»Du sollst mich nicht immer schlagen! Was habe ich dir überhaupt getan?« klang eine zornige Kinderstimme über die weiten Rasenplätze des Parkes bis zur Terrasse hin, auf der vier Menschen geruhsam saßen und nun aufhorchten.
Jetzt wurde eine scheltende Frauenstimme hörbar: »Was du getan hast, danach fragst du frecher Bengel? Staub wirbelst du auf bei dem Gejage mit dem dämlichen Hund und verdirbst mir damit meine Garderobe!«
»Mein Hund ist nicht dämlich, und ich bin kein frecher Bengel, sondern der Erbherr von Haßlingen. Und wenn du mich noch einmal schlägst, dann schlage ich dir mit der Gerte ins Gesicht!«
Ein wütendes Frauenlachen, dann war es still.
Die Dame, die mit drei Herren auf der Terrasse saß, wandte sich nun an den jüngsten von ihnen.
»Da hörtest du einen der Zwischenfälle, wie sie hier an der Tagesordnung sind, Hasso. Wenn ich dir davon erzählte, wolltest du mir nie so richtig glauben. Eva ist die denkbar schlechteste Erzieherin, und wenn du dein einziges Kind immer weiter unter solch minderwertiger Obhut und Führung läßt, dann handelst du gewissenlos.«
Der Mann fuhr sich über das Haar und lachte kurz auf.
»Und möchtest du mir nicht sagen, wie ich da eine Änderung schaffen soll, Tante Käte? Du weißt ganz genau, wie viele Erzieherinnen wir in kurzer Zeit hier hatten. Ein Dutzend reicht wohl kaum. Es wird eben niemand mit dem schwierigen Kind fertig.«
Er sprang auf und durchmaß mit langen Schritten die Terrasse.
Er verfügte über eine blendende Erscheinung, der Graf Haßlingen; schlank und wundervoll gewachsen. Blondes, leicht gewelltes Haar umgab den schmalen Kopf, über dem rassigen Antlitz lag ein Zug von Hochmut, in den Augen von kaltem klarem Blau blitzte etwas wie Spott und Überlegenheit.
Alles in allem keine alltägliche Erscheinung. Kein Wunder, daß der Mann den Frauen nur zu gut gefiel - sie liebten und fürchteten ihn zugleich.
Und er?
Nun, er war durchaus kein Frauenfeind, obwohl er das zarte Geschlecht nicht besonders achtete - doch zum Zeitvertreib genügte es ihm.
Bei der Wahl seiner Gattin jedoch mußte er, als Oberhaupt eines alten erlauchten Geschlechts, sehr vorsichtig sein. Also wählte er aus dem Stab seiner Anbeterinnen eine Prinzessin, ehelichte sie und kam somit seiner Pflicht als Majoratsherr standesgemäß nach.
Allein, es wurde die ruhige, gleichmäßige Ehe nicht, die er sich mit der Frau versprach. Sie verfolgte ihn mit leidenschaftlicher Liebe und Eifersucht, was ihn zuerst ergötzte, dann störte und zuletzt anwiderte. Die Ehe wurde ihm zur Fessel, die der Tod dann löste, da die lebensgierige, vergnügungssüchtige Frau mit ihrer ungemein zarten Gesundheit Raubbau trieb. Die Folge davon war, daß ihr schwaches Herz eines Tages das unsinnige Gehetze nicht mehr mitmachte und nach dreijähriger Ehe seinen letzten Schlag tat.
Nun, das Verlöschen dieses unruhigen, leidenschaftlichen Lebens brachte keinem Herzeleid, es hinterließ keine Lücke. Selbst bei dem Kinde nicht, um das diese oberflächliche Mutter sich nie gekümmert hatte.
Das alles trug wahrlich nicht dazu bei, des Grafen Meinung über die Frauen zu verbessern.
Die einzige Frau, die er hoch achtete und für die er ein warmes Gefühl hegte, war die Schwester seines Vaters, die nun seinem Haus vorstand.
Sie war aber auch ein prächtiger Mensch, die Gräfin Skott, die vor einer Reihe von Jahren den Gatten durch den Tod verlor.
Mit ihren nahezu sechzig Jahren verfügte sie immer noch über eine blühende Gesundheit, ihre ganze Persönlichkeit atmete herzerquickende Frische. Die Gestalt war kräftig, das Gesicht zeigte rosige Farben, das Blondhaar durchzog noch kein grauer Faden; ihr Wesen war heiter, sachlich und resolut.
Jetzt rief sie lachend den Grafen an, der noch immer die Terrasse durchquerte: »Stopp ab, Hasso, sonst machst du uns mit dem Gerenne noch seekrank. Setz dich, zünde eine Zigarette an und tu in Worten kund, was dich bewegt.«
Er tat es, und während er rauchte, verlor sich der unmutige Zug in seinem Gesicht, es zeigte wieder den gewohnten hochmütigen, spöttischen Ausdruck.
Die anderen beiden Herren waren Professor Bender und Baron Eigenhorst.
Ersterer, ein vorzüglicher Arzt in der naheliegenden Stadt, durfte sich rühmen, ein gerngesehener Gast in dem exklusiven Hause zu sein. Denn Graf Haßlingen öffnete nicht jedem die Pforte seines feudalen Schlosses.
Aber auch in einem solchen kann es Eindringlinge mit dickem Fell geben - und zu diesen gehörte Baron Eigenhorst. Ein eitler Geck trotz seiner sechzig Jahre, der immer wieder einen Grund fand, seinen Nachbarn Haßlingen aufzusuchen, der wiederum zu höflich war, um den unangenehmen Gast einfach hinauszuwerfen.
