz Eisner hatte nach einer ziemlich nutzlos und beschränkt angewandten Jugend einige Jahre mit fast noch geringerem Erfolg Kaufmann gespielt, dann auf der Universität ein paar bescheidene Löcher sich in den dicken Mantel seiner Unbildung gerissen, ein paar Bücher geschrieben, die ihm nichts eingebracht als unendlichen Ärger mit der näheren und weiteren Familie, und die dem Verleger noch außerdem Unkosten bereitet hatten.'

Georg Hermann (Georg Hermann Borchardt) (1871 - 1943) war ein deutscher Schriftsteller und ein jüdisches Opfer des Holocaust. Er war im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts ein vielgelesener Schriftsteller. Sein literarisches Vorbild war Theodor Fontane, was ihm auch die Bezeichnung 'jüdischer Fontane' eintrug. Die Romane 'Jettchen Gebert' und 'Henriette Jacoby', die im Berlin der Jahre 1839/40 spielen und ein Bild des liberalen Geistes dieser Zeit in einer jüdischen Familie zeichnen, waren seinerzeit Bestseller und konnten zusammen mehr als 260 Auflagen aufweisen. Georg Hermann war 1909 Mitgründer und 1910-1913 erster Vorsitzender des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller, dem bald fast alle prominenten Schriftsteller deutscher Sprache beitraten.
Sprache
Deutsch
Dateigröße
2,03 MB
EAN
4066339509061
Schweitzer Klassifikation
DNB DDC Sachgruppen
Warengruppensystematik 2.0

Kapitel III


Inhaltsverzeichnis

Fritz Eisner war aber nun gerade der Meinung, daß es nötig wäre, daß er sich über einen Maler ausführlich vernehmen ließe, über den sich zu äußern damals noch nicht so die Pflicht eines jeden Kunstschreibers war, wie sie das heute ist. Überhaupt muß daran erinnert werden, daß Anno ehedem in Berlin die Kunst noch keineswegs so Mode war wie in unseren Zeiten, wo an jeder Ecke eine Ausstellung einer anderen Richtung ist und täglich dreimal an jeder Straßenbahnhaltestelle eine Versteigerung stattfindet. Trotzdem fühlte man sich ohne Kunst damals in Berlin wohler als heute mit ihr. Denn die Kunst war in Berlin zur Zeit noch durchaus keine Sache, die sich aufdrängte, sondern ein stilles, bescheidenes Blümchen war sie, das man suchen mußte, ein Reservat eines kleinen Hümpels von Menschen, die sich untereinander kannten, und die sich überall dort wiedertrafen, wo die Kunst in Berlin ihre paar Schlupfwinkel hatte. Die anderen Menschen ignorierten die Kunst völlig, hatten eine berechtigte Verachtung für sie und kamen nur in Harnisch, wenn sie sich etwa erfrechte, nicht das »Edle und Schöne« darzustellen, um das sie sich sonst den Teufel scherten, von dem sie auch nur sehr unklare Vorstellungen hatten, das sie aber zu diesem Behuf in Erbpacht genommen hatten.

Fritz Eisner hatte also beschlossen, über diesen Maler, den die Erbpächter des »Edlen und Schönen« noch ganz besonders in Verruf erklärt hatten, sich vernehmen zu lassen, nicht nur, weil er empfand, daß in diesem noch viel angefeindeten Manne einer der stärksten Maler der Gegenwart steckte, sondern auch ferner, weil er eingesehen hatte, daß Verlobtsein zwar ein äußerst angenehmer, aber auf die Dauer kein ausreichender Beruf sei. Und endlich, um den Leuten jetzt gerade zu zeigen, was er könne. Und außerdem war er überzeugt, daß die Menschheit auf ihn und diese seine Arbeit ganz besonders warte.

