Einleitung.
Im Herzen Deutschlands liegt ein ausgedehntes Ländergebiet, das gesegnete Fluren, blühende Städte, mäandrische Flüsse, ein hohes höchst romantisches Waldgebirge umfasst und grosse, geschichtliche Erinnerungen bewahrt. Vor alten Zeiten war dieses Ländergebiet ein Königreich und hiess Thüringen. Sein Königthum versank im Fluthen des Zeitenstromes; das Land ward getheilt und zerrissen, es wurden vieler Herren Länder daraus, aber der alte Name blieb und lebt unaustilgbar fort.
Bevor wir mit fröhlicher Reiselust dieses Landes Gefilde und Marken durchziehen und kennen lernen, will es wohlgethan erscheinen, in rascher Uebersicht seiner Geschichte, seinem Umfang und seiner politischen Gestaltung verweilende Aufmerksamkeit zu schenken. Thüringens Urgeschichte umschleiert mythische Dämmerung, und nur die Sage tritt aus dem Frühnebel, als Fata Morgana ein Gefild abspiegelnd, das der Fuss des strebenden Wallers nie beschreitet. Wandernd und heerend wogen die Völker in drängenden Zügen von Berg zu Thal, vom Thal zum Gebirge; friedliche Ansiedler müssen weiter ziehen, und die in ihrer verlassenen Wohnstatt sich ruhig zu betten wähnten, drängt ein anderer überlegener Schwarm hinweg. Südwestlich vom grossen Harzwald, der silva hercynia der Römer, braust der Völkerstrom, bis er allmählig ruhiger wallt, und von den Heimath Suchenden feste Wohnsitze gewonnen und begründet werden. Als die Urbewohner des Thüringerlandes werden vor allen Katten und Hermunduren genannt, die einander oft in verderblichen Kämpfen befehdeten, namentlich um Salzquellen; aber auch Tyrigeten, Theuern-Gothen, Theruingen nennt die Geschichtforschung als erste Bewohner Thüringens und leitet den Landesnamen mannichfach, oft abenteuerlich ab. Alte Sagen blieben haften von der grossen Völkerwanderung; wie die Saxen, aus dem Osten gekommen, die Theuern-Gothen am deutschen Meeresufer besiegt und nach Süden hingedrängt, wie sie mit List jenen um schnödes Gold die Heimath-Erde abgetauscht, und sie dann über den Harz getrieben. Auch die Kunst des Bergbaues trugen Kundige der Sage nach später zuerst vom Harz nach dem Thüringer-Walde.
Im vierten Jahrhundert tritt Volk und Land der Thüringer schon gestalteter in den Gesichtskreis der Geschichtforschung; die germanischen Stämme sonderten sich mehr und mehr von einander, die Landesmarken wurden bestimmt und befestet, zu Trutz und Schutz vereinten sich die Nachbargaue, und zwischen Sachsen im Norden, Franken im Westen, Allemannen im Süden, und Slaven im Osten breitete sich der mächtige Stamm der Thüringer über ein sehr grosses Ländergebiet aus, in dessen Mitte sich ein Hochland voll undurchdringlicher Urwaldung erhob.
Die Grenzen dieses Landes umfassten gen Norden einen grossen Theil des Harzes, reichten von der Lahn bis zum Elbstrom, umschlossen östlich das ganze Osterland bis zur Elster wie das Voigtland, im Süden den ganzen Thüringer-Wald, den Grabfeldgau, das Flussgebiet der fränkischen Saale bis zum Main, wie das der Werra im Süden und Westen bis zur Weser - Hessen, Westerwald und Wetterau.
Der Culturzustand der frühesten Bewohner Thüringens war im Allgemeinen dem der übrigen germanischen Volksstämme gleich; im Besondern bedingte ihn die Beschaffenheit des Landes und der Wohnsitze. Kriegerische Nachbarn erheischten Wachsamkeit, Kampfgeübtheit und jene mannliche Tapferkeit und Todesverachtung, die selbst der stolze Römer dem Germanen anerkennend nachrühmen musste. Die fast ununterbrochen sich über das Land breitenden Waldungen machten den Anwohner zunächst zum Jäger, dessen Geschoss und Schlinge Ur und Wisand, Elenn- und Rennthier, Wolf, Bär und Luchs, nebst dem übrigen, noch jetzt in Thüringen heimischen Wild als willkommene Beute fiel, und Nahrung, Kleidung, Schmuck, selbst Waffe gewährte. Die Flüsse boten reichern Fischfang als die wenigen und nicht umfangreichen Seen; Metall wurde wohl mehr eingetauscht, als selbst gewonnen, und schwerlich erhob sich der Bergbau früher, als Viehzucht und Ackerbau sich auszubreiten begonnen hatten. Vom religiösen Cult der Thüringer, ihrem Priesterwesen und ihren Idolen lässt sich wenig mit Bestimmtheit nachweisen, obgleich frühere Gelehrte sich bestrebt haben, dem thüringischen Volksstamm neben dem allgemein verehrten Sachsengott Wuotan (Wodan, Odin) noch eine Menge Lokalgottheiten zuzueignen; dahin gehören Thor, Sater, (Krodo) Stuffo, Bil, Lara, Jecha, Ostara, Bachrod, Hulda, Püstrich und andere, deren Bildnisse Bonifacius grösstentheils zerstört haben soll. Von allen diesen lebt nur Hulda im Volksglauben bis heute fort; als der Krodoaltar wird noch ein hochalterthümliches Geräth zu Goslar gezeigt, wie das bekannte Püsterichbild zu Sondershausen. Die Uebrigen leben nur noch im Namensklang der Berge und Orte, wohin die Tradition ihre Haine und Bilder versetzte.
