Dieser Band zur "Kultur- und Kreativwirtschaft in Stadt und Region" wendet sich an Stadtentwickler, Wirtschaftsförderer, Kulturfachleute und alle, die an dem Thema interessiert sind. Er greift prägnant und differenziert die vielfältigen Facetten der Kultur- und Kreativwirtschaft für unterschiedliche Stadttypen und Regionen auf. Dargestellt werden die Strukturmerkmale dieser erst in den letzten drei Jahrzehnten (wieder) entdeckten Querschnittsbranche und ihre gegenwärtigen bzw. zukünftigen Potenziale vor dem Hintergrund der sich auf allen gesellschaftlichen Ebenen verändernden Rahmenbedingungen. Zahlreiche Praxisbeispiele geben Hinweise, was die unterschiedlichen Akteursgruppen in den Groß-, Mittel- und Kleinstädten sowie Regionen tun können, um diese Wirtschaftsbranche im Rahmen einer Stadtentwicklungs-, Wirtschafts- und Kulturpolitik zu stärken, welche kommunalen und regionalen Strategien hilfreich sind und welche Instrumente dafür zur Verfügung stehen.
Die Autoren Dr. Friedrich Gnad, Dipl. Ing./Stadtplaner NW Ralf Ebert (Gründer des Planungs- und Beratungsbüros STADTart in Dortmund) und Prof. Dr. Klaus R. Kunzmann, ehemals Fakultät Raumplanung der TU Dortmund, haben in vielen Studien bzw. Projekten in Städten und Regionen langjährige Erfahrungen zum Themen- und Handlungsfeld der Kultur- und Kreativwirtschaft gesammelt.
1 Kultur- und Kreativwirtschaft: Ein Handlungsfeld für Städte und Regionen
Vor 25 Jahren war nicht abzusehen, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland, in den Ländern Europas bzw. auf der Ebene der EU und auch weltweit ein politisch relevantes und heute sehr ausdifferenziertes Handlungsfeld werden könnte. Eine der ersten Studien in Deutschland beschäftigte sich vor dem Hintergrund der hohen Arbeitslosigkeit im Ruhrgebiet Ende der 1980er mit den Beschäftigungswirkungen kulturbezogener erwerbswirtschaftlicher Betriebe, selbstständiger Künstler bzw. anderer Kulturschaffender. Heute werden die Diskussionen von Fragen u. a. zur Entwicklung »Kreativer Räume«, zu Clustern der Kultur- und Kreativwirtschaft in Städten und Regionen und zu Spill-Over-Effekten für andere Branchen dominiert. Dementsprechend sind auch Analysen, Strategien und Ansätze zur Stärkung der Kultur- und Kreativwirtschaft im Spannungsfeld von Raumentwicklungs-, Wirtschafts- und Kulturpolitik immer komplexer geworden.
Für zahlreiche Auftraggeber, für interessierte Akteure in Städten und Regionen sowie für Studierende ist die Vielschichtigkeit des Themenfeldes und der unterschiedlichen Perspektiven, aus denen heraus Entwicklungsansätze und Strategien entwickelt werden können, aber vielfach eine nicht leicht zu bewältigende Herausforderung. Der vorliegende Band »Kultur- und Kreativwirtschaft in Stadt und Region« in der Edition Kreativwirtschaft will dieser Gruppe an Leser/innen den Einstieg in das Themen- und Handlungsfeld dadurch erleichtern, in dem wir von Städten und Regionen ausgehen. Vor dem Hintergrund der langjährigen Erfahrungen der Autoren konzentrieren wir uns auf Ansätze und Strategien im Spannungsfeld von Raumentwicklungs-, Wirtschaftsförderungs- und Kulturpolitik mit dem Ziel, die Entwicklungsbedingungen der Branche zu verbessern.
