Abbildung von: Kosmos - Kampa Verlag

Kosmos

Witold Gombrowicz(Autor*in)
Kampa Verlag
1. Auflage
Erschienen am 25. Mai 2023
256 Seiten
E-Book
ePUB mit Wasserzeichen-DRM
978-3-311-70414-0 (ISBN)
18,99 €inkl. 7% MwSt.
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»Ich bezeichne dieses Werk gern als >Roman über die Erschaffung von Wirklichkeit<. Und da der Kriminalroman genau das ist - nämlich der Versuch, das Chaos zu organisieren -, hat auch Kosmos ein wenig die Form des Kriminalromans«, so Gombrowicz über seinen letzten Roman. Doch natürlich ist Kosmos kein klassischer Krimi. Witold, der junge Erzähler, und Fuks, Büroangestellter, beide aus Warschau, brauchen dringend Erholung, der eine von seiner Familie und von seinen anstrengenden Studien, der andere von seinem schrecklichen Chef. Aber die Ferienidylle in den Karpaten ist bald getrübt. Es beginnt mit einem Spatzen, mit einem Spatzen an einem Draht: einem erhängten Spatzen. Seltsam, aber vermutlich bedeutet das gar nichts. Allerdings folgen ein erhängtes Hähnchen, auch eine Katze muss dran glauben und schließlich . Witold und Fuks versuchen die Geschehnisse zu enträtseln - aber werden sie Erfolg haben? Oder wird die überbordende »Wirklichkeit« sie verschlingen?
Ein aberwitziger Roman, durchsetzt mit reichlich Nonsens und verdrehten Aphorismen, über die Suche nach Sinn in einer kontingenten Welt, die Grenzen des freien Willens, das klapprige Konstrukt des menschlichen Geistes, über Paranoia, Irrsinn und das Nichts. Das wohl schwärzeste und vielschichtigste Buch des Existenzialisten Witold Gombrowicz.
»Durchtrieben, komisch, fesselnd.« Neil Gordon / The New York Times
Übersetzung
Sprache
Deutsch
Dateigröße
Dateigröße: 0,58 MB
Schlagworte
ISBN-13
978-3-311-70414-0 (9783311704140)
Schweitzer Klassifikation
Thema Klassifikation
DNB DDC Sachgruppen
BISAC Klassifikation
Warengruppensystematik 2.0

Kosmos


I


Ich werde ein anderes, wunderlicheres Abenteuer er- zählen .

Schweiß, Fuks geht, ich hinter ihm, Hosenbeine, Absätze, Sand, wir schleppen und schleppen uns, Erde, Wagenfurchen, Schollen, Funkeln von glasigen Steinchen, Gleißen, Hitze, summt, flimmernde Glut, es ist schwarz vor Sonne, Häuschen, Zäune, Felder, Wälder, dieser Weg, dieser Marsch, woher, wie - eine lange Geschichte, um ehrlich zu sein, hatte ich Vater und Mutter satt, überhaupt die Familie, im Übrigen wollte ich wenigstens eines der Examen hinter mich bringen und auch einmal Abwechslung haben, frei von allem, irgendwo weit weg sein. Ich bin nach Zakopane gefahren, gehe durch die Krupówki, überlege mir, wie ich eine billige Pension finde, und begegne Fuks, eine rothaarige, glupschäugige Fresse, zu Blond verschossen, apathiegeschmierter Blick, aber er war erfreut, auch ich war erfreut, wie geht es dir, was machst du hier, ich suche ein Zimmer, ich auch, ich habe eine Adresse - sagte er - von einem kleinen Landsitz, wo es auch billiger ist, weil weiter draußen, fast schon auf dem platten Lande. Wir gehen also, Hosenbeine, Absätze im Sand, Weg und Hitze, ich schaue nach unten, Erde und Sand, Steinchen funkeln, eins, zwei, eins, zwei, Hosenbeine, Absätze, Schweiß, Schlafsucht in von der Bahnfahrt unausgeschlafenen Augen, und nichts außer diesem unterwertigen Dahinschreiten. Er blieb stehen.

»Wollen wir Rast machen?«

»Ist's noch weit?«

»Nein.«

Ich schaute mich um und sah, was zu sehen war und was zu sehen ich keine Lust hatte, weil ich es so oft schon gesehen hatte: Kiefern und Zäune, Fichten und Häuschen, Unkräuter und Gras, ein Graben, Fußpfade und Beete, Felder und ein Schornstein . Luft . und es glänzte von Sonne, aber schwarz, Schwärze der Bäume, Grauheit der Erde, bodennahes Grün der Pflanzen, alles ziemlich schwarz. Ein Hund bellte, Fuks bog ins Gebüsch ein.

