Abbildung von: Grenadier Wordelmann - e-artnow

Grenadier Wordelmann

Historischer Roman
Georg Hermann(Autor*in)
e-artnow (Verlag)
1. Auflage
Erschienen am 13. Mai 2023
274 Seiten
E-Book
ePUB mit Wasserzeichen-DRM
4066339509092 (EAN)
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Die Handlung spielt 1780 im brandenburgischen Wust. Der Bauer Schmitzdorff hatte im Siebenjährigen Krieg als Grenadier gedient und als er wieder zurückkehrte, nahm er sich eine Frau, die bereits drei Töchter hatte. Nachdem seine Frau verstorben ist, möchte er seine Stieftochter Sophie heiraten und da der Ortspfarrer dies verweigert hat, will er den König von Potsdam persönlich um Erlaubnis bitten. Froh gestimmt macht er sich auf den Weg, findet aber keine Möglichkeit ins Schloss vorgelassen zu werden und erfährt dann, dass der König auch gar nicht da wäre. So kehrt er im Wirtshaus 'Zur Patronentasche' ein, wo des Königs Grenadiere ihre Freizeit verbringen.

Georg Hermann (Georg Hermann Borchardt) (1871 - 1943) war ein deutscher Schriftsteller und ein jüdisches Opfer des Holocaust. Er war im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts ein vielgelesener Schriftsteller. Sein literarisches Vorbild war Theodor Fontane, was ihm auch die Bezeichnung 'jüdischer Fontane' eintrug. Die Romane 'Jettchen Gebert' und 'Henriette Jacoby', die im Berlin der Jahre 1839/40 spielen und ein Bild des liberalen Geistes dieser Zeit in einer jüdischen Familie zeichnen, waren seinerzeit Bestseller und konnten zusammen mehr als 260 Auflagen aufweisen. Georg Hermann war 1909 Mitgründer und 1910-1913 erster Vorsitzender des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller, dem bald fast alle prominenten Schriftsteller deutscher Sprache beitraten.
Sprache
Deutsch
Dateigröße
0,58 MB
EAN
4066339509092
Schweitzer Klassifikation
DNB DDC Sachgruppen
Warengruppensystematik 2.0

Kapitel II


Inhaltsverzeichnis

Langsam, je mehr Schmitzdorff sich von der Stadt entfernte und deren Ausstrahlungen ihm immer weniger spürbar wurden und je weiter die wenigen noch in die Landschaft eingestreuten Häuser und die Wanderer, die es weniger eilig hatten, ans Ziel zu kommen, und die Soldaten, die bei Trommeln und Querflöten in kleineren Trupps und größeren Abteilungen ausrückten (denn jetzt ging es auf die großen Manöver schon zu, und es gab scharfen Dienst) je mehr all das hinter ihm zurückblieb und je selbstsicherer Himmel und Wasser, Wälder und Felder wurden - Heidekraut, Ginster und magere Birken, die bunten Flecken von Hauchhechel, Thymian, gelbem Mauerpfeffer und rotem Ampfer im weißen Sand, über denen ganze Wölkchen blauer Falter spielten, so viele waren es -, je höher Schilf und Quecken auf den Sumpfwiesen sich aufreckten, je kümmerlicher die Dörfer und die einzelnen Weiler wurden desto mehr fühlte sich Schmitzdorff in seiner Welt wieder.

Selbst die vielen Maulbeerplantagen und die Weinstöcke weit drüben an einem Hügelrand und die Obstgüter und die neue Art, hier die Äcker nicht jedes dritte Jahr brachliegen zu lassen, hatten ihn zuerst gestört. Das gehörte nicht hierher. Hatte keine Aussicht. Es war früher nicht gewesen, und es brauchte später auch nicht zu sein.