In erster Linie richtet sich das Lehr- und Studienbuch an diejenigen, die in Stadtplanungsämtern und bei der Wirtschaftsförderung tätig sind und den Auftrag haben, sich dort um die Entwicklung der Kultur- und Kreativwirtschaft zu kümmern. Es wendet sich zudem an Beratungsunternehmen, die von Städten beauftragt werden, in diesem Handlungsfeld Analysen durchzuführen und strategische Empfehlungen zu erarbeiten, wie diese Branche auf der Basis endogener und exogener Potentiale, zukünftiger Entwicklungen und Anforderungen vor Ort unterstützt werden kann. Der Band richtet sich darüber hinaus an diejenigen, die in der Kulturpolitik tätig sind und sich um die lokale und regionale Kulturpolitiken Gedanken machen und darum kämpfen müssen, die finanziellen Grundlagen für den öffentlich geförderten und zivilgesellschaftlich organisierten Kultursektor nachhaltig oder auch nur projektbezogen zu sichern. Aus unserer Sicht können auch sie Nutzen aus diesem Band ziehen, da beide Sektoren personell und institutionell in einigen Teilmärkten der Kultur- und Kreativwirtschaft miteinander vernetzt sind. Kulturpolitik ist daher oftmals auch Kulturwirtschaftspolitik, wenn es zum Beispiel darum geht, Projekte oder Produktionen selbstständiger Künstler/innen zu unterstützen.
Warum ist die Kultur- und Kreativwirtschaft für Stadt- und Regionalplaner, für die Wirtschaftsförderung, für die Kulturverwaltung einer Stadt oder einer Region wichtig? Es hat vieler Diskussionen und Studien bedurft, bis sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass »Kunst und Kultur« vielfach auch Wirtschaftsgüter sind, die zudem zu wirtschaftlichen Innovationen und Entwicklungen anderer Branchen beitragen können. Die Bedeutung der Kultur für den Arbeitsmarkt, die wirtschaftliche Entwicklung etc. war vor allem in Deutschland lange Zeit vergessen oder verdrängt, weil Politik, Kulturverwaltungen sowie Nutzer und Besucher von Kunst- und Kultureinrichtungen über viele Jahrzehnte gewohnt waren, dass Kunst und Kultur eine öffentliche Aufgabe ist und weite Teile der Kulturproduktionen daher vom öffentlichen Sektor zu geringen Zugangskosten bereitgestellt werden müssen. Die international einmalige und bewunderte Dichte der deutschen Theater- und Musiklandschaften ist dafür ein immer wieder genanntes Beispiel. Zu der Trennung von Kultur und Wirtschaft beigetragen hat eine speziell in Deutschland geführte Debatte über die »Kulturindustrie«. Dieser von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer verwendete Begriff der »Frankfurter Schule« kritisiert jedoch weniger die privatwirtschaftliche Trägerschaft in der Kultur als vielmehr den antiaufklärerischen Einsatz insbesondere von Film und Hörfunk durch autoritäre Regime unter fordistisch-industriellen Produktionsbedingungen.
Die bis in die 1990er Jahre verbreitete Meinung, dass der öffentliche Sektor einziger Akteur im breiten Feld der Kultur ist, änderte sich in Deutschland erst mit der Ausdifferenzierung der Gesellschaft, die sich in einer größeren Breite an kulturellen Interessen und Szenen niedergeschlagen hat. Die u. a. aufgrund der Babyboomer der 1950er und 1960er Jahre auch in quantitativer Hinsicht größere kulturelle Nachfrage schlug sich nach 1975 auch in einer Zunahme an erwerbswirtschaftlichen und von kulturellen Szenen getragenen Produktions- und Veranstaltungsanbietern nieder. Dies erfolgte im Umfeld eines kulturpolitischen Paradigmenwechsels (»Kultur für alle«) in dessen Kontext dann von zivilgesellschaftlichen Akteuren im Laufe der Jahre bundesweit etwa zahlreiche neue »Soziokulturellen Zentren« entstanden sind. Heute ist es Besuchern von Kulturveranstaltungen weitgehend gleichgültig bzw. es ist ihnen auch meist nicht bekannt, wer der jeweilige Träger ist, sei es der öffentliche bzw. der erwerbswirtschaftlich orientierte Kultursektor, d. h. also Anbieter der Kultur- und Kreativwirtschaft, oder der sogenannte intermediäre bzw. zivilgesellschaftliche Kultursektor (z. B. ein Musikclub mit einem Verein als Träger) oder ob die Trägerschaft in Kooperation mit allen drei Kultursektoren erfolgt.