Er hatte sich also wider seine Art früh erhoben und diesen Mann aufgesucht. Der hatte ihn sehr freundlich empfangen, Bilder gezeigt, ihm Rede und Antwort gestanden - denn ein Künstler ist stets freundlich, wenn jemand über ihn schreiben will, und es mag der bescheidenste Anfänger sein. (Kleinvieh, sagt er sich, macht auch Mist.) Und durch diese Freundlichkeit irregeleitet, hatte Fritz Eisner sich bewogen gefühlt, dem Maler einen Einblick in seine persönlichen Verhältnisse zu gewähren und ihm strahlend zu erzählen, daß er sich versprochen, ja mehr als das: verlobt hätte. Und er war nun der Meinung gewesen, daß der andere sein Entzücken über diese Tatsache teilen würde. Aber der hatte ihm nur erzählt, wie er sich seinerzeit verlobt hatte. Der erste, dem er es gesagt hätte, wäre Menzel gewesen, aus der Promenade in Kissingen. Die kleine Exzellenz hätte wütend geknurrt, sich umgedreht und ihn ganz verdutzt stehen lassen. Darob enttäuscht, wäre er nach München gefahren und hätte von seinem Glück gleich brühwarm an Lenbach berichtet. »Zu solchen Sachen pflege ich nach zehn Jahren zu gratulieren,« hätte Lenbach gesagt. Sonst nichts. Und er, der Sprecher, hätte, durch Erfahrung gewitzigt, sich hierin jetzt Lenbachs Manier zueigengemacht.

Fritz Eisner beschloß bei sich, doch in der Würdigung des Malers - der Gerechtigkeit wegen! - eine gewisse Gemütskühle, die sich auch in der Tongebung seiner Bilder deutlich aussprach, nicht zu vergessen.

Und Fritz Eisner hatte sich weiter die Linden herunter in die schönen, still-feierlichen Räume des Kupferstichkabinetts begeben, um sich mit dem graphischen Werk seines Opfers noch mehr vertraut zu machen, das dort, in Mappen wohl verwahrt, in Schränken gut verschlossen, seiner harrte.

Dort aber saß an dem Pult der Assistent. Mit mächtigem, hängendem Schnauzbart unter einer gebogenen, amüsant beweglichen, großen und schmalen Nase. Kahl geschoren, mit dem kleinen Schädel auf dem großen Körper; ein Raunzer, ewig hilfsbereit dabei, unermüdlich für alle, die in irgendeinem Eckchen des großen Gebietes der von ihm betreuten Sammlungen etwas suchten; ein sarkastischer Herr, berühmt wegen seiner witzigen Grobheit.

Und da Fritz Eisner mit ihm gut stand, so konnte er sich nicht beherrschen, den anderen - gelegentlich einer Anfrage - von der letzten und neuesten Wandlung seines Zivilstandes in Kenntnis zu setzen. Wie gesagt, es war ganz still im Saal, der ziemlich voll war. Es war wie immer Kirchenstimmung. Und warum sollte das nicht sein, wo junge Adepten die Blätter Schongauers, Dürers, Rembrandts und Goyas zum erstenmal mit klopfendem Herzen in der Hand halten durften? Man flüsterte nur, wandte Blätter, trat verzückt einen Schritt zurück. Selbst die Diener, uralt und freundlich, bewegten sich in Moderatissimo und schoben die auf Gummirädern leise gleitenden Wägelchen mit Mappen und Werken langsam und feierlich durch den langem Raum.

Aber der Herr am Pult da oben liebte es, diese Stimmung hm und wieder zu zerreißen. »Zum Donnerwetter!« brüllte er wie ein Waldesel, daß es von einem Ende des Raumes zum anderen dröhnte, und sah über die Gläser seines Kneifers von seinem erhöhten Sitz auf den armen Fritz Eisner, halb zornig, halb mit tiefem Mitleid, herunter. »Zum Donnerwetter, junger Mann, überlassen Sie derartige Dummheiten doch uns alten Eseln!«

Die Adepten aber blickten mit tiefem Mißmut nach Fritz Eisner, der durch offen verkündete Dummheiten ihre Andacht störte, so daß der es vorzog, alsbald ziemlich vertattert sich zu empfehlen.

Aber da es für seinen Zug noch zu früh war, so beschloß er vorerst noch einmal einen ihm wohlgesinnten Herrn, Kunstfreund, Sammler und Kunstschriftsteller aufzusuchen, der ihn gern bevaterte und mit seinen Kenntnissen und Büchern unterstützte, um bei ihm den neuen Monet zu betrachten und an seinen wohlgemeinten Glückwünschen sich von den Schicksalsschlägen des Vormittags zu erholen.