Dieser alte Geck klemmte jetzt sein Monokel fester und lächelte süffisant.
»Warum sich denn mit Erzieherinnen herumplagen, Graf? Heiraten Sie wieder, und Ihr Sohn ist gut untergebracht.«
»Aber ich bitte Sie, Baron, warum sich denn mit Rosenketten fesseln?« kam es sarkastisch zurück. »Auch die können unbequem werden, und ich liebe nun einmal die Bequemlichkeit.«
»Recht hast du, mein Sohn«, bekräftigte die Tante. »Gebranntes Kind scheuts Feuer. Was wir hier brauchen, ist eine geeignete Erzieherin für das Kind. Wer uns dazu verhelfen könnte, den würde ich in Gold fassen.«
Jetzt lachte der Professor amüsiert auf. »Dann bitte sehr, Gräfin, ich bin nämlich in der glücklichen Lage, mit dem ersehnten Exemplar aufzuwarten.«
»Tatsächlich?« Sie sah ihn mißtrauisch an. »Mein lieber Freund, ich glaube nicht, daß so ein Wunderwesen die Erde birgt.«
»Wollen wir es darauf ankommen lassen?« neckte er.
»Ich bin begierig zu hören.«
»Und wie wird es mit der Goldfassung?«
»Erst die Ware, dann das Geld.«
»Na schön, gedulde ich mich«, blitzte es in seinen Augen humorvoll auf. »Wetten, daß.«
»Nicht abschweifen«, unterbrach sie ihn lachend. »Wer ist das Phänomen?«
*
»Phänomen.«, dehnte der Professor, »nun, ich weiß ja nicht. Es ist ein ganz natürliches Menschenkind, das ich empfehlen möchte, und zwar die Tochter meines besten Freundes, der leider vor zwei Jahren starb und somit seiner treuen Ehekameradin folgte, die ihm vorausgegangen war. Der Mann war ein feingeistiger Gelehrter, die Gattin eine schöne Frau voll Klugheit und Herzensgüte.
In dieser Atmosphäre wuchs das einzige Kind auf, gesund an Leib und Seele, von den Eltern gehütet und gehegt als kostbarstes Kleinod.«
»Also ein vergöttertes Töchterchen, das nach dem Tode des Vaters hilflos dastand«, warf die Gräfin trocken ein, er winkte aber lächelnd ab.
»Mitnichten, diese Tochter stand gewiß nicht hilflos da. Das Lernen fiel ihr nämlich so leicht und machte ihr solchen Spaß, daß sie mit Einverständnis der Eltern studierte und seit kurzem den Dr. phil. in der Tasche hat.«
»Halten Sie ein!« flehte die Gräfin. »Sie werden uns doch nicht so etwas antun und uns einen Blaustrumpf ins Haus bringen, Herr Professor? Gräßlich! Mit Männermanieren, Reformrock und schiefen Absätzen!«
»Aber, aber, Gräfin, so etwas lief mal früher herum und dürfte in unserer Zeit längst überholt sein. Trotz der Wissenschaft hat sich das Mädchen das echt Weibliche bewahrt. Es will ja auch erst dann davon Gebrauch machen, wenn es muß. Vorläufig jedoch zieht es eine Stellung in der Familie vor.«
»Na schön. Wie sieht sie denn aus?«
»Ja, Gräfin, für diese Schilderung bin ich zu sehr Partei. Jedenfalls ist sie blond.«
»Hörst du es, Hasso? Das können wir dir doch unmöglich antun, dir, dem Feind aller Blondheit.«
Der Graf steckte gerade eine Zigarette in Brand; die schweren Ringe an seiner Hand funkelten und blitzten. Das Feuerzeug klappte zu, und der Mann lächelte ironisch.
»Tantchen, du übertreibst. Ich liebe die Blonden nicht, das wissen wir alle. Aber so weit geht meine Antipathie denn doch nicht, daß sie sich bis auf die Erzieherin meines Sohnes erstreckt.«
Damit legte er sich tiefer in den Korbsessel zurück, während sich der Arzt mit feinem Lächeln an den Baron wandte.
»Ihnen dürfte die junge Dame nicht unbekannt sein - wenigstens ihr Name nicht. Er lautet nämlich Storten.«
Und dieser Name ließ den alten Geck hochfahren. »Storten sagten Sie, Herr Professor? Dann ist dieser Blaustrumpf doch nicht etwa.«
»Jawohl - sie ist's.«
»Herr Professor, welch eine Geschmacklosigkeit!« erregte sich das Männlein nun. »Gräfin, lassen Sie die Finger von dem Mädchen, ich rate Ihnen gut! Es ist nämlich die Tochter meiner Schwester, die verkörperte Spießbürgerlichkeit. Die paßt bestimmt nicht hierher.«
»Soviel ich weiß, kennen Sie die junge Dame gar nicht persönlich«, unterbrach ihn der Arzt scharf. »Demnach steht Ihnen ein Urteil gar nicht zu.«
»Ach was, kennen oder nicht!« ereiferte sich der Baron immer mehr. »Ich kenne ihren Vater - diesen - diesen.«
»Halt!« klang Benders Stimme schneidend scharf. »Wägen Sie Ihre Worte, Baron. Storten war mein Freund, und ich lasse meine Freunde nicht beleidigen. - Und Sie, mein Herr haben nicht das geringste Recht dazu - will ich meinen.«, dehnte er die letzten Worte, unter denen der andere zusammenzuckte wie unter einem Hieb. Man merkte, wie er sich gewaltsam bemühte, seiner Erregung Herr zu werden. Es herrschte ein peinliches Schweigen, das dann die scharfe Stimme Benders unterbrach: »Was werfen Sie Ihrem Schwager vor? Er war ein...