Doch wie ist die häufig als diffus wahrgenommene Branche der Kulturwirtschaft, die inzwischen als »Kultur- und Kreativwirtschaft« bezeichnet wird, überhaupt zu fassen? Wie ist sie zu definieren, abzugrenzen und zu erfassen? Welche Wirtschaftszweige zählen zur Kulturwirtschaft, welche zur Kreativwirtschaft und worin liegen die Unterschiede zwischen beiden Abgrenzungen? In den Anfängen der bundesdeutschen Diskussion in den 1990er Jahren zeigte sich, dass Betriebe, Selbstständige und Märkte mit Kulturbezug vielfach nicht so einfach wie andere Branchen zu identifizieren waren. Zu unterschiedlich waren die Perspektiven von Künstlern, Kulturpolitikern, Kulturwissenschaftlern oder Wirtschaftswissenschaftlern. Dies galt vor allem dann, wenn bei Diskussionen zur »Kulturwirtschaft« Akteure mit ökonomischer Perspektive auf Akteure mit gesellschafts- und kulturpolitischen Perspektiven trafen. Eine aus ökonomischer und gleichzeitig kultureller Perspektive zufriedenstellende Definition und Abgrenzung der Kulturwirtschaft war daher lange Zeit kaum denkbar. Dabei standen heute kaum nachvollziehbare Fragen im Raum: Wann ist Literatur nicht mehr Kultur oder Kunst? Wann sind Videoprodukte noch Kunst, wann nur noch Pornographie? Wann werden Designprodukte zu Kitsch und fallen dann aus dem gängigen bürgerlichen kulturellen Wertekanon heraus? Haben Rockkonzerte eine kulturelle Bedeutung oder sind die zahlreichen Formen der Popularkultur nur Geschäft? Solche Diskussionen waren, wie in manch ähnlich gelagerten Handlungsfeldern, etwa dem Sport, oft von der Angst vor der Ökonomisierung geprägt.
Doch über die Jahre änderten sich die Einstellungen vieler Kulturpolitiker zum erwerbswirtschaftlich organisierten Kultursektor, zumal sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass zum Beispiel alle selbstständigen Künstler/innen und Künstler zugleich zur Kulturwirtschaft zählen. Manche Aufregungen haben sich auch deshalb gelegt, weil auch deutlich geworden ist, dass nicht wenige Geschäftsfelder der Kultur- und Kreativwirtschaft schon seit Jahrzehnten erwerbswirtschaftlich organisiert sind wie etwa der Musikinstrumentenbau, der Buchhandel, Kunstgalerien oder auch Ballettschulen. Problematisch bleibt jedoch aus der Perspektive mancher Kulturakteure weiterhin die pragmatische branchenbezogene Definition der Kulturwirtschaft, die kulturbezogene Produkte und Dienstleistungen nicht nach ihrem kulturellen Wert beurteilt.
Der erwerbswirtschaftlich organisierte Kultursektor, die »Kulturwirtschaft« bzw. heute die Kultur- und Kreativwirtschaft ist eine Wirtschaftsbranche, die sich aus zahlreichen produktions- und dienstleistungsbezogenen Wirtschaftszweigen mit Kulturbezug zusammensetzt. Daher wird sie manchmal auch als »Querschnittsbranche« bezeichnet, die zum Beispiel mit der ebenfalls sich aus sehr unterschiedlichen Wirtschaftszweigen zusammensetzenden Freizeitwirtschaft vergleichbar...