»Kühler.«

»Gehn wir.«

»Gleich. Man könnte sich ein wenig hinsetzen.«

Er drang etwas tiefer in die Sträucher ein, wo Nischen sich öffneten, Vertiefungen, verdunkelt von oben verflochtenen Haseln und Fichtenästen, ich tauchte den Blick in das Gewirr von Blättern, Zweigen, Lichtflecken, Verdichtungen, gähnenden Löchern, Verklemmungen, Schrägen, Neigungen, Rundungen, weiß der Teufel, in einen fleckigen Raum, der angriff und zurückwich, anschwoll und weiß ich was, beiseitedrängte, sich auftat . verloren und schweißüberströmt fühlte ich schwarze und nackte Erde - von unten. Dort zwischen den Zweigen steckte etwas - etwas Absonderliches und Fremdes, wenn auch Undeutliches ragte dort . und dies betrachtete auch mein Kumpan.

»Ein Spatz.«

»Aha.«

Es war ein Spatz. Der Spatz hing an einem Draht. Aufgehängt. Mit zur Seite geneigtem Köpfchen und aufgesperrtem Schnäbelchen. Er baumelte an einem Stück dünnen Drahtes, an einen Ast gehängt.

Sonderbar. Ein gehängter Vogel. Ein gehängter Spatz. Diese Exzentrizität schrie hier mit lauter Stimme und deutete auf eine menschliche Hand, die sich ins Dickicht gedrängt hatte - aber wer? Wer hatte gehängt, wozu, was konnte der Anlass gewesen sein? . dachte ich in dem Gewirr, in diesem üppigen Aufwuchern von Millionen Kombinationen, und die rüttelnde Bahnfahrt, die polternde Nacht im Zuge, die Unausgeschlafenheit, die Luft, die Sonne, der Marsch hierher mit diesem Fuks, und Jasia, die Mutter, das Theater mit dem Brief, mein »Einfrosten« des Alten, Julius, übrigens auch Fuksens Ärger mit dem Chef im Büro (von dem er erzählt hatte), die Wagenfurchen, Schollen, Absätze, Hosenbeine, Steinchen, Blätter, alles überhaupt kam plötzlich auf diesen Spatzen zugestürzt wie eine Menschenmenge auf den Knien, und er hatte den Thron bestiegen, der Exzentriker . und thronte in seinem Winkel.

»Wer mag ihn gehängt haben?«

»Irgendein Kind.«

»Nein. Das ist zu hoch.«

»Gehn wir.«

Doch er rührte sich nicht. Der Spatz hing. Die Erde war nackt, doch stellenweise von kurzem, spärlichem Gras überzogen, vielerlei Dinge lagen hier herum, ein Stück verbogenen Blechs, ein Stäbchen, ein zweites Stäbchen, zerrissene Pappe, ein Hölzchen, auch ein Käfer war da, eine Ameise, eine zweite Ameise, ein unbekannter Wurm, ein Holzscheit und so weiter und weiter, bis zu dem Gestrüpp an den Wurzeln der Sträucher - er betrachtete das, wie ich auch. - Gehn wir. - Aber noch stand er da, schaute, der Spatz hing, ich stand, schaute. - Gehn wir. - Gehn wir. - Doch wir rührten uns nicht, vielleicht deshalb, weil wir schon zu lange hier standen und den geeigneten Moment zum Fortgehen verpasst hatten . und jetzt wurde das schon gewichtiger, unhandlicher . wir mit diesem Spatz, der im Gebüsch aufgehängt war . und mir schwante etwas von gestörten Proportionen oder Taktlosigkeit, Ungehörigkeit unsererseits . ich war schläfrig .

»Nun los, weiter!«, sagte ich, und wir gingen davon . ließen den Spatzen im Gebüsch hinter uns, allein.

