Da stand ich nun - allein im kalten Flur unseres Hauses, verlassen
und verbittert. Meine rechte Hand lag auf der grauen,
massiven Tür. Mein Blick ging entrüstet in die Richtung, in
der ich ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Hier hatte er mich
endgültig stehen lassen. Ich konnte es nicht mehr rückgängig
machen.
Abwesend starrte ich in die entstandene Leere. Mich umgab
eine Glasglocke, die mich abschirmte. Es kam mir wie ein
surrealer Traum vor, aus dem ich nicht erwachte.
Ich hoffte, er würde zurückkommen, mich umarmen, küssen
und aus diesem Trancezustand befreien. Doch das tat er
nicht. Gar nichts war in Ordnung. Alles war auseinandergebrochen.
Mein Herz fing an zu rasen. Ich übersprang einen Atemzug,
als hätte ich Schluckauf. Erst als ich blinzelte, merkte
ich, wie die Tränen immer schneller flossen und meine Sicht
vollkommen verschwamm. Mit zitternder Hand wischte ich
sie mir von der Wange. Ich wollte schreien und gegen die Tür
schlagen.
Was war falsch mit mir? Ich wollte doch nur glücklich sein.
Hatte ich einen Fehler begangen?
Die Unsicherheit pochte in mir. Ein Speer durchbohrte
förmlich mein Herz, der Kopf wurde schwer, und ein dumpfes
Geräusch legte sich über meine Ohren. Ich schluckte, doch der
Druck wurde stärker. Die Haustür begann, sich von mir wegzudrehen.
Mir wurde schwindelig. Ich griff nach einem Stuhl,
aber bekam ihn nicht zu fassen, mein Körper drehte sich weg,
die Knie knickten endgültig ein. Vor meinen Augen wurde es
schwarz.
Als ich einige Minuten später wieder zu mir kam und mein
Blick als Erstes an die Decke des Hausflurs fiel, war ich nach
wie vor allein, nicht wie im Märchen. Es war kein Prinz gekommen,
der mich hätte auffangen können. Kein Happy End
für mich. Ich war selbst schuld, immerhin hatte ich ihn vorher
weggeschickt. Wieso wunderte ich mich?
Trotz des Aufpralls auf den Fliesen empfand ich keine
Schmerzen. Ich spürte nichts außer Kälte. Alles um mich herum
war unerträglich still. Meine Gedanken waren das Einzige,
was ich laut und deutlich hörte. Wie immer, der Verstand, die
klare Stimme meines Lebens, die mir zuvor schon geraten
hatte, mich zu trennen. Seine Eigenschaften passten offensichtlich
nicht zu meinen Vorstellungen von "dem Richtigen".
Hier lag ich mit meinen 22 Jahren. Das Gesicht in die brünetten
Haare vergraben. Die Hände um den schlanken Körper
geschlungen und die grünen Augen zugekniffen.
Irgendwie hatte ich mir das Leben in den Zwanzigern unbeschwerter
vorgestellt: in einer erfüllenden Beziehung, mit
einem guten Job und unabhängig. Ich wollte endlich auf eigenen
Beinen stehen.
Die Realität sah leider anders aus.
Nie zuvor hatte ich nach einer Trennung solche Gefühle gehabt.
Ich war immer der Meinung gewesen, der Richtige würde
schon noch kommen und mich endlich glücklich machen.
Jetzt empfand ich diese Zuversicht nicht mehr. Mein Herz
war schwer wie Beton, es hielt mich fest auf dem Boden gefangen.
Warum schmerzte es so unerträglich und warum lähmte es
mich, als sei ich diejenige, die verlassen worden wäre?
Dieses Mal erhielt ich keine Antwort von meinem Verstand.
Hatte ich etwas übersehen? War meine Entscheidung
falsch? Nun hatte ich doch das, was ich wollte - oder etwa
nicht?
Was aber, wenn es falsch war, ihn gehen zu lassen? Wenn
er der Richtige war? Wenn . Nein! Mein Kopf war mit Fragen
überladen wie die S-Bahn zu Stoßzeiten.
"Stoppt diese Bahn! Ich will aussteigen", entfuhr es mir.
Tränen kullerten herunter. Meine Hände zitterten, und
erneut schlug mein Herz schneller. Es bahnte sich ein zweiter
Nervenzusammenbruch an. Immerhin fühlte ich meinen
Körper wieder, und hinfallen konnte ich auch nicht mehr. Es
wäre sogar erleichternd, wenn ich auf ein Neues ohnmächtig
werden würde und so vor meinen Gefühlen fliehen könnte.
Gab es einen Schalter, um dieses Leiden auszuknipsen? Wo
zum Teufel kam dieser Herzschmerz überhaupt her?
Eine Stimme in mir wisperte: Die Emotionen sind ein Teil
von dir. Fühle sie.
Wer sprach da?
Unterdrücken und ablenken ist der einfachste Weg, entgegnete
die mir geläufigere Stimme.
Atme, widersprach die erste.
Ich versuchte, ihr zu folgen, sog so viel Luft wie möglich
ein, um die Schmerzen anschließend auszupusten. Jetzt fand
ich die Kraft, um mich aufzusetzen.
Abermals wisperte mir die leise Stimme zu.
Du hättest früher auf mich hören sollen.