Aber solch ein schwelender Harzduft, der aus einem Kiefernwald, der von Hitze und Sonne ordentlich zerfressen war, auf die Landstraße herausschlug, der gehörte hierher. Und diese Lohe feuchter Eichenwälder, Jagen und Gestelle im Holzschlag, so lang und so schnurgerade und verwachsen, daß man hinten den hellen Fleck der Wiesen nach Nauen und Paretz herüber nur noch ahnen konnte das gehörte hierher. Und Sümpfe, die weglos waren, von den Wildschweinen schwarz zerwühlt, und über denen sich nur der Kiewitt in der Sonne jagte, das gehörte hierher. Große Wälder, in denen man sich verlaufen konnte, und stundenlange Feldwege, auf denen man keinem Menschen begegnete, bis man wieder zu einem andern kleinen Dorf von zwanzig Häusern kam das gehörte hierher. Die zitternde blaue Einsamkeit des Himmels über allem endlos nach allen Seiten ja, bei der fühlte man doch, daß es so immer gewesen war. Und der Fluß, so breit und so träge, blau oder grau und still und tückisch, wie ein Wegelagerer, mit Schilfgürteln, die weit in den Schlamm hinauswuchsen und so dicht waren, daß man kaum mit dem Kahn hinein konnte und die vielen Buchten ... und die runden Seen im Feld und die mitten im Wald, mit hineingestürzten Bäumen im Moorboden, die Seen, die kaum einen Namen hatten, oder deren alte Namen man schon lange wieder vergessen hatte das gehörte hierher! All das andere war ja doch nur aufgepfropft, wie eine Quitte auf den Weißdorn. Und wenn die Quitte einging, wuchs eben der Weißdorn wieder, als ob es nie solch ein Ding wie eine Quitte gegeben hätte.

Eines nach dem andern kam heran und blieb hinter Schmitzdorff zurück: Alt-Geltow und Phöben und Gollwitz und Großkreutz, Jeserig, Kolin und Plötzen. Schmitzdorff rastete kaum. Wie gut er noch trotz der Kugel im Schenkel vorwärts kam. Nur eine halbe Stunde verschlief er in der Mittagshitze in einem Eichenwäldchen. Und im Krug von Gollwitz, bei Knochenmuß - denn das war sein bester Freund, und da konnte er doch nicht so vorübergehen -, aß er eine Scheibe Pökelfleisch aus der Tonne und einen Teller Hechtsuppe. Denn Knochenmus hatte gerade in der Nacht einen kleinen See abgefischt, um den sich lange Zeit niemand bekümmert hatte. Und der eigentlich auch keinem gehörte. Nämlich dem Fiskus.

»Na, alter Schmitzdorff«, meinte Knochenmus, nachdem er die erste Freude ob seines unerwarteten Gastes nur mühsam, aber wortreich unterdruckt hatte, während er ihm ein schales Dünnbier vorsetzte (das gab's in Potsdam nun wieder nicht, dachte Schmitzdorff). »Menschenskind, wozu jehste eigentlich in deinem besten Sonntagsstaat auf die Walze? Du bist wohl wieder auf Freiersfüßen, Christian? Ich verstehe das: Na ja, du brauchst doch 'ne Frau. Wat brauchst du denn immer alleine ins Bett zu liegen? Nicht wa? Und wenn du deine Ökonomie versorgst, muß einer in' Krug sein. Und wenn du wieder in' Krug bist, muß eener nachs Vieh sehen können. Und die Sophie wird doch nu auch nich mehr ewig bei dir bleiben. (Früher war das was anderes. Nicht wa?) Ich habe so etwas gehört von dem Karle Winkelmann. Na - wenn er ihr noch mit des Kind, das doch nicht von ihm ist (nicht wa?), will des wäre ja doch sehr schön. Zieht sie sich denn schon lange mit dem 'rum?«

Wirklich, Hermann Knochenmus war der treuste Freund von Schmitzdorff vom Militär her. Und in all den Jahren war er nie an Schmitzdorffs Krug vorübergegangen. Und er hatte auch jetzt die Hand auf Schmitzdorffs Schulter und sprach sehr warm und biedermännisch in ihn hinein. Aber aus Schmitzdorff bekam er nichts heraus: »Soso«, sagte der nur, »den Karle Winkelmann! Na, das habe ich mir lange schon so gedacht!«

Aber Schmitzdorff hätte Hermann Knochenmus auch nicht viel Neues sagen können, denn was da in Wust passiert war, und daß der Schulze Lier ihn hatte kommen lassen und daß der Gendarm die Sophie samt ihrem Bankert mit Schimpf und Schande von ihm fort und zu ihrer Schwester, der Krüger, gebracht hatte, wußte er schon mit allen Einzelheiten seit gestern abend um sechs. Er sah jedoch gar nicht ein, der Hermann Knochenmus, wozu er sich das anmerken lassen sollte.

Schmitzdorff aber stand hastig auf und entschuldigte sich, daß er weiter müsse. Er wäre nur in einer Erbschaft etwas über Land gewesen und wollte nicht so spät heute wieder heimkommen. Er wußte genau, daß der andere es ihm ebensowenig glaubte, wie er auch nur ein Wort von dem geglaubt hatte, was jener gesagt hatte. Immerhin hatte es ihn doch erschreckt, daß alles schon bis hierhin durchgesickert war.