Und weiteres Marschieren auf dem Wege, unter der Sonne, verbrühte uns, langweilte uns, nach einigen Schritten blieben wir erschöpft stehen, unzufrieden, und wieder fragte ich »noch weit?«, aber Fuks zeigte mit dem Finger auf ein Täfelchen, das an einem Zaun hing, und erwiderte: »Hier sind auch Zimmer zu vermieten.« Ich sah hin. Ein Gärtchen. Ein Haus im Gärtchen, hinter dem Zaun, schmucklos, ohne Balkone, armselig und langweilig, Sparbauweise, mit einer dürftigen Veranda vor dem Eingang, sperrig, aus Holz, nach Zakopaner Art, mit zwei Fensterreihen, Parterre und erster Stock zu je fünf Fenstern, und was das Gärtchen betrifft, ein paar zwerghafte Bäumchen, einige Stiefmütterchen, die auf den Beeten siechten, ein paar bekieste Fußwege. Doch er meinte, man müsste sich's ansehen, was könne es schaden, manchmal treffe man in solch einer Bude auf ein Fressen zum Fingerlecken, und vielleicht sei es billig. Ich war auch bereit hineinzugehen, obgleich wir vorher an mehreren solcher Täfelchen vorbeigegangen waren, ohne sie zu beachten - aber es triefte von mir. Eine Gluthitze. Er öffnete das Pförtchen, und wir gingen über den Kiesweg auf die blinkenden Scheiben zu. Er drückte auf den Klingelknopf, wir warteten eine Weile auf der Veranda, und die Tür ging auf, es erschien eine nicht mehr junge Frau um die vierzig, etwas wie eine Wirtschafterin, mollig, mit Busen.

»Wir würden gern die Zimmer sehen.«

»Einen Augenblick, ich werde gleich die Dame des Hauses bitten.«

Wir warteten auf der Veranda, ich hatte im Kopf das Gepolter des Zuges, die Reise, die Ereignisse des Vortages, Gewimmel, heißen Dunst, Rauschen. Eine Kaskade, ein betäubendes Rauschen. Was mich bei dieser Frau stutzig machte, war eine sonderbare Verunstaltung des Mundes in diesem biederen Hausfrauengesicht mit hellen Äuglein - ihr Mund war an einer Seite wie angeschnitten, und diese Verlängerung, um eine Winzigkeit, um einen Millimeter, verursachte eine Verzerrung der Oberlippe, eine fortspringende oder ausgleitende, beinahe wie ein Kriechtier, - diese entschlüpfende Schlüpfrigkeit am Rande aber widerte mit schlangenhafter, froschartiger Kälte an und hatte mich dennoch auf der Stelle erwärmt und entbrannt, als der dunkle Durchgang nämlich, der zur geschlechtlichen Sünde mit ihr führte, zur schlüpfrigen und schleimigen Sünde. Und mich wunderte ihre Stimme - denn ich war gefasst auf was weiß ich für eine Stimme aus solchem Munde, doch da ließ sie sich vernehmen wie eine gewöhnliche Wirtschafterin, eine ältliche, beleibte. Jetzt hörte ich sie im Haus: »Tante! Es sind Herren wegen eines Zimmers gekommen!«

Diese Tante, die nach einer Weile herausgerollt kam auf kurzen Beinchen wie auf einem Nudelholz, war rund - und wir tauschten einige Sätze, ja, gewiss, es ist ein Zweibettzimmer da mit Pension, die Herren gestatten! Es roch nach gemahlenem Kaffee, ein kleiner Korridor, ein kleiner Flur, eine Holztreppe, die Herren kommen auf lange, ah, Studien, bei uns ist Ruhe, Stille . oben wieder ein Korridor, einige Türen, das Haus war eng. Sie öffnete die Tür zum letzten Zimmer im Korridor, das ich mit einem Blick umfasste, denn es war düster wie alle Mietzimmer, mit herabgelassenem Rouleau, zwei Betten und einem Schrank, mit einem Garderobenaufhänger, einer Karaffe auf einem Tablett, zwei Lampen ohne Glühbirnen an den Betten, einem Spiegel in einem verschmutzten, hässlichen Rahmen. Ein wenig Sonne von hinter dem Rouleau hatte sich an einer Stelle auf den Fußboden gesetzt, und Efeugeruch mit dem Gesumm eines Brummers drang her. Nur dass . und es geschah doch etwas Unerwartetes, denn eins der Betten war belegt, und auf ihm lag jemand, eine Frau, und es hätte sogar scheinen können, ihr Liegen dort käme etwas ungelegen, obwohl ich nicht wusste, woran diese, sagen wir Absonderlichkeit, lag - ob nun daran, dass das Bett ohne Bezug war, lediglich mit einer Matratze - oder dass ihr Bein, das zum Teil auf dem eisernen Gitter des Bettes lag (da sich die Matratze etwas verschoben hatte), dass die Verbindung von Bein und Metall mich an diesem heißen, summenden, ermüdenden Tage überraschte. Schlief sie? Als sie uns sah, setzte sie sich auf dem Bett auf und brachte ihr Haar in Ordnung.

»Lena, was tust du, Schätzchen? So etwas! Die Herren gestatten, meine Tochter.«

Sie nickte als Antwort auf unsere Verbeugungen, stand auf und ging...

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