Als erster mythischer Beherrscher, (denn rein mythisch ist die Frühzeit dieses Landes und sagengeschichtlich ausgeprägt) des ausgedehnten Reiches Thüringen wird der Frankenkönig Chlodio oder Chlodowig genannt, der Erbauer jenes Dispargum, über das, wo es gelegen, die Forscher stritten und noch streiten, da viele Orte auf diese Ehre Anspruch machen. Einst badete im Meere Chlodio's Gemahel, da rauschte ein Meerwunder aus der dunkeln Tiefe herauf und trug Verlangen nach der Umarmung der schönen Königin, und sie gewährte, was sie nicht weigern konnte. Dieser Umarmung Frucht war Merovig, Thüringens zweiter König, der Gründer von des Landes uralter Hauptstadt Erfurt, in deren Nähe er das Herrscherschloss Merwigsburg erbaute. In diesen Zeiten zuckte und blutete Deutschland unter den Schlägen der Gottesgeisel Attila, der die Länder verheerte; und an der Stätte des alten Eisenach herrschte ein Gewaltiger, Günther mit Namen, dessen reizende Tochter Chrimhild der wilde Etzel freite und dort festliche Hochzeit hielt; ihm und seinen Hunnen wurde ganz Thüringen unterthan und zinspflichtig, bis Attila hinweg, und Merovig todt war; da warfen die Thüringer das Hunnenjoch ab und wählten sich einen andern König, der hiess Basinus. Merovig hatte einen Sohn Namens Chilperich, einen übelgearteten Jüngling, den das Volk der Franken austrieb. Schutz und Aufenthalt suchend, kam der Flüchtige in Basinus gastliches Haus, welches ihn gütig aufnahm und acht Jahre lang herbergete; zum Danke verleitete Chilperich Basinus Weib zur Untreue, dass sie ihm nachfolgte, als er wieder in sein Reich heimkehren durfte, und bei ihm blieb. Sie wurde Mutter des zweiten Chlodio, des grossen Frankenhelden. König Basinus, als er starb, hinterliess drei Söhne: Baderich, Bertharich und Irminfried, die theilten unter sich des Vaters weites Reich, und des Letztern Theil wurde das heutige Thüringen. Auf der Merovigsburg sass Irminfried und sann darauf, sich eine würdige Gemahlin zu erkiesen; damals erscholl durch alle Lande der hohe Ruhm des Helden Dieterich von Bern, (Theoderich von Verona) Königes der Ost-Gothen. Mit diesem mächtigen Herrscher sich zu verbünden, war eben so ehren- als vortheilhaft, und Irminfried warb um Dieterich von Berns Nichte Amalberga, die er auch zur Gemahlin empfing. Mit ihr zog schweres Unheil in das Land. Stolz und herrisch und missgünstig sah sie mit Neid auf das Erbe der Brüder ihres Gatten und lag ihm an, das ganze Reich zu gewinnen. Einst deckte sie Irminfrieds Tisch nur halb, und höhnte dem deshalb Fragenden in's Gesicht: »Eines halben Reiches Herrn ein halbgedeckter Tisch. Ganzes zu Ganzem!« So angestachelt zur Unthat erschlug mit des austrasischen Königs Theoderich Hülfe Irminfried seine beiden Brüder und nahm ihr Reich in Besitz, aber was er gewonnen, nahm Theoderich für seine Hülfe in Anspruch. Darüber erhob sich mächtiger Zwiespalt unter den Königen, und Theoderich mit seinem Bruder Chlotar zogen aus Franken mit grosser Heeresmacht gen Thüringen. In Burg Scheidungen an der Unstrut war damals die Königresidenz, und in diese flüchtete Irminfried mit den Seinen, nachdem bei Runiberg eine mörderische dreitägige Schlacht geschlagen und von den Thüringern verloren worden war. Dort belagert und eingeschlossen, war der König in der höchsten Noth, denn Theoderich hatte, sich zu verstärken, auch die den Thüringern feindlichen Sachsen gegen sie zu Hülfe gerufen. Da sandte Irminfried heimlich seinen getreuen Marschalk Iring zu Theoderich, dass er Gnade bitte, mindestens für Amalberga und ihre Kinder, und dessen Flehen bewegte auch des Frankenkönigs und seiner Räthe Herz, Gnade zu üben, zumal sie die furchtbar kriegerischen Sachsen zu fürchten begannen; diesen aber war die thüringische Königsburg und das umliegende Land zum Lohn versprochen, wenn sie es gewännen. Schon war es nahe daran, dass sich die streitenden Könige ganz versöhnten, als ein Thüringer mit seinem Falken zur Entenbeize an die Unstrut ritt, dem am andern Ufer ein Sachse den Falken entlockte. Und um den Vogel zurückzuerhalten, verrieth der Thüringer jenem die Einung der Könige, und dass den Sachsen nichts Gutes bevorstehe. Eilend...