Eigentlich fürchtete er sich vor dem Heimgehen, dem Nachhausekommen, und das verzögerte manchmal seinen Schritt. Denn in so ein ganz stilles Haus treten, in dem keine Seele ist, wenn man die Tür aufschließt - nur der Hund, den er an die Kette gelegt hat, wird draußen auf dem Hof in seiner Hütte winseln (vielleicht hat ihm keiner Futter gegeben seit gestern nacht, aber er hatte ihm ja noch genug Kleie und Knochen in den Holznapf geschüttet, doch damit würde er gewiß längst fertig geworden sein) -, ja, und in dem sonst alles leer und dunkel ist, so etwas ist sehr häßlich und tief bedrückend. Wenn das lange Zeit so ginge, würde er verkaufen und abhauen, irgendwohin, ganz gleich, vielleicht bis nach Amerika zu den wilden Hindianern. Ihm wäre das doch hier vergällt. Wenn er allein bliebe, hielte er, Christian Friedrich Schmitzdorff, den Krug nicht weiter. Gerade für einen Krug findet man schon immer einen Käufer. Wirt will jeder Bauer gern werden. Weil er denkt, er muß dann den Fusel und das Dünnbier nicht bezahlen, das er trinkt. Richtig: Er braucht nicht immer in den Sack dabei zu greifen. Aber schenken tut es ihm auch niemand.

Und doch trieb es ihn stets doppelt hastig weiter, wenn er ein Stück gezögert hatte, an Weidenwegen vorbei und durch Erlenbrüche und halbverwachsene Feldwege, die abkürzten, der sinkenden roten Sonne nach, um noch ja vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause zu sein. Denn er hatte eine schmerzhafte Sehnsucht nach Sophie; und wie es ihr ergangen war ob sich die Menschen in Wust sehr die Mäuler zerrissen ob der Fischer Krüger, sein Schwiegersohn, sie auch nicht etwa schlecht behandelte (Dann nehme ich sie gleich fort von ihm. Komme, was mag!) Es schien ihm, als ob er Sophie überhaupt seit vier Jahren nicht mehr gesehen hätte. Und nach dem Kind vielleicht hatte ihm überhaupt sein Malwinchen noch mehr gefehlt die ganzen sechsunddreißig Stunden lang!

Vorher hatte er's vielleicht gar nicht in den letzten Jahren so gemerkt, daß die Sophie und das Kind immer bei ihm und in ihm da war. Aber nun, da sie's nicht mehr war, war an dieser Stelle, wo sie beide gewesen, eine große und beklemmende und unerträgliche Leere nur. So muß einem Operierten zumute sein, dem sie ein wichtiges Organ herausgenommen haben. Vorher hat er oftmals gewiß gar nicht gewußt, daß er es besaß, ist sich gar nicht des Vorhandenseins bewußt gewesen. Aber jetzt, von jetzt an, wird er nie mehr vergessen, daß er es nicht besitzt. Und das Nichtmehrsein wird ihn ständig begleiten.

Rechts weit drüben stand, wie aus schwarzem Papier geschnitten, die Stadt Brandenburg mit massiven Toren und Türmen im rotsprühenden Himmel. Und hinten zwischen den weiten Wiesen und den silbernen Kropfweiden mit zerplatztem Holz duckten sich schon die schmalen Häuserreihen von Wust in das Abendrot hinein. Und drüben, dahinter, leuchteten wieder weite, nelkenfarbene und kupferrote und blau von Reflexen des Zenits durchspielte Wasserflächen, vor denen im Abendwind das grüne Schilf wogte.

Deutlich erkannte Schmitzdorff schon sein Haus. Es war mitten drin. Rechts von dem dicken, kurzen Kirchenturm von Wust, der mehr zu einer Burg als zu einer Kirche zu gehören schien, hatte es als einziges ein Ziegeldach. Wenigstens zur einen Hälfte. Hinten nach den angebauten Stallungen war es wie die andern nur Dachstroh, vergrünt und mit dicken Polstern von Hauslaub, das bald wieder seine Blütenstiele, wie Fleisch so fett und rosig, aus den Blattpolstern heben würde. Es sollte das Haus schützen, wie das Hufeisen an der Schwelle, und seinem Besitzer Glück bringen. Bisher hatte er nicht viel davon gemerkt. Ja doch ! Er hatte schon viel und großes Glück gehabt in diesem Haus. Da unten, in sich drin, wußte er es besser.

Auf der Dorfstraße spielten nur ein paar verspätete Kinder, die auf einem Brettchen, das sie singend nachzogen, eine tote Ratte beerdigten. Und ein...

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