Er hätte es nicht tun sollen. Denn der Herr, der es liebte, Leuten den Kopf zurechtzusetzen, es sozusagen bei seinen jüngeren Freunden und Bekannten, die er unter seine Fittiche genommen hatte, beruflich betrieb, putzte - er war auch gerade ein wenig nervös, denn er hatte selbst etwas auf den Tag abzuliefern, und so etwas macht nervös - putzte Fritz Eisner herunter, als ob er silberne Löffel gestohlen hätte, als dieser ihm so nebenbei und hintenrum mit der Neuigkeit kam.

Hatte der vorher nur von einer Dummheit gesprochen, so erklärte er es für einen glatten Wahnsinn, der seine Existenz, sein Künstlertum, seine Entwicklung, alles zunichte mache und ihm Sorgen aufbürde, denen er nicht gewachsen sei.

Das einzig Schmeichelhafte für Fritz Eisner war, daß der andere auf Goethe exemplifizierte, der sicher nicht Goethe geworden wäre, wenn er in einem so lächerlichen Alter wie Fritz Eisner daran gedacht hätte, sich für sein Leben zu binden.

Und ehe Fritz Eisner es sich versah, stand er mit ein paar Zigarren in der Hand, die ihm von dem etwas cholerischen Herrn gleichsam als Trostpreis schnell zugesteckt worden waren, wieder vor der Türe.

Und als Fritz Eisner nun langsam durch die sonnige Straße zwischen Kindern, die Murmeln spielten und Kreisel schlugen und Himmel und Hölle sprangen - denn dadurch macht sich in Berlin der Frühling bemerkbar - zum Bahnhof schob, hatte er genugsam Muße, darüber nachzugrübeln, warum kluge ältere Männer doch ganz anders über manche Dinge dächten als die zunächst Beteiligten.

Der Zug war ziemlich überfüllt, und im Abteil war ein wenig Familienstimmung. Der schöne Tag - viel hatte es noch nicht davon gegeben - hatte die Menschen mitteilsam gemacht.

Fritz Eisner saß einem jungen Mädchen gegenüber, irgendeinem schlichten, blonden, lachenden Ding, das reichlich mit den Augen nach ihm blitzte und ihrer Nachbarin mit dem Marktkorb - auch einer Bekanntschaft von eben - in lauter Absichtlichkeit erzählte, daß sie heute einen freien Tag habe, nach Schlachtensee führe und sich Kaffeekuchen schon mitgenommen hätte. »Na und das andere,« meinte die Nachbarin mit dem Marktkorb und mit einem ermunternden Blick auf Fritz Eisner, »wird sich auch noch finden.«

Und der Zug brauste und ratterte an grauen Hinterhäusern vorüber, fuhr über Brücken mit Gepolter, daß unten in den Straßen die Kutscher ihre Pferde fest an die Kandare nehmen mußten, damit sie nicht hochgingen, tippte sich wie lichtblind in dem Schatten einer breiten Senkung hin, ließ Gasometer und qualmende Schornsteine hinter sich und begrüßte über Möbelwagen und Stätteplätze fort mit freudigem Gewieher Felder und Äcker, auf denen sich die Wintersaat hob, und über denen sich das weite Halbrund des Himmels wölbte ... eines blauen Himmels, zu dessen Höhen, wie Stufen einer Riesentreppe, ein Dutzend weißer Wolken vom Horizont emporführte - jede über der anderen, jede alleinstehend und für sich, und jede unten scharf und schnurgerade wie mit einem Messer abgeschnitten. In der Stadt vergißt man so leicht, daß der Himmel ein Ganzes ist und seine Launen hat: schöne, rosige, lächelnde, wilde, stürmische, graue, melancholische, lockere, lichte, dunkel-sinnliche wie Blutwellen und nachtschwarze; daß er Lieder trällern kann und in Orgelfugen dröhnen.

Und dann kamen Vororte mit kleinen Häuschen, grauen, altmodischen Bauten, einzelstehend, von hastiger, gelber Sonne beschienen, zwischen Bäumen, die noch kahl waren, aber doch schon ganz leicht grünlich überflogen, und von denen allerhand Kätzchen im Luftzug des vorübersausenden Zuges pendelten; Gärten, wo Leute den schwarzen Boden umgruben oder mit Kennerblick den lichtgrünen Kegel eines Stachelbeerbusches betrachteten, als wollten sie seine paar Blättchen...

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